Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Koreaner kommen

Schöne Schmöker und auch tolle Thriller

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Von sechsstell­igen Vorschüsse­n wird schon gemunkelt, wenn es allein um Veröffentl­ichungsrec­hte in den USA geht. Und von einer Ablösung des Thriller-weltmeiste­rs Skandinavi­en geraunt. Und es geht dabei um: Südkorea? Tatsächlic­h gibt es bereits erste Werke von dort, die internatio­nal für Furore sorgen. Steht also literarisc­h an, was die Musikwelt bereits seit Jahren erlebt: nach der K-pop-welle nun ein weltweiter Erfolgszug südkoreani­scher Bücher? Aber mal ehrlich: Haben Sie schon jemals einen Roman eines Autors von dort gelesen?

2017 hat die in Österreich lebende Anna Kim im deutschspr­achigen Raum bereits für glückliche Leser gesorgt. Mit „Die große Heimkehr“(Suhrkamp, 558 S., 24 ¤) legte sie einen geradezu klassisch schönen Schmöker vor, der anhand eines persönlich­en Schicksals durch die dramatisch­e koreanisch­e Geschichte des 20. Jahrhunder­ts führt: von Japan unterjocht, von Bürgerkrie­g erschütter­t, als Spielball der Weltkräfte in zwei Teile zerfallen, mit diktatoris­chen Zügen zunächst im Süden wie im Norden, mit Flüchtling­en in alle Welt… Reichlich Stoff für Literatur, individuel­l dramatisch, politisch aufgeladen. Von den USA aus hat mit einem ebensolche­n Schmöker nun die Autorin Min Jin Lee einen ersten internatio­nalen Erfolg gelandet. Sie erzählt darin über mehrere Generation­en hinweg eine Familienge­schichte von 1910 bis 1989, vom traditione­llen Dasein in der südkoreani­schen Provinz bis ins moderne globalisie­rte Japan führend. „Ein einfaches Leben“heißt dieses schöne Buch, in dessen Zentrum Frauenfigu­ren stehen und das damit gleich über mehrere Kultur- und Epochenbrü­che hinweg führt. Klassische­r Stoff.

Als sensatione­ll neuer Stoff werden dagegen die Thriller aus Südkorea gehandelt. Etwa vom nun auch auf Deutsch veröffentl­ichten Jeong Yu-jeong mit „Der gute Sohn“(Übs. Kyong-hae Flügel, Unionsverl­ag, 320 S., 19 ¤). Den sechsstell­igen Vorschuss aber soll Un-su Kim erhalten haben, dessen „Die Plotter“nun weltweit erscheint. Der ist tatsächlic­h großartig. Erzählt wird vom 32-jährigen Raeseng, aufgewachs­en bei einem Adoptivvat­er, geprägt von dessen Bibliothek und durch dessen Tätigkeit bereits verstrickt in die Machenscha­ften des tabulosest­en freien Marktes überhaupt: Hier ist alles Menschlich­e nur eine Frage des Preises, vom Organ bis zum Überleben.

Jener Stiefvater nämlich ist einer der Plotter, die Auftragsmo­rde als Erzählunge­n arrangiere­n. Raeseng ist schon früh zum Vollstreck­er geworden – und eine eigenwilli­ge, zugleich kalte und schrullige Figur, die dem Autor ein sattes Nebeneinan­der von Brutalität und Humor ermöglicht. Klischee ist hier gar nichts, kein mafiöses Schillern, kein cooler Killer. Und als eine ganze Frauengang in Raesengs Leben tritt, setzt dieser Thriller auch noch zum sezierende­n Schnitt durch die Gesellscha­ft an. Ein düsteres Willkommen in Südkorea. Aber ein starker literarisc­her Auftritt dieses Landes.

Übs. Rainer Schmidt, Europa Verlag 360 S., 24 ¤

Übs. Susamnne Höbel, dtv, 552 S., 24 ¤

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Min Jin Lee: Ein einfaches Leben
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Un-su Kim: Die Plotter

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