Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir brauchen einen europäisch­en Mindestloh­n“

Die Spd-spitzenkan­didatin Katharina Barley warnt vor einem Unterbietu­ngswettbew­erb in Europa. Sie fordert klare Regeln für die Mitbestimm­ung der Arbeitnehm­er in den Unternehme­n. Und sie droht den Ungarn

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Was ist für Sie die große politische Herausford­erung der nächsten fünf Jahre, die auf die EU zukommt?

Katarina Barley: Ich sehe da mehrere wichtige Fragen, die wir beantworte­n müssen. Dazu gehört eine Mindestbes­teuerung von Unternehme­n, denn es ist nicht fair, dass sich einige große Konzerne durch bestehende Schlupflöc­her in Ländern veranlagen, wo sie kaum einen Beitrag leisten müssen. Und zentral wird sein, dass wir Europa zu einem sozialen Europa machen, welches für die Menschen da ist.

Welche Defizite müssen unbedingt angepackt werden?

Barley: Viele Menschen haben das Gefühl, dass es zwar unzählige europäisch­e Standards gibt, aber darunter keine, die ihrer sozialen Absicherun­g dienen. Die Entsenderi­chtlinie war zweifellos ein großer Schritt, weil damit das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“eingeführt wurde. Aber das allein reicht noch nicht.

Was muss dazu kommen?

Barley: Wir brauchen einen europaweit­en Mindestloh­n, damit die Menschen die Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit in Anspruch nehmen, weil sie das wollen – und nicht, weil sie in ihrem Land zu wenig verdienen. Denn sonst entsteht ein Unterbietu­ngswettbew­erb, den wir nicht zulassen dürfen. Wir wollen einen Mindestloh­n, der sich an 60 Prozent des mittleren Einkommens im jeweiligen Land orientiert. Für Deutschlan­d ergäbe das zwölf Euro. Außerdem brauchen wir klare Mindeststa­ndards zur Mitbestimm­ung in Unternehme­n. Die Arbeitnehm­er müssen überall an wichtigen Entscheidu­ngen beteiligt werden. Es darf nicht sein, dass Regeln unterlaufe­n werden, indem sich ein Unternehme­n in eine ausländisc­he oder europäisch­e Gesellscha­ftsform flüchtet.

Die Digitalisi­erung wird ebenfalls immer wieder genannt. Ist sie für Sie eher Chance oder eher eine Belastung? Barley: Wir werden erleben, dass sich die Arbeitswel­t völlig verän

dert. Das beginnt bei Arbeitsplä­tzen, die wegfallen und anderen, die neu entstehen werden. Wenn wir das politisch vernünftig begleiten, werden die Chancen für die Menschen überwiegen. Manche technische­n Entwicklun­gen werden neue Regeln nötig machen, die internatio­nal gelten müssen. Die Datenschut­zgrundvero­rdnung ist ein gutes Beispiel dafür, dass man alle Konzerne, die in Europa ihre Dienstleis­tungen anbieten, auch regulieren kann. Es ist damit gelungen, den Grundsatz, dass die Daten jedem Einzelnen gehören, durchzuset­zen.

Da tun sich ja sehr weitgehend­e Fragen auf, wenn über Gesundheit­sapps mehr persönlich­e Informatio­nen an Apple oder Samsung fließen als an den Hausarzt. Barley: Wir müssen wirklich sehr wachsam sein. Die Datenschut­z

Grundveror­dnung regelt da schon einiges, weil beispielsw­eise festgelegt ist, dass ohne Zustimmung nur die Daten erhoben werden dürfen, die auch für eine Anwendung nötig sind. Wir brauchen aber darüber hinaus eine Weiterentw­icklung des Kartellrec­htes. Denn wir müssen stärker in den Blick nehmen, wenn sich digitale Unternehme­n ausbreiten, Monopole bilden oder den Wettbewerb behindern.

Um was geht es da konkret?

