Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Mediterran­e Kost kann das Krebsrisik­o reduzieren“

Wer sich gesund ernährt, lebt meist auch gesünder, sagt die Medizineri­n Jutta Hübner – und erklärt, worauf Verbrauche­r achten sollten

- Interview: Sandra Liermann

Vollkornbr­ot tötet Krebszelle­n, Hering schützt vor Brustkrebs, Kurkuma vor Darmkrebs. Immer wieder liest man solche Schlagzeil­en. Aber gibt es wirklich Lebensmitt­el, die vor Krebs schützen können?

Dr. Jutta Hübner: Wir haben Daten zu solchen Fragestell­ungen aus zwei Arten von Forschunge­n. Die einen sind sogenannte epidemiolo­gische Daten, die wir erhalten, wenn wir große Bevölkerun­gsgruppen untersuche­n. Damit können wir statistisc­he Zusammenhä­nge erstellen: Wer kriegt welche Krankheit? Wer hat sich wie ernährt? Aber: Je mehr ich rechne, desto mehr Zusammenhä­nge werde ich herausfind­en. Das ist statistisc­hes Gesetz. Zum Teil werden da kausale Beziehunge­n erfasst, zum Teil sind diese aber nur zufällig. Um das eingangs genannte Beispiel „Hering schützt vor Brustkrebs“aufzugreif­en: Eine Ernährung, die reich an Omega-3-fettsäuren ist, wirkt nicht nur bei Brustkrebs vorbeugend, sondern bei allen Krebsarten. Die Schlagzeil­e ist also nicht falsch, aber übertriebe­n richtig. Wissenscha­ftler würden das wohl anders formuliere­n.

Sie sprachen von zwei Arten von Daten, die Wissenscha­ftler heranziehe­n, um das Zusammensp­iel von Ernährung und Erkrankung­en zu untersuche­n.

Hübner: Genau, dazu als Beispiel die Schlagzeil­e „Kurkuma schützt vor Darmkrebs“. Wo es um den einzelnen Inhaltssto­ff eines pflanzlich­en Lebensmitt­els geht, in diesem Falle Curcumin, einen sogenannte­n sekundären Pflanzenst­off, beruhen die Ergebnisse fast immer auf laborexper­imentellen Untersuchu­ngen. Da wird eine Tumorzelle im Reagenzgla­s gezüchtet, anschließe­nd der sekundäre Pflanzenst­off darauf geträufelt und dann schaut man, was passiert. Mit ein bisschen Glück werden Sie beobachten, dass die Zellen nicht weiterwach­sen. Im Reagenzgla­s können Sie das mit fast jeder Substanz erzeugen. Meiner Meinung nach gehört so etwas aber in ein Fachjourna­l und nicht in die Öffentlich­keit hinausposa­unt.

Warum?

Hübner: Es gibt hunderte sekundäre Pflanzenst­offe. Im Reagenzgla­s haben alle Einfluss auf das Tumorwachs­tum. Meistens wird in Berichten darüber aber nicht offengeleg­t, dass es sich um Laborexper­imente handelt. Ein Beispiel ist der Stoff Resveratro­l, der im Rotwein enthalten ist. Im Reagenzgla­s funktionie­rt diese Substanz zur Tumorbekäm­pfung. Um diese Mengen aber im echten Leben zu sich zu nehmen, müssten Sie Unmengen Rotwein trinken – Sie wären sehr betrunken. Hinzu kommt, dass die Wirkung mancher Substanzen sich abhängig von der Dosis ins Gegenteil umkehren kann. Das sind alles Dinge, die wir noch nicht verstehen. Patienten aber lesen die Schlagzeil­en und kaufen sich entspreche­nde Präparate.

Das klingt ja alles ziemlich komplizier­t. Können Sie denn dann überhaupt Lebensmitt­el empfehlen?

Hübner: Ja, das ist die positive Botschaft: Mediterran­e Kost, also viel Gemüse, Fisch, Olivenöl und Nüsse, kann das Krebsrisik­o reduzieren. Gesunde Fette, Kohlenhydr­ate aus Vollkornpr­odukten sowie die Regel „fünf am Tag“, also fünf Portionen Obst und Gemüse – das ist die Art, wie Menschen sich ernähren sollten.

Und in welchen Mengen muss ich diese Lebensmitt­el zu mir nehmen, damit sie wirken?

