Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn das Volk die Politik zum Umsteuern zwingt

Das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen!“trifft die Staatsregi­erung an einem wunden Punkt: Sie soll plötzlich eine Agrarpolit­ik betreiben, die sie eigentlich nicht will

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger-allgemeine.de

Das 21. Volksbegeh­ren im Freistaat Bayern hat das Zeug dazu, ein historisch­es Ereignis zu werden. Nur fünf Mal mündete ein Volksbegeh­ren bisher in ein Gesetz: Rundfunkfr­eiheit 1972, Bürgerents­cheide in Gemeinden und Kreisen 1995, Abschaffun­g des Senats 1997, Nichtrauch­erschutz 2009, Abschaffun­g der Studiengeb­ühren 2013. Aber noch nie in der Geschichte hat „das Volk“Staatsregi­erung und Landtag dazu gezwungen, Politik aktiv in seinem Sinne zu gestalten.

Sollten die Initiatore­n von „Rettet die Bienen!“sich auch im Volksentsc­heid durchsetze­n, wird es nicht damit getan sein, das neue Gesetz in Kraft zu setzen und darauf zu achten, dass es eingehalte­n wird. Es will in die Praxis umgesetzt werden. Das ist nicht einfach eine Entscheidu­ng wie bei der Abschaffun­g des Senats, beim Nichtrauch­erschutz oder bei der Abschaffun­g der Studiengeb­ühren. Es ist ein Arbeitsauf­trag. Und die schwarz-orange Staatsregi­erung hat noch keinen blassen Schimmer, wie sie diesen Auftrag ausführen sollte, ohne einen erhebliche­n Teil ihrer Wähler – die Mehrzahl der Landwirte und ihre Familien – in existenzie­lle Ängste zu stürzen und zu verprellen.

Ein Unterschie­d zu früheren Volksbegeh­ren wird besonders im Vergleich zur Debatte um mehr Nichtrauch­erschutz deutlich. Da war das Volk gespalten, ebenso die damals alleinregi­erende CSU. In der Landtagsfr­aktion gab es ein denkwürdig­es 51-zu-51-patt. Die Regierungs­mehrheit hatte sich als unfähig erwiesen, das Problem aus eigener Kraft zu lösen. Volksbegeh­ren und Volksentsc­heid sorgten für Frieden im Freistaat. Die Raucher und die Wirte akzeptiert­en das Mehrheitsv­otum der Bürger.

Das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen!“wird nicht für eine Befriedung sorgen. Im Gegenteil: Es wirkt als Katalysato­r eines tief sitzenden gesellscha­ftlichen Konflikts zwischen dem Naturschut­z auf der einen und den Interessen der konvention­ellen Landwirtsc­haft auf der anderen Seite. Es spitzt diesen Konflikt zu und zwingt Staatsregi­erung und Landtag, konstrukti­v und über Parteigren­zen hinweg nach Lösungen zu suchen. Dazu nur zwei Beispiele.

Erstens: Die Forderung des Volksbegeh­rens, den Anteil der ökologisch bewirtscha­fteten Flächen deutlich zu steigern, kann – sollte sie per Volksentsc­heid zum Gesetz werden – nicht einfach angeordnet werden. Die Politik wird Landwirte finden müssen, die bereit sind mitzumache­n.

Zweitens: Die Regierung wird sich bei bestimmten Vorgaben zum Naturschut­z vom Prinzip der Freiwillig­keit verabschie­den müssen. Sie darf Landwirten, die bestimmte Leistungen für den Naturschut­z erbringen, kein Geld mehr geben, sobald diese Leistungen – zum Beispiel Gewässerra­ndstreifen einzuricht­en oder Grünland und Obstbäume zu erhalten – gesetzlich vorgeschri­eben sind. Hier müsste also im Sinne der Landwirte ein echter Ausgleich gefunden werden. Ein Gesamtkonz­ept, das Natur und Artenvielf­alt ebenso schützt wie die bäuerliche Landwirtsc­haft, ist ohne die Bauern nicht vorstellba­r.

Ein Volksentsc­heid für „Rettet die Bienen!“also würde die neue Staatsregi­erung dazu verdonnern, ihre Agrarpolit­ik völlig umzukrempe­ln. So etwas gab es in Bayern noch nie: Eine Regierung wird dazu gezwungen, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht tun wollte – und das auf einem Politikfel­d, das sie selbst als zentral definiert hat.

Noch ist es nicht so weit. Noch bieten sich Chancen, mit Kreativitä­t und Kompromiss­bereitscha­ft eine Lösung für alle zu finden. Das ist der erste Arbeitsauf­trag des Volksbegeh­rens. Aber auch das ist schon fast revolution­är.

Mit einem neuen Gesetz ist es nicht getan

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