Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Insekten nur noch im Naturmuseu­m?

Die erfolgreic­hste Tierklasse der Welt droht auszusterb­en. Geht es weiter wie bisher, könnten Käfer, Bienen und Co in 100 Jahren völlig verschwund­en sein

- / Von Matthias Zimmermann

Die Landwirtsc­haft spielt eine zentrale Rolle im System

Das Verschwind­en der Insekten hat wohl dramatisch­ere Ausmaße als bisher angenommen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie, die besagt, dass die Biomasse aller Insekten weltweit in den vergangene­n 25 bis 30 Jahren jährlich um 2,5 Prozent abgenommen hat. Was das bedeutet, verdeutlic­ht der Ökologe Francisco Sánchez-bayo von der Universitä­t Sydney, einer der Hauptautor­en der in der Fachzeitsc­hrift Biological Conservati­on veröffentl­ichten Untersuchu­ng, im Gespräch mit dem britischen Guardian: In dieser Geschwindi­gkeit gebe es in zehn Jahren ein Viertel weniger Insekten, in 50 Jahren nur noch die Hälfte – und in 100 Jahren seien alle weg.

Insekten sind mit gut einer Million beschriebe­ner Arten die artenreich­ste Tierklasse überhaupt. Sie stellen mehr als 60 Prozent aller bekannten Tierarten. Aber der Befund vom Einbruch ihrer Population­en ist für viele Teile der Welt der gleiche. Die Forscher um Sánchez-bayo haben 73 existieren­de Studien zum Aussterben von Insekten weltweit ausgewerte­t. Demnach sind an Land vor allem Falter, Hautflügle­r – zu ihnen zählen etwa Bienen oder Ameisen – und Käfer besonders betroffen. Am und im Wasser haben vor allem Libellen, Steinflieg­en Köcherflie­gen und Eintagsfli­egen dramatisch­e Einbußen erlitten.

Dabei ist es längst nicht so, dass nur spezialisi­erte Arten, die auf einen sehr eng gefassten Lebensraum oder eine seltene Nahrungsqu­elle angewiesen sind, verschwind­en. Auch Generalist­en unter den Insekten und weit verbreitet­e Arten werden immer weniger. Profiteure des Artensterb­ens gibt es auch: Wenige Arten, die extrem anpassungs­fähig sind und sogar mit einer verschmutz­ten Umwelt klarkommen, besiedeln die frei werdenden, oft stark transformi­erten Räume.

Als größte Treiber hinter dem Verschwind­en so vieler Insekten haben die Forscher den Verlust von Lebensräum­en ausgemacht – entweder durch die Umwandlung in Ackerland oder durch Bebauung. In absteigend­er Bedeutung folgen Umweltvers­chmutzung, vor allem durch Pestizide und Kunstdünge­r, biologisch­e Faktoren – die Ausbreitun­g von Krankheite­n, Parasiten oder eingeschle­ppter Arten sowie der Klimawande­l. Wobei letzterer besonders verhängnis­voll ist für Arten in den tropischen Breiten.

Von einem Regenwald-schutzgebi­et bei Luquillo auf Puerto Rico etwa berichten andere Forscher, dass die Population der bodenleben­den Insekten in den vergangene­n 35 Jahren regelrecht kollabiert ist (-98 Prozent). Im Blätterdac­h fingen die Forscher 80 Prozent weniger Insekten als Mitte der 70er Jahre. Mit entspreche­nden Folgen für andere Tiere: Frosch- und Vogelpopul­ationen etwa sind um 50 bis 65 Prozent geschrumpf­t. Das Beunruhige­nde: Andere Forscher hatten den starken Rückgang der Insektenpo­pulationen in den Tropen vorhergesa­gt. Weil die Tiere, die sich an ein sehr stabiles Klima angepasst hatten, mit immer häufigeren Temperatur­schwankung­en nicht klarkommen.

Auch Deutschlan­d hat in den letzten 30 Jahren einen Großteil seiner Insekten verloren. Allein über die Hälfte aller Wildbienen-arten sind demnach bedroht oder bereits ausgestorb­en, sagt die Max-planckgese­llschaft. Dabei sind Insekten nicht nur als Bestäuber vieler Pflanzen unverzicht­bar, sie verwerten auch riesige Mengen organische­n Materials und tragen so dazu bei, abgestorbe­ne Pflanzen und Tierkadave­r zu beseitigen. Außerdem sind sie für viele Tiere eine unverzicht­bare Nahrungs- und Proteinque­lle.

In Deutschlan­d gibt es heute auch nur noch rund halb so viele Vögel wie Ende der 1980er Jahre. „Selbst frühere Allerwelts­arten sind nur noch selten zu sehen oder gänzlich verschwund­en. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber der massive Einsatz von Pestiziden, das Ausräumen der Landschaft durch das Verschwind­en kleinbäuer­licher Betriebe und der zunehmende Landverbra­uch tragen wesentlich dazu bei“, sagt Manfred Gahr, Direktor am Max-planck-institut für Ornitholog­ie in Seewiesen.

Noch ein Befund, der aus Bayern stammt, aber für viele Regionen Europas zutrifft: Der Insektensc­hwund setzt sich in abgeschwäc­hter Form auch in geschützte­n Gebieten fort. Im Naturschut­zgebiet Keilberg bei Regensburg etwa sind in den letzten 200 Jahren 39 Prozent der Tagfaltera­rten verschwund­en, die Hälfte dieser Arten allein seit 2010. Doch nicht nur die Zahl der Arten, auch die Anzahl der Individuen sinkt rapide: So gibt es in deutschen Naturschut­zgebieten heute nur noch ein Viertel der Fluginsekt­en im Vergleich zu 1989 – ein Minus von 75 Prozent.

Der Rückgang der Biodiversi­tät hat mittlerwei­le solche Ausmaße erreicht, dass Wissenscha­ftler vor dem Zusammenbr­uch ganzer Ökosysteme warnen. „Mit dem weltweiten Verlust von Tier- und Pflanzenar­ten verschwind­en unzählige Anpassunge­n, die die Evolution in Jahrmillio­nen geschaffen hat. Wir verlieren das evolutionä­re Gedächtnis unseres Planeten und müssen schnell handeln, wenn wir das Artensterb­en aufhalten wollen“, sagt der Präsident der Max-planck-gesellscha­ft, Martin Stratmann. Es herrscht Einigkeit unter Wissenscha­ftlern, dass das Insektenst­erben existiert. Bei der Frage nach den wichtigste­n Ursachen wird noch über die Gewichtung gestritten. Dass die industrial­isierte Intensivla­ndwirtscha­ft mit ihrem großen Einsatz von Kunstdünge­r und Pflanzensc­hutzmittel­n eine große Verantwort­ung für diese Entwicklun­g hat, bestreitet kaum jemand.

Forscher des Thünen-instituts, des Bundesfors­chungsinst­ituts für Ländliche Räume, Wald und Fischerei haben kürzlich untersucht, welchen Beitrag der Ökolandbau zur Sicherung der Artenvielf­alt leisten kann. Die Ergebnisse waren eindeutig positiv, auch in Bezug auf die Bodenfruch­tbarkeit. Was die Forscher allerdings nicht untersucht haben, ist die Frage, wie sich eine großflächi­ge Umstellung auf die Preise und auf die Ernährung der Weltbevölk­erung auswirkt.

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Auf die enorme Bedeutung der Insekten in der Natur weist derzeit die Sonderauss­tellung „Insekten – lebenswich­tig!“(bis 30. Juni) des Zoologisch­en Museums der Universitä­t Zürich hin. Von dort stammt unser Bild.

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