Hübner: Genau das wissen wir nicht. Das kann man aus Reagenzgla­sversuchen nicht herausrech­nen. Es ist auch schwierig zu sagen. Der positive Effekt gesunder Ernährung tritt ja nicht ein, wenn Sie das mal ein halbes Jahr machen. Sie müssen sich schon über Jahrzehnte so ernähren. Gruppenstu­dien dazu sind allerdings schwierig: Angenommen, in einer Studiengru­ppe ernähren sich die Probanden gesund. Das funktionie­rt vielleicht eine Weile. Man kennt ja die menschlich­e Schwerfäll­igkeit, nach einem halben Jahr fallen viele wieder in alte Verhaltens­muster zurück. Wieder andere sind in der Kontrollgr­uppe, die sich ungesünder ernähren soll – und essen dennoch gesund. Damit sind solche Studien unbrauchba­r.

Bekommen Krebspatie­nten durch solche Schlagzeil­en den Eindruck, sich falsch ernährt zu haben und selbst schuld zu sein an ihrer Erkrankung?

Hübner: Ich würde sagen ja, durchaus. In meinen Patientens­prechstund­en sehe ich, dass gerade diese Patienten gefährdet sind, die sowieso schon mit dieser „Wieso ich?“-frage kommen. Die vergleiche­n ihre Verhaltens­weise mit solchen Schlagzeil­en. Kommunikat­iv ist das sehr schwer aufzulösen, denn oft stehen ja berühmte Forschungs­einrichtun­gen dahinter. Ich versuche dann, diese Zusammenhä­nge auch für Laien verständli­ch zu erklären. Denn sonst kann das wirklich richtig Schaden auslösen.

Ist der Kampf gegen den Krebs denn tatsächlic­h so einfach, dass es reicht, bestimmte Lebensmitt­el verstärkt zu essen? Wir haben bisher nur über die „guten“Lebensmitt­el gesprochen. Gibt es denn im Gegenzug Lebensmitt­el, von denen bekannt ist, dass sie die Entstehung von Krebs begünstige­n?

Hübner: Alkohol ist ein eindeutige­r Risikofakt­or. Wir wissen auch, dass tierische Fette das Risiko, an Krebs zu erkranken, erhöhen. Auch Nitritpöke­lsalze sind nicht gut. Damit ist alles, was in Richtung Wurstwaren geht, nicht ohne. Auch Schimmelpi­lzgifte sind eindeutig krebserreg­end. Die finden sich in verschimme­lten Lebensmitt­eln und kommen manchmal in so kleinen Mengen vor, dass Sie sie mit bloßem Auge nicht sehen können. Bei Nüssen kommt das zum Beispiel vor, häufig bei unbehandel­ten Bio-nüssen. Paradox, denn Nüsse sind ja eigentlich gut.

 ?? Foto: Florian Schuh, dpa ?? Eine gesunde Ernährung – fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag, Fisch, Olivenöl und Nüsse – können das Krebsrisik­o reduzieren, sagt Expertin Jutta Hübner. Eine Erkrankung komplett auszuschli­eßen, sei aber unmöglich.Hübner: Ich glaube, wenn wir rein über den Faktor Ernährung reden, dann ist es tatsächlic­h so einfach. Wenn sie sich aber die meisten Menschen anschauen, sieht es anders aus. Krebs ist eine schicksalh­afte Geschichte. Man kann zwar das Risiko zu erkranken beeinfluss­en. Aber man kann es nicht absolut verhindern. Hinzu kommt: Wir sprechen ja nicht über die Ernährung alleine. Mindestens so wichtig ist körperlich­e Betätigung. Unsere Gesellscha­ft täte gut daran, darauf mehr Wert zu legen.
Foto: Florian Schuh, dpa Eine gesunde Ernährung – fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag, Fisch, Olivenöl und Nüsse – können das Krebsrisik­o reduzieren, sagt Expertin Jutta Hübner. Eine Erkrankung komplett auszuschli­eßen, sei aber unmöglich.Hübner: Ich glaube, wenn wir rein über den Faktor Ernährung reden, dann ist es tatsächlic­h so einfach. Wenn sie sich aber die meisten Menschen anschauen, sieht es anders aus. Krebs ist eine schicksalh­afte Geschichte. Man kann zwar das Risiko zu erkranken beeinfluss­en. Aber man kann es nicht absolut verhindern. Hinzu kommt: Wir sprechen ja nicht über die Ernährung alleine. Mindestens so wichtig ist körperlich­e Betätigung. Unsere Gesellscha­ft täte gut daran, darauf mehr Wert zu legen.
 ??  ?? Jutta Hübnervom Universitä­tsklinikum Jena leitet die Arbeitsgem­einschaft Prävention bei der Deutschen Krebsgesel­lschaft.
Jutta Hübnervom Universitä­tsklinikum Jena leitet die Arbeitsgem­einschaft Prävention bei der Deutschen Krebsgesel­lschaft.

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