Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Warum kaum noch Flüchtlinge in Italien landen
Hauptankunftsland ist längst Spanien. Hilfsorganisationen protestieren
Rom Die europäische Flüchtlingspolitik im Mittelmeer hat sich in den vergangenen Monaten verändert. Besonders kompromisslos zeigt sich die Regierung in Rom, die seit vergangenem Sommer Schiffen der Hilfsorganisationen, die Flüchtlinge vor Libyen aufnehmen, die Einfahrt in italienische Häfen verweigert. Auch die italienische Küstenwache selbst war bereits von der Blockade betroffen. Diese Politik, die das Ziel der Verringerung der Ankünfte von Migranten in der EU hat, wird von manchen Eu-regierungen aktiv unterstützt und von den meisten mangels Alternativen geduldet.
Inzwischen sieht alles danach aus, als würde auch die bis Ende März laufende, unter italienischem Kommando stehende Eu-mission „Sophia“nicht verlängert. Im Rahmen der eigentlich gegen Schlepperbanden gerichteten Kampagne wurden seit 2015 auch etwa 45000 Schiffbrüchige im Mittelmeer gerettet. Deutschland setzte Anfang Februar seine Beteiligung aus mit der Begründung, die Mission erfülle nicht mehr ihre eigentliche Hauptaufgabe. Eine am Einsatz beteiligte Bundeswehr-fregatte sei in abgelegenste Gebiete beordert worden. Auch Belgien setzte seine Beteiligung aus. Hintergrund ist der unverkennbare Plan des italienischen Innenministers Matteo Salvini, so wenige Migranten wie möglich in Italien an Land gehen zu lassen.
So stellte Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta jüngst die Bedingung, dass „Sophia“nur fortgesetzt würde, wenn nicht mehr ausschließlich Italien für die Aufnahme der im Rahmen der Mission aufgenommenen Schiffbrüchigen zuständig sei. Diese Forderung rührt an den Kern der Debatte um die Neuauflage des Eu-asylrechts. Nach der sogenannten Dublin-verordnung ist der Staat der Ankunft auch für die Aufnahme oder Ablehnung der Migranten und ihre Asylverfahren zuständig. Italien fordert die Veränderung der Dublin-regelung, vor allem einige osteuropäische Staaten lehnen eine Reform und die Eu-weite Verteilung der Ankömmlinge aber kategorisch ab. Aus diesem Grund suchen die Eu-staaten für die von Hilfsorganisationen im Mittelmeer aufgelesenen Migranten immer wieder komplizierte Ad-hoclösungen.
In der Auseinandersetzung sind keine wesentlichen Veränderungen in Sicht. Unterdessen wird in der EU ein unausgesprochener Konsens gepflegt, die Ankünfte mit allen Mitteln so gering wie möglich zu halten. Im Jahr 2018 kamen 139 300 Flüchtlinge über das Meer in die EU, so wenige Menschen wie seit fünf Jahren nicht. 2275 Migranten starben dabei. Spanien ist inzwischen das Hauptankunftsland mit etwa 50 Prozent aller über das Meer kommenden Migranten, dann folgt Griechenland mit rund 30 Prozent. Italien, das jahrelang die Hauptlast der Ankömmlinge trug, betreibt radikale Abschottung. 2019 wurden hier bisher nur 215 Flüchtlinge an Land gelassen, insgesamt waren es in der EU bis Mitte Februar 7421 Schiffbrüchige.
Effektiv ist vor allem die Ausbildung und Einbindung der libyschen Küstenwache, die inzwischen die meisten Flüchtlinge wieder zurück auf libysches Territorium bringt. „Die libysche Küstenwache sorgt dafür, dass inzwischen rund 85 Prozent aller Flüchtlinge in Libyen an Land gebracht werden, wo sie unter fürchterlichen Bedingungen festgehalten werden“, sagt Federico Fossi, Sprecher des Un-flüchtlingshilfswerks. Nach Unhcrangaben hat auch die italienische Küstenwache ihren Radius eingeschränkt. Die Bedingungen für die Hilfsorganisationen werden immer
In Libyen sind die Bedingungen „fürchterlich“
schwieriger. „Seit 2016 läuft eine Kampagne gegen die Seenotrettungsorganisationen im Mittelmeer“, sagt Chris Grodotzki von der Berliner Organisation Sea-watch.
Deren Schiff wurde Ende Januar nach einer zehntägigen Odyssee mit 47 Migranten an Bord in den Hafen von Catania beordert und muss seither mehreren Überprüfungen standhalten. Nach Abschluss der Inspektion durch die italienische Küstenwache folgte eine zweite Untersuchung durch den Flaggenstaat Niederlande. „Dieselbe Inspektion wurde erst vor acht Monaten durchgeführt, es ist überdeutlich, dass hier politische Gründe ausschlaggebend sind“, sagt Grodotzki. So werfen die Niederländer Sea-watch vor, nicht für den tagelangen Transport von Menschen ausgerüstet zu sein. „Es sind Malta und Italien, die uns durch ihre Blockaden erst in diese Lage bringen“, sagt der Sprecher.
Einige nicht staatliche Hilfsorganisationen müssen sich gerichtlich verantworten. So läuft ein Verfahren gegen zehn Mitglieder der Besatzung des deutschen Hilfsschiffes Iuventa im italienischen Trapani wegen Beihilfe zur illegalen Einreise. Der Kapitän der unter niederländischer Flagge fahrenden Lifeline steht in Malta wegen angeblich falscher Registrierung des Schiffs vor Gericht. Auch unabhängige Beobachter wie der stellvertretende Leiter des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze in Berlin, Tobias Pietz, stellen eine „fadenscheinige strafrechtliche Verfolgung privater Seenotrettungsinitiativen“im Mittelmeer fest.