Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Komiker will Präsident werden
In seiner Tv-serie wird Wladimir Selenski zufällig ukrainischer Staatschef. Jetzt könnte seine Rolle Realität werden: Der 41-Jährige führt vor der Wahl die Umfragen an
Er hat das alles schon einmal durchgemacht. Wahlkampagne, Abstimmung, Inauguration als Präsident der Ukraine. Er tat sich schwer damit, verhielt sich ungelenk. Übte seine Reden mit Walnüssen im Mund, seine Begrüßungsfloskeln mit Statisten für Angela Merkel und Wladimir Putin. Er kennt die Intrigen der Macht, zumal der ukrainischen. Er hat sie als Kunstfigur Wassili Petrowitsch Goloborodko seiner beliebten Serie „Diener des Volkes“gekonnt aufgespießt. Nun will Wladimir Selenski auch im realen Leben das werden, was sein Held Goloborodko seit 2015 im ukrainischen Fernsehen ist: Präsident der Ukraine. Seine Chancen bei der Wahl am 31. März stehen nicht schlecht.
Die jüngsten Umfragewerte bescheinigen ihm knapp 27 Prozent der Stimmen, noch vor dem Amtsinhaber Petro Poroschenko und der ewigen Herausforderin Julia Timoschenko. Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als würde alles auf ein Duell zwischen Poroschenko und Timoschenko hinauslaufen. Doch die Stunde der Außenseiter schlägt auch in der Ukraine.
In Italien hat der Komiker Beppe Grillo die Parteienlandschaft umgekrempelt, in Slowenien ist der Kabarettist Marjan Sarec seit einem halben Jahr Ministerpräsident. Seit Selenski an Silvester seine Kandidatur erklärt hatte, klettert die Zustimmung für den 41-Jährigen stetig nach oben. Die Ukrainer gieren geradezu nach einem neuen, frischen Gesicht, nach einem, der nicht für Vermischung von Wirtschaft und Politik steht. So wie der „Präsident Goloborodko“: ein Geschichtslehrer, der zufällig einen Kollegen mit Schimpftiraden belegt und von einem Schüler dabei gefilmt wird, zum Internetstar aufsteigt und schließlich ein „fleißiger, ehrlicher, gerechter“Präsident wird. Eigenschaften, die viele Ukrainer bei ihren Politikern offensichtlich vermissen. Selenski ist kein Politiker. Das ist sein Trumpf. Der Professorensohn erscheint als geradezu perfekt, um die korrupten Strukturen aufzubrechen. Doch selbst sein bescheidener, sympathischer Goloborodko scheitert schließlich als „Diener des Volkes“. Und auch bei Selenski und seiner nach der Serie benannten Partei bleibt einiges undurchsichtig. Ihr Vorsitzender soll Iwan Bakanow sein, ebenfalls ein Komiker. Ende Januar hatte die Partei, die sich als sozial-demokratisch und sozialliberal bezeichnet, ein vier Seiten dünnes Programm veröffentlicht.
Die Rede ist dabei von der Einführung von Volksabstimmungen, einer Beteiligung aller Ukrainer am nationalen Reichtum von Geburt an, vom Straßenbau auf europäischem Niveau. Doch Kritik bringt Selenski vor allem seine Nähe zum Oligarchen Igor Kolomoiski ein, der als Feind Poroschenkos gilt. Ob Selenski nur eine Spielfigur in Kolomoiskis Wahlintrige ist? Dieser Zug würde da fast schon zu perfekt in Selenskis „Diener des Volkes“-serie passen. Oder auch in die reale ukrainische Politik.