Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Es kann dich töten“
Tiertrainer Kevin Richardson erzählt, wie er für den Kinofilm „Mia und der weiße Löwe“ein Kind und eine Raubkatze zusammengeführt hat
Mr. Richardson, der „Löwenflüsterer“hat als „Vogelmann“angefangen, richtig?
Kevin Richardson: Ja, früher, als ich noch sehr viel jünger war, war das mein Zeitvertreib. Ich habe Vogelbabys geholfen, die aus ihrem Nest gefallen sind. Ich habe sie wieder aufgepäppelt. Man nannte mich den „Vogelmann aus Orange Grove“.
War es schwierig, die Eltern der „Mia“-darstellerin Daniah de Villiers davon zu überzeugen, dass ihre Tochter dieses Projekt überleben wird?
Richardson: (lacht) Was Sie sehen, ist das Resultat einer großen, gemeinsamen Kraftanstrengung. Die Eltern wussten sehr genau, worauf sie sich einlassen. Ich habe zu Regisseur Gilles de Maistre gesagt, dass wir das komplette Vertrauen der Eltern benötigen. Wenn auch nur ein Elternteil seine Zweifel hätte, würde es das Projekt extrem schwierig gestalten. Mit Daniah hatten wir wirklich Glück. Ihre Eltern waren komplett mit an Bord. Und Daniah selbst verkörperte alles, was wir uns nur hätten wünschen können. Sie war auch meine erste Wahl. Das hat mich sehr glücklich gemacht.
Hatten Sie lange Verhandlungen mit Ihrer Versicherung?
Richardson: Eine Bedingung für meine Mitarbeit war, dass ich mich nicht mit solchen Dingen herumschlagen muss. Als ich Gilles zum ersten Mal traf, sagte ich ihm, dass von diesem Projekt eine starke und profunde Botschaft ausgehen würde, wenn es denn zustande käme. Den Plan umzusetzen, würde sich als sehr schwierig gestalten. Gilles liebte gerade diese Herausforderung. Tatsächlich gehörten die Versicherungsangelegenheiten zu den schwierigsten Problemen, die es zu lösen galt. Jemand hat mir mal gesagt, dass es nicht die Frage ist, ob man eine Versicherungsgesellschaft findet. Die Frage ist, wie viel man ihr zu zahlen bereit ist.
Welcher Aspekt dieses Projektes hat Sie am meisten besorgt?
Richardson: Die größten Sorgen machte ich mir über die Beziehung zwischen dieser jungen Dame und dem Löwen, mit dem sie aufwächst. Jeder der am Projekt Beteiligten würde eine große Verantwortung tragen. Ich selbst war in einer Position, in der ich jedes Problem nicht nur todernst nehmen, sondern ihm immer mindestens einen Schritt voraus sein musste. Dazu mussten alle auf derselben Seite spielen. Glückli- cherweise stimmte die Chemie mit Daniah von Beginn an. Das war eine gute Ausgangsposition für eine Beziehung, die immerhin drei Jahre lang währen sollte.
Wie gelingt es Ihnen, nach so vielen Jahren mit Löwen weiterhin stets wachsam zu bleiben?
Richardson: Das Wichtigste, was man immer im Hinterkopf behalten muss, ist demütig zu bleiben und sich die Beziehung zu den Löwen nicht zu Kopf steigen zu lassen. Ich habe das zeitig in meiner Karriere gelernt. In meinen frühen 20ern war ich noch viel zu draufgängerisch. Man muss an die Arbeit mit einem Löwen herangehen wie an das Fliegen mit einem Flugzeug. Du kannst eine Menge Spaß haben, aber du musst das Flugzeug immer respektieren. Andernfalls kann es dich töten. Das hat viele Parallelen zu meiner Arbeit. Die wichtigste Botschaft an den Nachwuchs, der sich mit Löwen beschäftigen will, ist: „Das ist kein Kuscheltier!“Ich habe an diesem Film auch deshalb mitgewirkt, um diese Message einem größeren Publikum zu vermitteln.
