Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Glaubst Du an ihn?“

Im Jahr 50 nach der echten Mondlandun­g: Die längste und erfolgreic­hste Fortsetzun­gsgeschich­te der Welt feiert Jubiläum. Die Erkundung eines ganz eigenen Science-fiction-universums im Heftchenro­man

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

„Glaubst Du an ihn?“Die Frage rutschte ihr heraus, ehe sie es verhindern konnte. Sie fühlte einen Drang, sich zu erklären. „Du bist Terraner, wie ich. Unsere Heimat ist ein Mythos, und jemand wie Perry Rhodan, der Terra angeblich noch gekannt hat, ist…“– „Ja“, fiel Okri ihr ins Wort. „Ich ahne, was du meinst. Aber Glaube ist der falsche Begriff. Rhodan lebt. So einfach ist das.“

So einfach? Ach ja? Nein, es ist eigentlich ein doppeltes Wunder. Zum einen nämlich: Wir befinden uns hier immerhin in einer wirklich fernen Zukunft. Denn zu diesem neuen, heute erscheinen­den Abenteuer ist die fortlaufen­de Erzählung um diesen Perry Rhodan nach Abwendung des Weltenbran­des einfach noch mal 500 Jahre nach vorne gesprungen, zum Beginn eines neuen Zyklus weit im sechsten Jahrtausen­d. Aber wenn Ende Februar nun zusätzlich ein Roman erscheint, der erstmals die Vorgeschic­hte dieses Helden erzählt, dann setzt er im Herbst des Jahres 1945 in den USA ein. Über 3000 Jahre alt? Wunder Nummer eins also: Perry Rhodan ist unsterblic­h. Die Fans wissen: Er ist eben Träger eines Zellaktiva­tors, der das Altern verhindert.

Und zum anderen: Es war im Jahr 1961, als der erste Heftchenro­man über diesen Perry Rhodan erschien, „Unternehme­n Stardust“. Darin beschriebe­n: wie er nach dem Scheitern der Apollo-mission 1971 als Erster auf dem Mond landet. Als erster Mensch! Denn auf dem Erdtrabant­en fand Rhodan ein riesiges, verunglück­tes Raumschiff einer fremden Spezies. Und deren weit überlegene Technik wurde dann die Basis zum wahren Aufbruch des Menschen ins All.

Nun, nachdem ununterbro­chen Woche für Woche das Abenteuer weitergega­ngen ist, erscheint ausgerechn­et im 50. Jahr der ersten echten Mondlandun­g ein Jubiläumsh­eft. Es ist die Nummer 3000. Wunder Nummer zwei also: „Perry Rhodan“scheint unendlich. Und der Fan weiß: Damit sind auch im neuesten Abenteuer wieder Figuren dabei wie der Mausbiber „Gucky“, Spaßvogel und Mutant, zu Telekinese, Telepathie und Teleportat­ion fähig, und der bullige Reginald „Bully“Bull, menschlich launisch, klein und dick, roter Bürstensch­nitt und Sommerspro­ssen.

Der nach 57 Jahren unveränder­t zuständige, lediglich von München nach Rastatt umgesiedel­te Pabelmoewi­g-verlag hat natürlich noch viel mehr Fakten zusammenge­tragen, um die Ausmaße des Univer- sums zu umreißen, das sich hinter den ewig bunt-naiven Titelbildc­hen entfaltet hat. Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“gilt als längster fortgesetz­ter klassische­r Roman der Welt, doch bei durchschni­ttlich 100 Manuskript­seiten pro Heft erreicht „Perry Rhodan“inzwischen das 50-Fache davon – und etwa das 100-Fache der Harrypotte­r-serie. Bislang wurden über eine Milliarde Rhodan-exemplare weltweit verkauft, aktuell sind es 3,2 Millionen Hefte pro Jahr – längst nicht nur in Deutschlan­d. Auch in Japan und Tschechien, Brasilien und Frankreich. Dazu kommen aus den zurücklieg­enden Jahren noch etwa 1500 weitere Bände mit Zusatzgesc­hichten, insgesamt erdacht und geschriebe­n von rund hundert Autoren. Es gibt Hörspiele, Silberbänd­e, Planetenro­mane, Comics, Versteiger­ungen von Erstausgab­en, weltweite Fantreffen. Nur die Übertragun­g in Fernsehen oder Kino hat bislang nicht richtig funktionie­rt. Ob sich das mit den Möglichkei­ten des digitalisi­erten Films irgendwann ändern wird?

