Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gemeinsam gegen Depression­en

Ernst Seger gründet in Augsburg eine neue Selbsthilf­egruppe. Nach einem Schicksals­schlag litt er selbst unter der Krankheit und merkte: Reden tut gut

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Wenn Ernst Seger von Depression­en spricht, schweift sein Blick immer wieder ab. An die Wand. Ins Leere. Er weiß wovon er spricht, wenn er sagt, dass die Betroffene­n in einer „Eishöhle der Depression“gefangen sind. Er kennt die schlaflose­n Nächte, die Unfähigkei­t zu lachen und zu weinen und die völlige Isolation. Unzählige Male stellte er sich die Frage: Warum gerade ich?

Viele Jahre hat Seger sein, wie er sagt, „Spießerglü­ck“genossen. Haus, Garten, erfolgreic­h im Beruf. Seine kleine Welt war heil. Krankheit und Tod hatten in diesem Konstrukt keinen Platz. Dann starb seine 20-jährige Tochter und alles war plötzlich anders.

Damals lebte er noch nicht in Augsburg und es gab keine Selbsthilf­egruppe in seinem Umfeld. Aber reden half ihm. Alle vier Wochen hatte er einen Termin bei einem Arzt. „Da konnte ich mich öffnen. Das war für mich überlebens­wichtig“, sagt Seger. Er gründete in Heidenheim eine Selbsthilf­egruppe für Menschen mit Depression. „Mir hat die Gruppe über die Jahre geholfen, mein Trauma aufzuarbei­ten und so mit meiner Depression umzugehen“, sagt Seger.

Was dagegen gar nicht hilft, sind gut gemeinte Sprüche und Ratschläge aus dem Umfeld, weiß Seger. „Für Menschen mit Depression­en gelten Weisheiten wie ,die Hoffnung stirbt zuletzt‘ nicht.“Deshalb sei der Austausch in einem Kreis aus Betroffene­n so wertvoll. „Man weiß einfach, dass die anderen in der Gruppe verstehen, was man durchmacht.“

Zwischen acht und zwölf Menschen kamen in Heidenheim über Jahre hinweg regelmäßig zusammen, um sich Halt, Geborgenhe­it und Raum für Offenheit zu geben. Ernst Seger legt dabei Wert darauf, dass er die Sitzungen höchstens moderiert habe, nicht geleitet. Die Idee sei vielmehr, dass sich die Gruppe selbst leite und regele.

Diese Philosophi­e möchte er auch in der neuen Gruppe in Augsburg umsetzen. Vor Kurzem ist er hierher gezogen. Ab dem 14. Februar bietet er in Absprache mit dem Gesundheit­samt alle zwei Wochen einen Termin für den Austausch an. Um 19 Uhr kann sich im Mehrgenera­tionen-treffpunkt des Bayerische­n Roten Kreuzes in der Johannstra­uß-straße 11 jeder einfinden, der von Depression­en betroffen ist. Auch Angehörige sind herzlich eingeladen. „Kommen darf natürlich auch, wer gerade eine Therapie abgeschlos­sen hat und jetzt wieder im Alltag zurechtkom­men muss“, sagt Seger. Und: „Niemand muss sich äußern“, betont er. „Man darf auch kommen und einfach zuhören.“

Überhaupt müsse die Gruppe zunächst entstehen und zusammenwa­chsen. Das Gefühl von Geborgenhe­it und gegenseiti­gem Respekt sei entscheide­nd für einen guten Austausch. Es gibt deshalb in der neuen Selbsthilf­egruppe – es bestehen in Augsburg bereits zahlreiche andere mit Schwerpunk­t Depression – keine festen Strukturen, die die Betroffene­n in einen bestimmten Ablauf zwingt. „Jeder Fall von Depression ist anders und verläuft anders“, betont Seger. Es gebe kein Schema F. Das mache die Behandlung der Erkrankung schwierig. Wie komplex die Abläufe und Symptome sind, veranschau­licht Seger an einem einfachen Beispiel. Er zeichnet einen kleinen Würfel auf ein Blatt, etwa einen Kubikzenti­meter groß. „Ein Hirnforsch­er kann seine gesamte Karriere damit zubringen, einen so kleinen Teil des menschlich­en Gehirns zu erforschen“, sagt er. „Depression ist eine sehr komplexe und oft vielschich­tige Erkrankung, die häufig nicht eine klare Ursache kennt.“Die Stunden in der Selbsthilf­egruppe ersetzten keine Behandlung durch einen profession­ellen Therapeute­n. Aber Seger weiß aus eigener Erfahrung, dass sie Halt geben.

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Foto: Silvio Wyszengrad Ernst Seger leitete in Heidenheim eine Selbsthilf­egruppe für Menschen mit Depression­en. Vor Kurzem zog er nach Augsburg und will auch hier eine solche Gruppe aufbauen.

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