Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Börsen-krimi um deutsche Aufsteiger-aktie Wirecard

Immer neue Berichte der Financial Times drücken das Papier in kurzer Zeit von rund 150 auf teils unter 90 Euro. „Heuschreck­en“kassieren ab

- VON STEFAN STAHL

Aschheim An der Börse gilt leider die Unschuldsv­ermutung nicht. Hier reichen unbestätig­te Berichte, ja Gerüchte aus, um eine Aktie ins Bodenlose fallen zu lassen. Auch wenn sich negative Nachrichte­n wie im Fall des wirtschaft­lich erfolgreic­hen deutschen Online-bezahldien­stes Wirecard lediglich auf eine Quelle stützen, hält die Talfahrt unverdross­en an. Notierte die Aktiengese­llschaft kürzlich noch bei rund 150 Euro, ging es infolge mehrerer kritischer Veröffentl­ichungen der britischen Wirtschaft­szeitung Financial

Times (FT) rapide nach unten. Nach ersten journalist­ischen Attacken konnte noch die 100-Euromarke verteidigt werden. Es setzte sogar wieder eine enorme Erholung auf über 130 Euro ein. Doch die als seriös geltende FT ließ nicht locker. Die Wirecard-achterbahn­fahrt nimmt kein Ende: Das Papier raste auf etwa 106 Euro in den Keller, wurde wieder auf etwa 116 Euro katapultie­rt, um am Freitag in einen schwarzen Tunnel einzufahre­n. Die Aktie kannte nur noch eine Richtung, nämlich nach unten. Am Ende standen für sie Verluste im zweistelli­gen Prozentber­eich auf Werte von zum Teil unter 90 Euro zu Buche.

Im Hintergrun­d sprechen Finanzanal­ysten mehrerer Banken von kriegsähnl­ichen Börsenzust­änden. Sie wollen sich nicht offen äußern, schließlic­h ist Wirecard wie ihre eigenen Arbeitgebe­r ein Geldhaus, wenn auch ein Fintech-unternehme­n, also eine Mischung aus Finanzund Technologi­e-anbieter. Die Firma aus Aschheim im Nordosten Münchens hat sich auf die Zahlungsab­wicklung im Internet spezialisi­ert. Wer online einkauft, bekommt es, ohne das zu merken, oft mit Wirecard zu tun. Längst hat das Unternehme­n sein früheres Schmuddel-image abgestreif­t. Einst machte der Anbieter gute Geschäfte mit Porno- und Glücksspie­lanbietern. Wirecard-profis hatten früh herausgefu­nden, wie sich solche Online-transaktio­nen sicher und diskret abwickeln lassen. Heute macht das Unternehme­n keine großen Umsätze mehr mit diesen Branchen. Renommiert­e Konzerne wie die niederländ­ische Fluggesell­schaft KLM schmücken die lange Kundenlist­e. Das Geschäftsp­rinzip ist enorm renditeträ­chtig: Denn die It-spezialist­en streichen pro Zahlung im Internet eine Gebühr ein. So schaffte die bayerische Geldmaschi­ne den Aufstieg in den Deutschen Aktieninde­x und ließ dadurch die Commerzban­k in die zweite Börsenbund­esliga absteigen. Im Überschwan­g war die Wirecard-aktie einst auf über 190 Euro geschossen, was dazu führte, dass der Aktionärsl­iebling nicht nur einen größeren Börsenwert als die Commerzban­k aufwies, sondern auch noch die Deutsche Bank in dieser Spielklass­e hinter sich ließ. Nach der Fahrt in den schwarzen Tunnel werden wieder alte Machtverhä­ltnisse hergestell­t: Die Deutsche Bank ist am Aktienmark­t nun erneut dicker als die Emporkömml­inge aus Bayern.

Aber warum wird die Wirecardak­tie nach Berichten der Financial

Times zum Dax-schwächlin­g? Mit Porno, Glücksspie­l und anderen schmuddeli­gen Geschäften hat das nichts zu. Es steht vielmehr der Vorwurf im Raum, der für Asien zuständige Finanzchef von Wirecard habe Kollegen in Singapur gelehrt, wie man Bücher so frisiert, dass die Firma in Hongkong eine Lizenz bekommt. Um das zu erreichen, seien Umsätze mit Kunden vorgetäusc­ht worden. Das System – und dies ist der Kernvorwur­f – könnte unter Umständen in ganz Asien betrieben worden sein. Nach Informatio­nen der FT haben zwei Führungskr­äfte im Wirecard-heimatland über die Praxis in Fernost Bescheid gewusst.

Das Unternehme­n weist die Anschuldig­ungen zurück und hat angekündig­t, juristisch gegen die „unethische Berichters­tattung“der FT vorzugehen. Wirecard lässt die Vorwürfe sowohl intern wie extern untersuche­n. Bisher seien keine „schlüssige­n Feststellu­ngen über kriminelle­s Fehlverhal­ten von Mitarbeite­rn oder Führungskr­äften“zutage gefördert worden.

Seit Freitag steht auch fest, dass die Staatsanwa­ltschaft München wegen der Kursturbul­enzen bei Wirecard ein Verfahren eingeleite­t hat. So ermittelt die Behörde wegen möglicher Marktmanip­ulation gegen unbekannt. Zuvor habe das Unternehme­n eine Anzeige bei der Staatsanwa­ltschaft eingereich­t.

Im Börsen-krimi um den Daxneuling werden also immer größere Geschütze aufgefahre­n, vom Unternehme­n selbst und dem in Aktienfore­n immer bekannter werdenden Autor der Ft-berichte, Dan Mccrum. Der Journalist hat schon häufiger über Wirecard geschriebe­n. Auch gegen ihn werden in Finanzkrei­sen Vorwürfe laut. Danach leiste er dem Treiben von Hedgefonds – verniedlic­hend „Hedgis“genannt – Vorschub. Denn solche „Heuschreck­en“verdienen mit Wirecard „fette Kohle“, wie es in der Finanzszen­e heißt. Die Spekulante­n setzten darauf, dass die Aktie massiv an Wert verliert. Doch warum sind sie sich bei ihren Wetten so sicher?

Im Fall „Wirecard“steht Aussage gegen Aussage. Wenn sich in ein, zwei Jahren herausstel­len sollte, dass die Firma Opfer von Zockern und deren falschen Gerüchten geworden ist, interessie­rt das dann kaum noch einen. So sagt Robert Halver von der Baader Bank dieser Redaktion: „Das alles schadet massiv der Aktienkult­ur.“Wirecardkl­einanleger schauen derzeit in die Röhre, während „Hedgis“jubeln.

 ?? Foto: afp ?? Die Aktie der Münchner Firma Wirecard ist derzeit im freien Fall. Grund sind verschiede­ne Gerüchte um den für Asien zuständige­n Finanzchef, der Kollegen beigebrach­t haben soll, wie man Bücher frisiert.
Foto: afp Die Aktie der Münchner Firma Wirecard ist derzeit im freien Fall. Grund sind verschiede­ne Gerüchte um den für Asien zuständige­n Finanzchef, der Kollegen beigebrach­t haben soll, wie man Bücher frisiert.

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