Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Wir sind in einer fantastischen Situation“
Das Museum Brandhorst in München wird zehn Jahre alt. Direktor Achim Hochdörfer blickt zurück auf die Anfänge, spricht über die Qualität der Sammlung und darüber, wie es ist, mit dem Stifter Kunst einzukaufen
Herr Hochdörfer, zum Jubiläum haben Sie sich den Titel „Forever Young“einfallen lassen – das Museum Brandhorst kann wohl auch nicht in Würde altern?
Achim Hochdörfer: Wir sammeln am Puls der Zeit, aber für die Ewigkeit. Doch im Ernst, wir wollten für die Jubiläumsausstellung einen populären Titel haben, der zu einem Museum zeitgenössischer Kunst mit einem Schwerpunkt auf Pop-art passt. Und diesen Titel aus der Popkultur verbindet man mit den verschiedensten Interpreten von Bob Dylan über Alphaville bis zum Cloud Rapper Lil Yachty. Damit kann jeder etwas anfangen.
Bob Dylan hat seinen Song „Forever Young“1973 aufgenommen. Fingen zu dieser Zeit nicht die Brandhorsts an, professionell Kunst zu sammeln?
Hochdörfer: Stimmt, sie ziehen 1972 nach Köln, und schon im Jahr darauf kommt es zum Ankauf mehrerer Arbeiten von Cy Twombly, dicht gefolgt von Jannis Kounellis, Mario Merz und überhaupt viel Arte Povera. Dann sind Georg Baselitz und Sigmar Polke dazugekommen, Minimal Art, Pop-art und Konzeptkunst.
Bis zum Museum Brandhorst war es noch ein weiter Weg. Hatten Udo und Anette Brandhorst das beim Sammeln im Hinterkopf?
Hochdörfer: Anfangs sicher nicht, aber die Gründung der Stiftung 1993 war klar mit dem Wunsch verbunden, die Sammlung öffentlich zu machen. Sie wurde 1994 zum ersten Mal gezeigt – im Kunstmuseum Basel. Und sofort war das Interesse bei vielen Museumsdirektoren geweckt.
Warum ist die Sammlung München gelandet?
dann
in
Hochdörfer: Es gibt einen durchaus romantischen Bezug: Udo und Anette Brandhorst haben sich zum ersten Mal im Englischen Garten getroffen – bei strömendem Regen. Den Kontakt zu den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen hat insbesondere Carla Schulz-hoffmann [Red.: ehemalige Referentin für die Moderne] Mitte der 90er Jahre vorangetrieben. Zum Vertrag mit dem Freistaat kam es 1999, tragischerweise ist Anette Brandhorst kurz zuvor gestorben.
Es wurde zur Eröffnung an der Qualität der Sammlung gemäkelt.
Hochdörfer: Aber jetzt im Rückblick sieht man, wie klug dieses Paar gesammelt hat. Nicht nur mit den Altmeistern wie Cy Twombly oder Andy Warhol – von beiden haben wir den mit Abstand umfangreichsten Bestand in ganz Europa. Sondern genauso mit Cady Noland, mit Mike Kelley, Robert Gober oder Louise Lawler. Alle diese Künstler, die die Brandhorsts früh gesammelt haben, sind heute ein fester Bestandteil der Kunstgeschichte der 80er und 90er Jahre. Dem Kern der Münchner Museumsszene war das sehr klar. Aber wenn eine private Sammlung öffentlich wird, kommt auch eine Reihe an Ressentiments hoch. Das war bei Peter Ludwig in Köln und Wien nicht anders.
Das Konstrukt ist ja auch kompliziert. Wie hängen Sie mit den Pinakotheken zusammen?
Hochdörfer: Ich bin bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen angestellt und gleichzeitig Stiftungsdirektor. Die Kooperation zwischen Stiftung und Staat ist ja eine unglaubliche Chance. Es gibt den von Anette und Udo Brandhorst zusammengetragenen Grundstock an Werken, und darüber hinaus sind wir in der Lage, in die Zukunft zu blicken, wie das öffentliche Häuser in Deutschland oft nicht mehr können.
Wie hoch ist der Ankaufs-etat?
Hochdörfer: Der variiert zwischen drei und vier Millionen Euro. Wenn wir in einem Jahr weniger ausgeben, steht im nächsten mehr zur Verfügung. Natürlich ist diese Situation fantastisch.
Sagt Udo Brandhorst auch mal nein zu einem Ankaufswunsch?
Hochdörfer: Wir treffen alle Entscheidungen gemeinsam. Wir haben das große Glück, dass wir in den meisten Fällen einer Meinung sind.
Wie darf man sich das vorstellen? Gehen Sie shoppen, das heißt, besuchen Sie Messen wie die Art Basel oder Galerien?
Hochdörfer: Wir sind in einem ständigen Gespräch darüber – auch mit unserer leitenden Kuratorin Patrizia Dander –, was uns auf Messen, in Ausstellungen und Zeitschriften auffällt. Nach und nach kristallisieren sich einzelne Künstlerinnen und Künstler heraus.
Wie hat sich die Sammlung entwickelt?
seit 2009
Rasant. Im letzten Jahrzehnt ist sie von 700 auf 1200 Werke angewachsen. Wir haben uns auf jüngere, zukunftsweisende Positionen konzentriert und auch einen besonderen Schwerpunkt auf den Ankauf von Künstlerinnen gelegt. Das Jubiläumsjahr ist für uns jetzt der Anlass, die beliebten und bekannten Highlights der Sammlung mit vielen überraschenden Neuerwerbungen zu kombinieren. Gleichzeitig wollen wir dieses Jahr auch nutzen, uns neu zu orientieren und zu überlegen, wo wir in zehn Jahren stehen wollen.
Großausstellungen wie die Biennale in Venedig oder die Documenta haben ihr Spektrum immens erweitert.
Unsere Schwächen liegen tatsächlich im Geografischen. Westeuropa und Nordamerika bilden den Kern dieser Sammlung. Als ein Museum zeitgenössischer Kunst werden wir den Fokus verstärkt auf diejenigen künstlerischen Entwicklungen richten, die sich mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen der Globalisierung und Digitalisierung auseinandersetzen.
Wie darf man sich die neue des Museums vorstellen? Sammlungsstrategie Brandhorst
Hochdörfer: Sie muss sich aus der Sammlung heraus entwickeln und zu ihr passen. Der Kanon weitet sich ja schon seit 30 Jahren aus. Einerseits werden vergessene Positionen aufgearbeitet und vermarktet, Künstlerinnen werden heute ganz anders bewertet, afroamerikanische Kunst steht im Moment hoch im Kurs, aber auch künstlerische Techniken wie Keramik oder Textilbilder werden nicht mehr marginalisiert. Wer hätte vor ein paar Jahrzehnten gedacht, dass Anni Albers eine zentrale Figur der Moderne werden würde? Und Künstler außerhalb unseres engen westlichen Kanons wie derzeit El Anatsui im Haus der Kunst wecken inzwischen ein großes Interesse.
Interview: Christa Sigg
geboren 1968 in Ulm, leitet seit dem Jahr 2013 das Museum Brandhorst in München