Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Nackte im Fernsehen und im Theater – so ein alter Hut!
Langsam wird’s langweilig: Jeder zweite Krimi, den ich mir im Fernsehen anschaue, beginnt mit einer Kopulationsszene. Und immer ist diese Szene im gleichen Muster aufgebaut: Eine barbusige Dame turnt rittlings auf einem Mann. Und weil das anscheinend nicht genug nackte Haut ist, muss dann später im Krimi die Frau Kommissarin nach einem harten Arbeitstag unter die Dusche, natürlich mit der Kamera, sodass ich und alle anderen Zuschauer etwas Busen zu sehen bekommen. Sex sells – oder wie anders soll man das verstehen?
Jetzt sucht das Staatstheater Augsburg via Zeitung nach einer jungen Frau, die ein Talent darin hat, sich tänzerisch und aufreizend zu entkleiden. Sie soll in einer Oper mitwirken und dort barbusig auftreten. Schon wieder eine Nackerte auf der Bühne. Und ich bezweifle sowohl bei den Krimis als auch im Theater, dass das dramaturgisch notwendig ist.
Erinnern wir uns an das Theater der 1970er Jahre. Ich möchte da nur kurz an den Paragrafen 175 erinnern und anderen sinnenfeindlichen Unsinn. Damals waren alle Mittel erlaubt, um gegen die Überreste dieses Nachkriegs-biedersinns anzukämpfen. Um Prüderie und sexuelle Ignoranz anzugreifen, war auch Nacktheit auf der Bühne ein probates Mittel. Und klar, das Publikum war damals oft geschockt – Stichwort Theaterskandal.
Aber die Darstellung der Nacktheit hat längst ihre Brisanz und ihre Berechtigung verloren. Die Kunst kann heute gut ohne sie auskommen. In den 1980er und 90er Jahren gab es nacktes Fleisch satt. Dann kam auch noch das Internet dazu (als pornografischer Selbstbedienungsladen) und Nacktheit (vornehmlich weibliche) wurde in der Wahrnehmung der Konsumenten ein Produkt wie Snickers oder Perwoll. Eigenartig auch, dass im Zuge der Metoo-debatte die angeführten Beispiele von Nacktheit keinen (femininen) Zorn erregen. Als der unselige Herr Brüderle vor einigen Jahren zu einer Frau sagte, mit ihrer Figur könne sie auch ein Dirndl ausfüllen, gab es einen Orkan der Empörung.
Das deutsche Gegenwartstheater leidet nicht an einem Mangel an Nacktheit. Und die Theater sollten nicht Nackte suchen, sondern Gegenwartsautoren, die die gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeiten spannend für die Bühne aufbereiten. Man sehnt sich doch fast schon nach einem neuen, jungen Kroetz.
In der Zeitung war auch zu lesen, dass das Staatstheater nach Männern sucht, die auf Stelzen gehen können. Da sage ich, frei nach Schiller: „Dem Hause kann geholfen werden.“Nur sollte es sich da bei älteren Augsburgern umsehen. In meiner Kindheit war das Gehen auf selbst gebastelten Stelzen ein beliebtes „Steckenpferd“. Und mit dem Steckenpferd schließt sich hier der Kreis: Nacktheit als Mittel künstlerischer (aufklärerischer) Provokation ist wirklich ein alter Hut.
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An dieser Stelle blickt der Kabarettist Silvano Tuiach für uns auf das Geschehen in Augsburg und der Welt.