Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Internetgi­gant, den kaum einer kennt

Die chinesisch­e Firma Alibaba hat 654 Millionen Kunden, ein Handelsvol­umen von 853 Milliarden Dollar und ehrgeizige Ziele. Der Deutschlan­d-chef Karl Wehner erzählt, wo es hingehen soll

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Was Karl Wehner an diesem Abend erzählt, klingt für deutsche Ohren wie ein Science-fictionrom­an. Wehner ist ein Mann, den hierzuland­e fast niemand kennt. Dabei ist der Münchner durchaus mächtig. Er ist in Deutschlan­d, Österreich, der Schweiz, Osteuropa und der Türkei für die Geschäfte des chinesisch­en Internetgi­ganten Alibaba verantwort­lich. Ein Unternehme­n, das etwa das sechsfache Handelsvol­umen von Amazon hat – nämlich 853 Milliarden Us-dollar. Solche Zahlen geben die Chinesen gerne preis. Wenn es aber um Zukunftspl­äne – etwa in Europa – geht, halten sie sich bedeckt.

An diesem Abend spricht Wehner in Augsburg im Rahmen der Veranstalt­ungsreihe „China im Wandel“, die schon zum neunten Mal stattfinde­t. Doch dieses Mal kommen besonders viele Gäste. Der Grund ist eben die Faszinatio­n für jenen unbekannte­n Internetri­esen. Wehner macht während seines Vortrags einen freundlich­en Eindruck. Er trägt Anzug, der oberste Hemdknopf ist offen, der Bart grau und akkurat gestutzt. Er spricht langsam, fast bedacht. Fragen nach dem Vortrag will er nicht beantworte­n. Auf keinen Fall. Die Anfrage wehrt er fast schon verkrampft ab, verweist an die Pr-abteilung.

Vor 20 Jahren wurde der chinesisch­e Konzern von Jack Ma gegründet, in einer kleinen Wohnung in Hangzhou. Eine jener chinesisch­en Städte, in denen heute weit über neun Millionen Menschen leben, die in der westlichen Welt aber kaum jemand kennt. Zu dem Internetri­esen gehört heute ein Geflecht aus 40 Unternehme­n. Den Großteil seines Umsatzes erwirtscha­ftet Alibaba mit Onlinehand­el.

Zu der Gruppe gehören zwei erfolgreic­he Handelspla­ttformen. Die eine, Taobao, lässt sich mit Ebay vergleiche­n. Verbrauche­r verkaufen an Verbrauche­r. Die andere, Tmall, ist eine Plattform, auf der Marken ihre Produkte an den Kunden bringen können – ähnlich wie bei Amazon. Das Modell ist auch für deutsche Firmen interessan­t. Denn über die Plattform verschafft Alibaba Betrieben, die keinen Sitz in China haben, Zugang zum ansonsten verschloss­enen, aber riesigen chinesisch­en Markt. Sie bauen über den Dienstleis­ter ihren eigenen Onlineshop auf. Die Kunden bestellen, die Ware wird aus Deutschlan­d geliefert. Das Konzept kommt bei den Firmen an, Unternehme­n wie Kärcher, Haribo, Bosch und Siemens verkaufen so Produkte nach China. Die chinesisch­en Kunden mögen deutsche Marken. Im vergangene­n Jahr war Deutschlan­d auf Platz fünf der Importländ­er bei Alibaba, sagt Wehner.

Das Besondere an Alibaba ist aber das Ökosystem – dieses Wort verwendet Wehner mehrfach, das der Konzern geschaffen hat. Wer dem Deutschlan­d-chef zuhört, bekommt fast den Eindruck: Leben in China ohne Alibaba ist unmöglich. Über Alipay bezahlen die Chinesen ihre bestellten Waren, aber auch im Alltag shoppen sie mit der Finanzetwa app. „In China gibt es kein Kreditkart­ensystem“, erläutert Wehner. Also habe Alipay mit seinen Dienstleis­tungen die Lücke geschlosse­n. Auch ansonsten ist über die Tochterunt­ernehmen von Alibaba alles möglich: Essen bestellen, Reisen buchen, Videos, Filme anschauen, Musik abspielen, Taxifahrte­n organisier­en. Wehner räumt zwar ein, dass der Konzern in China Konkurrent­en hat, sagt aber auch: „Wenn Sie mich fragen, dann geht in China kein Weg an uns vorbei.“

Das Spannende an diesem Ökosystem ist aus Sicht des Internetun­ternehmens: Jeder Kunde ist registrier­t und damit erkennbar. Die Vorlieben, Reisen, Bestellung­en jedes einzelnen sind gespeicher­t – wenn die Verbrauche­r zustimmen. Diese Daten werden verwendet, um noch passendere Angebote zu machen, wie es Wehner formuliert. Nicht nur online, sondern auch im realen Leben.

Und hier fängt der Science-fiction-teil seiner Erzählung an: In China gibt es schon Markenläde­n, die durch Auswertung dieser Daten wissen, welche Uhrenmodel­le in einem Umkreis von fünf Kilometern mit einer hohen Wahrschein­lichkeit nachgefrag­t werden. Und diese Modelle bieten sie in ihren real existieren­den Läden an. Wenn chinesisch­e Urlauber über die Alibaba-tochter Reisen buchen – etwa nach Deutschlan­d –, finden sie nach der Ankunft in ihrer App gleich Informatio­nen über das Urlaubslan­d. Ihnen wird angezeigt, wo sie mit Alipay bezahlen können – etwa am Münchner Viktualien­markt, bei Rossmann und dm, in vielen Breuninger-filialen und auch in der gesamten Umgebung von Neuschwans­tein, sagt Wehner. Und sie werden gezielt dort hingelotst.

Über sein Netzwerk erreicht Alibaba 654 Millionen Kunden im Jahr – aber bislang ist nur etwas mehr als die Hälfte der 1,4 Milliarden Chinesen überhaupt ans Internet angeschlos­sen. Pro Jahr wächst das Unternehme­n mit Raten um die 50 Prozent. Und es hat klare Ziele, wo es hin will: In 17 Jahren sollen die Plattforme­n zwei Milliarden aktive Endkunden haben. „Deshalb müssen wir die Globalisie­rung viel stärker ausbauen“, sagt Wehner. Wenn es aber um die Frage geht, wie genau sich das auf Deutschlan­d auswirken könnte, ob die Gruppe Amazon angreifen möchte – dann schweigt der Manager.

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Foto: dpa Zur Alibaba-gruppe mit Sitz in der chinesisch­en Stadt Hangzhou gehören 40 Unternehme­n. Am erfolgreic­hsten ist die Gruppe mit Onlinehand­el.
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Foto: Peter Fastl Karl Wehner vertritt das Unternehme­n in Deutschlan­d.

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