Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wenn sich Nachbarn streiten...
... dann geht es vor Gericht um Bienen, eine Überwachungskamera und um Brennholz für den Winter, das plötzlich völlig durchnässt ist. Warum eine Richterin kein Urteil spricht
Augsburg Ein Haus mit Garten, Krokusse, die bei diesen frühlingshaften Temperaturen schon aus dem Boden spitzen. Die Vögel zwitschern. Wer hat nicht schon davon geträumt? Das eigene Zuhause kann so schön sein. Die Realität kann aber auch zu einem lebenslangen Albtraum werden. Na ja, zumindest für zwei Jahrzehnte, die es in diesem Fall sind, der an diesem Vormittag im Saal 142 des Augsburger Amtsgerichts aufgerollt wird. Schnell wird klar: Hier bekämpfen sich zwei Nachbarn aufs Erbittertste. Sie schenken sich nichts. Leidtragende sind aber auch Polizeibeamte, die bei jeder Anzeige tätig werden müssen, und die Mitarbeiter der Justiz.
„Wir haben seit mindestens 15 Jahren kein Wort miteinander gewechselt“, berichtet die Zeugin. Die 51-Jährige hat ihren Nachbarn jetzt das erste Mal vors Strafgericht gebracht. Es geht juristisch betrachtet um eine Lappalie. Der Vorwurf: Sachbeschädigung. Brennholz im von 80 Euro soll durch Verschulden des Nachbarn durchnässt worden sein und damit unbrauchbar, um noch im Winter verheizt zu werden. Die bereits von einem Amtsrichter per Strafbefehl verhängte Geldstrafe von 800 Euro haben der pensionierte Beamte und sein Verteidiger Udo Reissner nicht akzeptiert. Daher trifft man sich jetzt vor Gericht.
Und da zeigt sich im Prozess, dass die Anzeige der Augsburgerin wohl als Gegenangriff zu sehen ist. Auch sie ist von ihrem Nachbarn wegen Sachbeschädigung angezeigt worden, und zwar schon Wochen zuvor: Der pensionierte Beamte hatte im Herbst 2017 entlang der Grundstücksgrenze sein Brennholz in Gitterboxen gestapelt und, damit es trocken bleibt, mit einem Blechdach geschützt. Das Dach ragte über die Grundstücksgrenze und so floss – absichtlich oder nicht – Regenwasser direkt auf das Holzlager der Nachbarin. Die ließ, als sie den Schaden bemerkte, das Blech von einem Gärtner entfernen. Wie die Frau ausführt, hat sie die Arbeiten filmisch dokumentiert, um notfalls beweisen zu können, das Grundstück dabei nicht betreten zu haben. Denn „Betreten verboten“heißt es auf dem Schild, das im Nachbargarten aufgestellt ist. Was Richterin Ute Bernhard wundert, denn dieser ist nicht eingezäunt. Doch: Das Betretungsverbot gelte ausschließlich der Nachbarin und ihrem Gärtner, erklärt der Angeklagte.
Wie konnte es soweit kommen? Die Nachbarin berichtet, dass schon bald nach ihrem Einzug 1999 die Streitereien angefangen hätten. Erst ging es um Bienen. Der heute 58-Jährige hatte mehrere Bienenvölker, die sich erwartungsgemäß nicht an Grundstücksgrenzen hielten. „Wenn die Völker bei mir waren“, so die Zeugin, „haben sich meine Patienten nicht mehr reingewert traut.“Die Frau ist Heilpraktikerin. Der Konflikt verschärfte sich, als die Frau den Familienvater anzeigte, Polizisten daraufhin sein Haus durchsuchten. Stein des Anstoßes war eine Überwachungskamera, die auf ihr Grundstück gerichtet war. Ihr Nachbar musste sie entfernen.
Als der Prozess schon fast zwei Stunden dauert, Angeklagter und Nachbarin ausgiebig zu Wort gekommen sind, zieht Richterin Bernhard resignierend ihr Fazit: „Ich kann auch keinen Frieden stiften, das ist mir schon klar. Man beschuldigt sich hier gegenseitig.“
Wenig später stellt das Gericht das Strafverfahren wegen Geringfügigkeit ein. Und zwar ohne die zwei Zeugen gehört zu haben, die noch vor dem Gerichtssaal warteten. „Wir gehen auseinander und wir wissen, dass es weitergeht“, verabschiedet die Richterin die Beteiligten und die Zuhörer im Saal. Sie dürfte schon bald recht behalten: Die Staatsanwaltschaft hat das Landeskriminalamt mit einem Gutachten beauftragt ...
Betretungsverbot gilt nur für eine Frau