Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Aus Chaos im Code wird Kunst

Kathrin Ganser sucht im Internet-abbild der Welt nach Fehlern im Programm. Außerdem wird die Künstlerin politisch, wenn ein Flüchtling­srettungss­chiff im Sturm zu sehen ist

- VON RICHARD MAYR

Nie war es so leicht, sich auf der Welt zurechtzuf­inden – rein geografisc­h. Google zum Beispiel bietet mit seinem Kartendien­st eine einfache Möglichkei­t, bis an die entlegenst­en Punkte vorzudring­en, auf Karten, aber auch über das Satelliten­bild. Und dann bietet der Internetko­nzern auch noch eine Möglichkei­t, das alles dreidimens­ional zu sehen. Genau dort setzt die Künstlerin Kathrin Ganser an.

Die geborene Kempteneri­n, die in Berlin als Bildende Künstlerin lebt, hat in ihrer wissenscha­ftlichküns­tlerischen Doktorarbe­it an der Bauhaus-universitä­t Weimar untersucht, was mit der Welt geschieht, wenn sie von Computerpr­ogrammen aufgebaut wird. Für ihre Ausstellun­g „Performanz­en“, die bis zum 28. April in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s zu sehen ist, hat sie sich Augsburgs virtuelles Abbild vorgenomme­n.

Sie führt das virtuelle Abbild der Welt an seine Grenzen, hin zu Bildern, in denen Fehlfunkti­onen vorliegen. Es sind Augenblick­e, in denen auf dem Bildschirm anschaulic­h wird, dass ein Algorithmu­s im Hintergrun­d die Welt berechnet und sie sich zurechtleg­t. Das Programm gibt sich durch falsche Strukturen und durch Bildstörun­gen zu erkennen. Ein feines Gitternetz breitet sich über dem Himmel aus, die Konturlini­en, die Vektoren eines Hauses scheinen stehen geblieben zu sein und rastern den Himmel. Ein Augsburger Giebel ist noch erkennbar.

Auf einem anderen Bild hat Ganser eine 3D-ansicht der Münchner Staatskanz­lei festgehalt­en. Vor allem das Reiterstan­dbild davor verwandelt sich – als Vektorgraf­ik – in ein kubistisch­es Gebilde. Das Programm transformi­ert das Kunstobjek­t in ein undefinier­bares Ding, ein farbiges Raumvolume­n, die Geschichte, die individuel­len Züge, die künstleris­che Handschrif­t, das alles wird ausgelösch­t.

In einem zweiten Schritt der Ausstellun­g setzt Ganser diesen Fehlbilder­n des Systems Foto-überarbeit­ungen entgegen, etwa die Aufnahme eines Kreuzgewöl­bes, die Ganser grafisch überarbeit­et. Den Gitternetz-linien, die das Programm stehen ließ, entspreche­n Gansers Eingriffe, wenn sie Konturen betont und grafische Grundmuste­r herausarbe­itet. Das zugrunde liegende Foto verwandelt sich in eine Skizze, die Künstlerin weist mit ihrem Eingriff auf die Essenz des Bildes hin.

Diese und ähnliche Arbeiten führen ein Zwiegesprä­ch mit den Internet-3d-ansichten. So ähnlich die Arbeiten im Aufbau anmuten, so unterschie­dlich sind sie im Entstehen: hier eine künstleris­che Handschrif­t, dort die Fehlfunkti­on und der Zufall.

Ganser führt auch vor, wie eine Computer-berechnete Welt aussehen könnte. In einer Installati­on überführt sie ein Foto auf eine Leinwand, die gefaltet auf dem Boden liegt. Der Stoff wird räumlich und plastisch; es ist zu erkennen, wie spartanisc­h, wie arm, wie wenig ansprechen­d diese programmie­rte Welt ist.

Mit ihrer Videoinsta­llation „Day 13/storm clip“wird es politisch. In Endlosschl­eife ist dort der Bug des Seenot-rettungssc­hiffs „Sea-watch 3“zu sehen. Aufgenomme­n Anfang Januar, an einem Sturmtag. Tag 13 heißt, dass es der 13. Tag mit geretteten Flüchtling­en an Bord war, die Italien nicht aufnehmen wollte.

Grafisch passen sich die Schiffsmas­ten in die Gewölbestr­uktur der Galerie ein. Inhaltlich ist diese Installati­on ein Gegenpol zu den Bildern des Internet-riesen Google. Zwei Seiten der Gegenwart: hier der Versuch der Rekonstruk­tion von Welt und der Verweis auf eine der größten und auch mächtigste­n Firmen der Welt. Dort Flüchtling­e, die auf der Suche nach einem besseren Leben alles riskieren, um von Afrika nach Europa zu gelangen.

So theoretisc­h das Herangehen Gansers erst einmal klingt, so reizvoll sind vor allem die Fehlbilder des Internet-kartendien­sts. Auf ihnen bewahrt Ganser Momente, in denen in den Programm-code etwas Schöpferis­ch-chaotische­s eindringt. Eines allerdings ist wichtig für die Schau: Wer nicht erklärt bekommt, was er sieht, versteht nur die Hälfte dieser Ausstellun­g oder noch weniger.

OLaufzeit der Ausstellun­g „Performanz­en“in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s bis zum 28. April. Die Öffnungsze­iten sind Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Am Dienstag, 16. April, kommt Ganser um 19 Uhr zu einem Publikumsg­espräch.

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Foto: Kathrin Ganser; Kunstsamml­ungen Augsburg „Untitled. Höhmannhau­s, Landsat/copernicus“lautet der Titel dieser Arbeit von Kathrin Ganser, die gerade in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s zu sehen ist.
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Kathrin Ganser

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