Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Saum
Der Saum: Zuletzt hat er doch eine ziemlich randständige, um nicht zu sagen, saummäßige Existenz geführt. Man schaue nur auf eines seiner ehemals großen Reviere, das Kleiderwesen: Wer weiß überhaupt noch, was ein Saumband ist, geschweige denn, wie es richtig anzusetzen wäre? Der Saum in allen seinen Erscheinungsformen, er war irgendwann aus unserer Wahrnehmung gefallen, hatte aufgehört, für uns eine Rolle zu spielen. Das galt nicht zuletzt auch für ein anderes großes Saumgebiet, die Natur. Gräslein und Knöspchen an Feldes, an Baches Rand? Interessiert doch keinen!
Jetzt aber kommt der Saum mit Macht zurück, dank all der Bienenretter und Volksbegehrer, die nach listenreicher Aktion – 18,4 Prozent! – nun mit dem Dichter Rückert frohlocken können: „Sah ich ein Frührot säumen den Horizont der Nacht…“Oder, um es weniger dicht zu sagen: Die jetzt mit ihrer Mahnung Gehör finden, dass man doch künftighin mehr Obacht walten lassen solle mit Wiesen und Feldgehölzen, mit Hecken und eben mit Säumen.
Denn der Saum, in seinem bienenhaft-volksbegehrten Sinn, ist gewissermaßen der Standstreifen der Natur, das schmale Seitenband, auf dem ein Rückzug, ein Innehalten möglich ist. Während auf der angrenzenden Ackerfahrbahn das landwirtschaftliche Gerät oft nur so dahindonnert.
Dass der Saum jetzt so grandios seine Rückkehr erlebt, hat niemand auf der Rechnung gehabt, am wenigsten die Säumer von der Politik. Jetzt rächt sich ihre Saumseligkeit, jetzt rauchen in den Regierungsstuben die Köpfe, wie das Versäumte möglichst schadfrei wieder aufzuholen sei.
Ob der Saum auch auf anderem Schauplatz als in Schollennähe wieder Einzug halten wird, bleibt zwar erst einmal abzuwarten. Im Falle von Flora und Fauna aber ist ein Schritt getan, dem grassierenden Saumschlag Einhalt zu gebieten und stattdessen wieder mehr blühende Kante zu zeigen. Auf dass wir nicht eines Tages noch von Mutter Natur mit einem saftigen Säumniszuschlag belegt werden.