Barley: Das Vorhaben eines Konzerns wie Amazon, in den Bereich von Krankenver­sicherung und Gesundheit­sdienstlei­stungen zu investiere­n, muss uns alarmieren. Denn es würden immer wieder Wege gefunden, um Daten zwischen Unternehme­nsteilen auszutausc­hen und Schutzstan­dards zu unterlaufe­n. Gesundheit­sdaten gehören zu den persönlich­sten und sensibelst­en Informatio­nen, die es über einen Menschen gibt. Wir müssen verhindern, dass Konzerne in derart intime Bereiche eindringen und den Menschen vollkommen vermessen und kommerziel­l verwertbar machen.

Wollen Sie eine Digitalste­uer?

Barley: Noch besser wäre eine weltweite Mindestbes­teuerung von Unternehme­n, denn sie umfasst nicht nur digitale Konzerne. Sollte das auf OECD-EBENE im kommenden Jahr nicht durchzuset­zen sein, wollen wir das auf europäisch­er Ebene mit einer Digitalste­uer lösen. Auch die großen Digitalkon­zerne müssen ihren Teil zum Gemeinwohl beitragen. Das ist nur fair.

Wenn man den Umfragen glaubt, bekommen Sie es im nächsten EU-PARlament mit vielen Populisten und Nationalis­ten zu tun. Wie kann man dafür sorgen, dass das Abgeordnet­enhaus trotzdem arbeiten kann?

Barley: Die Europawahl­en haben ja noch nicht begonnen. Und deshalb gibt es noch ein wirklich sehr effiziente­s Instrument: Wir brauchen eine hohe Wahlbeteil­igung, um diese Kräfte zurückzudr­ängen. Die Bürgerinne­n und Bürger haben es doch in der Hand, wie das nächste Europäisch­e Parlament aussehen soll. Sie sind es, die darüber entscheide­n, ob wir ein Europa haben, das zum Wohle aller miteinande­r arbeitet, oder ob wir ein nationalis­tisches Europa bekommen, das am Ende dann auch scheitern

„Der Brexit hat gezeigt, dass diese nationalis­tischen Kräfte alles kurz und klein schlagen, aber nichts aufbauen können.“

Katarina Barley

könnte. Der Brexit hat gezeigt, dass diese nationalis­tischen Kräfte alles kurz und klein schlagen, aber nichts aufbauen können.

Wie soll die EU mit Staaten wie Polen oder Ungarn umgehen, die Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit abbauen? Ist Bestrafen ein guter Weg?

Barley: Wir sollten immer zwischen den Regierunge­n und den Bevölkerun­gen unterschei­den. Die Polen sind beispielsw­eise eines der europafreu­ndlichsten Völker, das wir in der EU haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir im Dialog bleiben. Aber ich füge hinzu: Wenn ein Regime wie in Ungarn seine Macht auf steigendem Wohlstand durch Eu-subvention­en aufbaut, gleichzeit­ig aber die Rechtsstaa­tlichkeit abschafft, müssen wir schärfer als bisher einschreit­en.

Interview: Detlef Drewes

O Katarina Barley, 50 Jahre, gehört als Bundesmini­sterin der Justiz seit März 2018 dem Kabinett von Bundeskanz­lerin Angela Merkel an. Die Spd-politikeri­n und Juristin war zuvor Bundesmini­sterin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Innerhalb ihrer Partei gehört sie der Parlamenta­rischen Linken an. Die Rheinlände­rin ist die Spd-spitzenkan­didatin bei den Europawahl­en 2019.

 ?? Foto: J. Carstensen, dpa ?? Will den großen digitalen Unternehme­n auf die Finger schauen, wenn es um Datenschut­z geht: Die Spitzenkan­didatin der SPD für die Europa-wahl, Katarina Barley, hält Regulierun­g für ein legitimes Instrument in der Wirtschaft­spolitik.
Foto: J. Carstensen, dpa Will den großen digitalen Unternehme­n auf die Finger schauen, wenn es um Datenschut­z geht: Die Spitzenkan­didatin der SPD für die Europa-wahl, Katarina Barley, hält Regulierun­g für ein legitimes Instrument in der Wirtschaft­spolitik.

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