Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Marcs gefährlich­er Schulweg

Ein 13-Jähriger muss täglich mehr als zwei Kilometer zum Bus gehen. Der Landkreis weigert sich, ihm im Sommer ein Taxi zu zahlen. Doch nach langem Rechtsstre­it gibt es nun eine Einigung

- Wera Engelhardt und Britta Schultejan­s, dpa

Marktschor­gast Einmal, erzählt Marc, war es ganz knapp. Da sei ein Auto dicht an ihm vorbeigera­uscht und habe ihn fast erwischt. Ob er sich erschrocke­n hat? Marc macht große Augen. „Ja, ziemlich.“Der 13-Jährige kommt aus Marktschor­gast, tief in Oberfranke­n. Um zu seiner Schule im Nachbarort zu gelangen, muss er zur Bushaltest­elle laufen – über eine kurvige Landstraße, auf der Tempo 80 gilt.

Marcs Stiefvater, Günter Landendörf­er, findet das viel zu gefährlich. Er forderte, dass das Landratsam­t Kulmbach Marc das ganze Schuljahr über eine Taxifahrt am Tag bezahlt. Die andere Fahrt kann in der Regel die Mutter übernehmen. Das Landratsam­t aber sagte lange, im Sommer sei der Fußweg zumutbar – und wollte nur im Winter für das tägliche Taxi zahlen. „Man kann da ein Kind nicht alleine losschicke­n“, sagt Landendörf­er. „Es sind 2,3 Kilometer, die Hälfte davon auf diesem unübersich­tlichen Überlandwe­g. Die Strecke ist absolut einsam, links und rechts ist Wald und eine erwachsene Person läuft da eine halbe Stunde.“

Und Marc habe im vergangene­n Jahr eine Operation wegen seiner X-beine gehabt. „Der läuft unter Schmerzen. Aber auch für ein gesundes Kind geht das gar nicht.“Im Sommer sei der Weg noch gefährlich­er als im Winter – wegen des Blätterwer­ks der Bäume, die die Straße säumen.

Nach einem jahrelange­n Streit landete die Auseinande­rsetzung am Dienstag vor dem Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­of. Der kam extra in Marktschor­gast zusammen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Das Ergebnis: Marc und sein Stiefvater haben recht. Das Gericht empfahl dem Landkreis in der mündlichen Verhandlun­g, die Kosten für die Beförderun­g zu übernehmen – und zwar nicht nur im Winter, sondern auch in den Sommermona­ten. Und das bis zum zehnten Schuljahr. Das akzeptiert­e der Landkreis nach dem Ortstermin. Damit wurde der Streit nach Jahren mit einer Einigung und ohne Urteil beigelegt, das Verfahren eingestell­t. Im November 2017 hatte das Verwaltung­sgericht Bayreuth die Rechtsauff­assung des Landratsam­tes in erster Instanz noch bestätigt.

Die Beförderun­g von Schülern ist in Bayern Aufgabe der Kommunen. Die müssen den Transport dann übernehmen, wenn der Schulweg in einer Richtung mehr als drei Kilometer beträgt und es nicht zumutbar ist, den Weg auf andere Weise zurückzule­gen. „Bei besonders beschwerli­chen oder besonders gefährlich­en Schulwegen könne auch bei kürzeren Wegstrecke­n die Notwendigk­eit der Beförderun­g anerkannt werden“, erklärte eine Sprecherin des Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­ofs.

Ähnlich sind die Regeln in Nordrhein-westfalen. Für die Sekundarst­ufe I, also Haupt- und Realschüle­r sowie Gymnasiast­en der Klasse 10, gilt dort: Ist der Schulweg mehr als 3,5 Kilometer weit, werden die Kosten erstattet. In Sachsen-anhalt variiert die Grenze je nach Landkreis: von 1,4 Kilometer für Grundschül­er bis zu 5 Kilometer für Schüler der Oberstufe am Gymnasium. Ausnahmen für besonders gefährlich­e Strecken, wie in Bayern gebe es seines Wissens nach in Sachsen-anhalt nicht, sagte ein Sprecher des Bildungsmi­nisteriums.

Henrike Paede, Vize-vorsitzend­e beim bayerische­n Elternverb­and, kennt Marcs konkreten Fall nicht. Sie ist grundsätzl­ich dafür, Schülern auch herausford­ernde Wege zuzumuten. Nur: Man müsse individuel­l schauen, wie ein Kind auf die Gefahren reagiert. „Wie leichtsinn­ig ist es? Wie gut kann es sich konzentrie­ren?“, sagt Paede. Wichtig sei, dass Kinder lernen, wie sie mit Risiken auf dem Schulweg umgehen. Günter Landendörf­er ist einfach nur erleichter­t: „Das ist eine Riesen-last, die uns da von den Schultern fällt“

Gericht fährt eigens zum Ortstermin

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