Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Die wenigsten sollten eine Immobilie kaufen“
Käufer zahlen weiter niedrige Zinsen für Immobilienkredite. Gleichzeitig steigen die Preise rasant. Warum Wohneigentum nach Ansicht des Ökonomen Steffen Sebastian keine gute Altersvorsorge ist
Herr Professor Sebastian, die Zinsen in Deutschland sind derzeit niedrig, während sie in den USA zum Beispiel bereits gestiegen sind. Sollte man den Niedrigzins im Euroraum nutzen und sich schnell eine Immobilie kaufen oder bauen?
Professor Steffen Sebastian: Man sollte eine Kaufentscheidung nicht von solchen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen abhängig machen. Wenn man davon ausgehen kann, dass sich in den nächsten 15 Jahren nichts an der eigenen Lebenssituation ändert, man beruflich abgesichert ist und Zins und eine Tilgung von lieber drei als zwei Prozent pro Jahr tragen kann, dann kann man in die eigene Immobilie investieren.
Den günstigen Krediten stehen hohe Kaufpreise entgegen, die noch stärker als die Mieten gestiegen sind. Lohnt sich selbst genutztes Wohneigentum bei diesen Preisen überhaupt?
Sebastian: Die wenigsten Menschen sollten eine Immobilie kaufen. Aus finanzwirtschaftlicher Sicht ist Mieten fast immer besser als Kaufen. Das Problem ist nämlich, dass bei Privatleuten durch die Verschuldung 300 bis 400 Prozent des gesamten Eigenkapitals in der Immobilie gebündelt ist. Man muss schon sehr reich sein, um sich ein derartiges Klumpenrisiko leisten zu können. Die gestiegenen Kaufpreise haben Wohneigentum im Vergleich zum Mieten natürlich nicht attraktiver gemacht.
Ist das Konsens unter Wissenschaftlern? Es heißt doch immer, eine selbst genutzte Immobilie sei die beste Altersvorsorge.
Sebastian: Zeigen Sie mir einen Wissenschaftler, der das behauptet. Selbst genutzte Immobilien können immer nur ein Teil der Altersvorsorge sein. Kein Mensch käme auf die Idee, einen Großteil seines Vermögens in nur eine einzelne Aktie zu stecken. Bei Immobilien machen viele Menschen aber genau das. Ein Wertpapier lässt sich im Übrigen stückweise verkaufen. Bei einem Haus kann ich nicht einfach ein Badezimmer verkaufen, wenn ich Geld brauche. Ein Wertpapier schüttet zudem eine Dividende aus. Die selbst genutzte Immobilie verursacht hingegen im Alter Reparaturkosten. Hierfür muss man zusätzlich Rücklagen bilden. Eine Immobilie ist daher eine sehr problematische Form der Altersvorsorge. Ihr Vorteil ist nicht wirtschaftlicher, sondern psychologischer Natur. Schuldner unterwerfen sich einem Sparzwang und bauen durch ihre Tilgung Vermögen auf, während Mieter bei gleichem Einkommen im Durchschnitt deutlich weniger sparen und daher im Alter schlechter abgesichert sind.
Wie groß ist der Anteil der niedrigen Zinsen an den Preissteigerungen bei Grund, Häusern und Wohnungen? Und sinken die Preise wieder, wenn der Zins nach oben geht?
Sebastian: Der niedrige Zins ist nahezu vollständig für die hohen Preise verantwortlich. Wegen der günstigen Kredite können aktuell Menschen in eine Immobilie investieren, die sich das vor einigen Jahren nicht leisten konnten. Gleichzeitig sind alternative Zinsanlagen wenig attraktiv. Das bedeutet viel Nachfrage am Markt – und damit steigende Preise. Doch dass sie bald wieder sinken, halte ich für unwahrscheinlich, auch wenn das Risiko dafür immer größer wird. Wenn die Preise jedes Jahr zehn Prozent steigen, wird es eben immer wahrscheinlicher, dass sie irgendwann wieder fallen. Ursache der gestiegenen Wohnungsmieten ist hingegen vor allem die Migration vom Land in die Städte und aus dem Eu-ausland nach Deutschland. Hingegen hatte die Flüchtlingskrise von 2015 auf dem Immobilienmarkt keinen nachhaltigen Effekt.
Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte sind Immobilienfonds. Weltweit können Investoren damit in deutsche Immobilien investieren. Wie stark treibt das die Preise?
Sebastian: Das ist schwierig zu quantifizieren, allerdings halte ich sie für eine Randerscheinung – auch wenn es manchmal so dargestellt wird, als würden ausländische Investoren den deutschen Immobilienmarkt leerkaufen. Den Großteil der deutschen Immobilien kaufen immer noch Deutsche.
Trotzdem lebt etwa die Hälfte der Deutschen in Miete, während in Italien fast drei Viertel der Wohnungen und Häuser von ihren Eigentümern bewohnt werden. Italien ist doch nicht reicher als Deutschland?
Sebastian: Solche Zustände sind für Deutschland nicht wünschenswert. Wenn ein Großteil der Wohnungen von ihren Eigentümern bewohnt wird, ist der Mietmarkt entsprechend klein. Das zwingt Menschen mit geringen und mittleren Einkommen ins Wohneigentum. Und genau das hat die Finanzkrise verursacht, weil sich zu viele Schuldner übernommen haben.
Muss man denn angesichts des Baubooms auch in Deutschland befürchten, dass Kredite bald nicht mehr bedient werden können – also eine Immobilienblase droht?
Sebastian: Ich sehe da weder bei Banken noch Investoren Anlass zur Sorge. Kreditanträge werden meinem Eindruck nach sorgfältig geprüft. Dazu muss ich allerdings sagen, dass die Datenlage nicht gut ist. Selbst der Bankenaufsicht liegen keine detaillierten Angaben über die Bonität der privaten Kreditnehmer vor. Es gab einen politischen Vorstoß, ein Immobilienkreditregister aufzubauen, das das ändern sollte. Das ist aber leider am Widerstand der Bankenverbände gescheitert.
Wenn man nun doch in eine Immobilie investieren will: Was sollte man bei der Finanzierung beachten?
Sebastian: Für die meisten Privatpersonen sollten Zinsbindung und Tilgungsrate möglichst hoch sein. Dabei sollte die Tilgungsrate niemals zugunsten der Zinsbindungsdauer gesenkt werden – also lieber zehn Jahre Zinsbindung und drei Prozent Tilgung als 15 Jahre Bindung bei zwei Prozent Tilgung.
Die Europäische Zentralbank hat beschlossen, den Leitzins bis 2020 nicht anzuheben. Was halten Sie von dieser Entscheidung?
Sebastian: Sie kam im Hinblick auf die zögerliche Inflation und Eintrübungen der Konjunktur alles andere als unerwartet. Überraschend hingegen war die Deutlichkeit, mit der die EZB Zinsveränderungen ausgeschlossen und darauf verwiesen hat, dass ihre finanzpolitischen Möglichkeiten lange nicht erschöpft sind – etwa indem sie Geschäftsbanken günstige Kredite gibt.
„Aus finanzwirtschaftlicher Sicht ist Mieten fast immer besser als Kaufen.“
Steffen Sebastian Professor für Immobilienfinanzierung
Interview: Philipp Wehrmann
Zur Person Professor Steffen Sebastian ist Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung der International Real Estate Business School an der Universität Regensburg und Forschungsprofessor am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim. Er studierte an der französischen Businessschool ESSEC und in Mannheim.