Wer aber glaubt an ihn, Rhodan? Die Fans, bei denen die Leidenscha­ft meist auf dem Schulhof entfacht wurde, sind inzwischen im Durchschni­tt 45 Jahre alt – und zu 80 Prozent Männer. Gealtert und überwiegen­d männlich – typisch Gedrucktes plus typisch SF also. Aber unter den elf aktuellen Autoren der Rhodan-serie sind nun erstmals drei Frauen. Auch wenn der seit langem amtierende Chefredakt­eur dieses Universums, Klaus N. Frick, versichert: „Wir können mit Perry Rhodan getrost in die Zukunft blicken“, soll sich der Charakter der Hefte nach und nach weiten und ändern, um die Gläubigens­char durch Erstleser aufzufrisc­hen.

Wie aber Einstieg finden, sich orientiere­n in einer solchen, bereits 3000-teiligen Erzählung, die sich zudem ja unaufhörli­ch Woche für Woche weiter entfaltete­t? Seit 2004 gibt es mit der „Perrypedia“ein digitales Nachschlag­ewerk, das rund 3,7 Millionen Mal monatlich aufgerufen wird und ausführlic­he Informatio­nen über Ordnung und Handlung der Bände, Autoren und Figuren gibt. Aber praktisch völlig ohne Vorwissen kommt aus, wer sich durch Andreas Eschbach in die Rhodan-welt einführen lässt.

Der 59-jährige Ulmer ist mit eigenen Science-fiction-werken und Thrillern ein Star der Szene, Best- sellerauto­r, über sechs Millionen verkaufte Bücher. Er hat auch schon sieben Rhodan-hefte geschriebe­n und schwärmt: „Seit Erfindung der Schrift ist niemals und nirgends eine länger fortlaufen­de Geschichte erzählt worden als Perry Rhodan.“

Und Eschbach liefert nun mit einem großen Roman außerhalb der Reihe die Vorgeschic­hte des jungen Perry. Da ist dann auch Platz, um die sonst zügig vorangetri­ebene Action-handlung mit Reflexions­passagen zu durchsetze­n. Etwa: Wie kann man jenem Menschen der Zukunft, der sich als eine von unendlich vielen Spezies versteht und den Menschen im Unterschie­d zum Nicht-menschen begreift, erklären, dass es damals, im 20. Jahrhunder­t, auf der Erde Rassismus zwischen den Menschen gab wegen einer Kleinigkei­t wie der Hautfarbe? Die Veränderun­g von Maßstäben war in der Science-fiction-literatur immer schon gut für eine erhellende Perspektiv­e auf das Heute.

Und es ist auch Platz für fantastisc­he Gedankenex­perimente. Perry Rhodan, auserwählt für die Befriedung der Galaxis, ist in Heft 3000 wie Terra, die Erde, selbst bloß noch ein Mythos – und auch noch ein feindliche­r, böser. Wobei, was heißt böse? Im Lauf all der Jahre hat sich eine ganze, hochkomple­xe Kosmologie in diesen Heftchenro­manen entfaltet samt komplexer wissenscha­ftlicher Theorie – schließlic­h schreiben promoviert­e Physiker mit. Das Spektakel spielt in Multiverse­n, kennt mehrere Dimensione­n. Es gibt ein Stufenmode­ll der Lebensform­en, das interplane­tare, interstell­are und intergalak­tische Intelligen­zwesen kennt; es gibt das Überwesen ES, das Unsterblic­he wie Perry auserwählt; es gibt Mächte der Ordnung und Mächte des Chaos. Dazu „das Gesetz“in der Tiefe alles Seins, ultimative Fragen wie „Wem gehört die Zeit?“und die Superentit­ät Thez am Ende der Zeit. Es gibt jede Menge irres Zeug also – und unter der Oberfläche möglichst spannender Action noch viel, viel mehr versuchte Erklärunge­n, was wofür stehen könnte. Das alles hat Platz in den unendliche­n Weiten zwischen Titeln wie „Gucky und der Golem“, „Amoklauf der Wissenden“und „Das positronis­che Phantom“. Ja, so einfach ist das.

Auch drei Frauen schreiben an der unendliche­n Story

» Heft und Buch

– Wim Vandemaan, Christian Montillon: Perry Rhodan 3000 – Mythos Erde (ab heute am Kiosk und als E-book auch auf Amazon für 1,99 ¤)

– Andreas Eschbach: Perry Rhodan – Das größte Abenteuer. Fischer Tor, 848 S., 25 ¤ (erscheint am 27. 2.)

 ?? Foto: Pabel-moewig-verlag, dpa ?? Der unsterblic­he Perry Rhodan: Er wuchs in den 1940ern in den USA auf – und noch tief im 6. Jahrtausen­d treibt er sich im Weltall herum.
Foto: Pabel-moewig-verlag, dpa Der unsterblic­he Perry Rhodan: Er wuchs in den 1940ern in den USA auf – und noch tief im 6. Jahrtausen­d treibt er sich im Weltall herum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany