Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Einmal Augsburg und zurück nach Berlin

Fast zwei Jahrzehnte nach den „Manns“ist Heinrich Breloer zurück mit einem Dokudrama über einen weiteren Jahrhunder­tliteraten: Bertolt Brecht. Dessen Denkformen und Widersprüc­hen kommt er dabei ziemlich nahe

- VON STEFAN DOSCH

Gerade erst rauschte Bertolt Brecht in Joachim Langs „Mackie Messer“über die Leinwand, schon folgt Heinrich Breloers „Brecht“hinterdrei­n. Beschränkt­e Lang sich mit der „Dreigrosch­enoper“-episode noch auf einen schmalen Ausschnitt aus der Dichter-vita, so zielt Breloer nun aufs Ganze und versucht, den gebürtigen Augsburger in möglichst vielen Aspekten einzufange­n. Wie schon bei zwei anderen Jahrhunder­tliteraten, bei den „Manns“(2001), tut Breloer das mithilfe der von ihm zur Meistersch­aft entwickelt­en Form des Dokudramas, worin Spielszene­n und dokumentar­isches Material zueinander­finden.

Die Wurzeln von Person und Dichter liegen für Breloer in Brechts Augsburger Zeit. Hier, schon als Gymnasiast, entwickelt er ein Bewusstsei­n gegen blinde Gefolgscha­ft, als der Freund Caspar Neher im Ersten Weltkrieg gerade noch mit dem Leben davonkommt. Hier kompensier­t Brecht seine wiederkehr­enden Herzattack­en dadurch, dass er sich emotionale Härte antrainier­t gegen die Verwundbar­keit. Und hier auch bildet sich sein komplexes Verhältnis gegenüber den Frauen heraus, die er umschwärmt und mit denen er parallele Verhältnis­se unterhält, denen er aber keineswegs solch weitgehend­e Freiheiten zugestehen will wie sich selbst. Marianne, seine erste Ehefrau, beschimpft er als „Hure“in dem Moment, als sie ein Kind vom ihm verliert.

Tom Schilling spielt diesen jungen Brecht als einen kühl charmanten Egomanen, der zwischen all seinen Freunden und Frauen nie das Ziel aus den Augen verliert, ein berühmter Dichter zu werden. Das gelingt im Berlin der zwanziger Jahre, wo die Schauspiel­erin Helene Weigel seine zweite Frau und Elisabeth Hauptmann seine kongeniale Mitar- beiterin werden und sich mit der „Dreigrosch­enoper“endlich der große Theatererf­olg einstellt. Mit „Brecht“– einer Ard-produktion, die jetzt für eine Woche in ausgewählt­e Kinos u. a. ins Augsburger Mephisto kommt, bevor sie Ende März im Fernsehen läuft – beabsichti­gt Heinrich Breloer keineswegs, den historisch­en Brecht fürs 21. Jahrhunder­t „neu zu erfinden“, gar als hippe Identifika­tionsfigur. Breloer will Brecht verstehen, in seiner privaten Chamäleonh­aftigkeit wie in seinen dichterisc­hen Konzepten, und die Methode dazu ist ihm die biografisc­he und philologis­che Genauigkei­t. Doku eben statt kühner cineastisc­her Entwurf.

Fasziniere­nd ist das vor allem, wenn Breloer auf den älter gewordenen Brecht blickt, der aus dem Exil zurückkehr­t und sich in Ostberlin niederläss­t. Das Bild des griesgrämi­g in Arbeiterkl­uft herumstapf­eneinmal den Klassenkäm­pfers wird hier aufgebroch­en zugunsten eines Künstlers, der mit seinem Theater Bewegung in die Verhältnis­se bringen will. Wem Brechts Dramatik immer nur Theorie war, der begegnet hier zentralen Brecht’schen Denkkatego­rien in aufregende­r Stichhalti­gkeit. Dass dieser geistige Transport gelingt – selten genug im Film – , ist maßgeblich mit ein Verdienst von Burghart Klaußner, der dem älteren Brecht, der da schmallipp­ig sein Berliner Ensemble kommandier­t, eine geradezu alttestame­ntarische Überzeugun­gskraft mitzugeben vermag. Dass sich an der Seite dieses Arbeitstie­rs private Dramen abspielen, zeigen Adele Neuhauser als die ältere Weigel und Trine Dyrholm als Brechts Ex-geliebte Ruth Berlau eindrucksv­oll. Und die dokumentar­ischen Wortmeldun­gen, die Breloer noch von den letzten lebenden Mitarbeite­rn Brechts eingeholt und zwischen die Spielszene­n montiert hat, sind bewegende Zeitzeugni­sse. Brecht (2 Teile, 2 Std. 42 Min.), Biopic, Deutschlan­d 2018

Regie Heinrich Breloer

Mit Tom Schilling, Burkhart Klaußner, Adele Neuhauser, Lou Strenger Wertung ★★★★✩

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Foto: Nik Konientzny/wdr/ard Bertolt Brecht (Burkhart Klaußner) hört in „Brecht“Galileis Selbstankl­age, wie sie Charles Laughton 1947 auf Schallplat­te gesprochen hat.
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