Sie beschützen Löwen vor Jägern. Haben Sie deswegen auch schon Ärger bekommen?
Richardson: Ja. Vor einigen Jahren hat Gilles mit mir bereits eine Dokumentation gemacht. Ich habe mit ihm undercover auf Farmen gedreht, die Tiere zur Großwildjagd aufziehen. Ich habe diese Leute gefragt, wo ihre Löwen hingebracht werden und was mit ihnen geschieht. Nach dieser Dokumentation haben mir etliche Organisationen E-mails geschrieben und mir gedroht. Ich weiß, wie es ist, sich für etwas einzusetzen und deswegen auch einstecken zu müssen. Die meisten Leute, die in irgendwelche Machenschaften verwickelt sind, mögen öffentliche Berichterstattung natürlich nicht. Ich glaube aber, dass der Familienfilm bei dieser Klientel keinen empfindlichen Nerv treffen wird. „Mia und der weiße Löwe“ist eine fiktive Erzählung und keine Dokumentation. Das Publikum wird sich trotzdem eine Meinung bilden.
Gibt es auch viele Deutsche unter den Trophäenjägern?
Richardson: Leider ja. Viele der Deutschen wollen Tiere jagen, die wirklich in der Wildnis leben. Sie geben sich mit der Gatterjagd auf Löwen nicht zufrieden. Einige können sich eine sachgerechte Jagd aber nicht leisten, diese 21-tägigen Safaris, bei denen man mit einem erfahrenen Jäger zu einem abgelegenen Park geht. Also kommen sie zur Gatterjagd nach Südafrika und schießen auf eingesperrte Tiere.
Würden Sie sagen, dass manche Löwen – wie manche Menschen – geborene Arschlöcher sind?
Richardson: (lacht) Viele Leute fragen mich, wie Löwen im Vergleich zu uns Menschen so sind. Ich sage ihnen, dass man auf viele der Fragen, die man über Löwen hat, ähnliche Antworten bekommen würde, wenn man sie auf Menschen bezieht. Es gibt unter den Löwen ganz ruhige Typen, die nichts aus der Fassung bringen kann. Es gibt aber auch Löwen, die einfach erblich bedingt mürrisch oder chronisch schlecht gelaunt sind. Ich würde nicht sagen, dass sie Arschlöcher sind, sie sind einfach Löwen. Aber genau wie Menschen können auch Löwen unterschiedliche Launen und Persönlichkeiten haben. Viele sagen, ein Löwe ist ein Löwe ist ein Löwe. Dann könnte man ebenso gut behaupten, ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. Man kann Tiere nicht auf diese Weise klassifizieren. Das ist auch das Problem, weswegen wir wehrhafte Tiere wie Löwen, Krokodile, Haie und Schlangen so verachten. Durch Behauptungen in althergebrachten Büchern oder Dokumentationen wachsen wir damit auf, sie zu fürchten. Aber diese Tiere versuchen einfach in der Wildnis zu überleben.
Ginge es für Sie in Ordnung, irgendwann in der Zukunft durch einen Löwenangriff zu sterben?
Richardson: Es wäre nicht okay, weil ich dann tot wäre! (lacht) Das ist eine sehr nachvollziehbare Frage, die ich auch oft zu hören bekomme. Ich habe 20 Jahre lang unbeschadet mit Löwen gearbeitet. Aber es gibt auch Leute, die tausende Stunden Flugzeug fliegen und doch irgendwann bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen. Ich bin mir des potenziellen Risikos völlig bewusst. Aber ich glaube, dass die Erfahrung über die Jahre hinweg und die enge Zusammenarbeit mit den Tieren das Risiko etwas verringern. Aber es bleibt natürlich immer ein Risiko, genauso wie beim Autofahren. Oder beim Spaziergang. Sie können nicht ohne Risiko leben. Wahrscheinlich ist mein Risiko beim Umgang mit den Löwen kleiner als bei anderen Alltagsdingen.
Die Fragen stellte André Wesche