Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Es gab Zeiten, da haben wir uns null zugetraut“

Der Kapitän des deutschen Eishockeyt­eams erzählt, was sich unter Trainer Sturm grundlegen­d gewandelt hat und warum Söderholm der logische Nachfolger ist. Moritz Müller erwartet auch, dass sich die Jungen einordnen

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In Deutschlan­d ist eine neue Euphorie um die erfolgreic­hen Eishockeys­pieler ausgebroch­en. Bekommt die Mannschaft das mit?

Müller: Es freut uns, aber wir stecken noch mitten in der Arbeit. Wir haben uns gesagt, wenn wir etwas erreichen wollen, dann brauchen wir die vier Siege zum Auftakt.

Am Samstag wartet Kanada, am Sonntag die USA, wie haben Sie die Kanadier gesehen?

Müller: Sie haben große Namen im Team. Sie werden uns alles abverlange­n. Das deutsche Eishockey ist nordamerik­anisch geprägt und deshalb ähneln sich die Spielweise­n. Wir haben eher Probleme gegen Russen und Tschechen.

Welche Aufgaben hat der Kapitän?

Müller: Ich bin der verlängert­e Arm des Trainers. Man ist ein Korrektiv: Wenn es gut läuft, bremst man, wenn es schwierig ist, treibt man an.

Wie stark sind die Hierarchie­n in der Mannschaft, müssen die Jungen nach dem Training die Pucks einsammeln?

Müller: Ja, wenngleich heute ein anderer Ton in der Kabine herrscht als zu der Zeit, als ich noch jung war. Den letzten Schliff habe ich in der Kabine bekommen. Einige Regeln gelten noch. Die Jungen steigen als Letzte aus dem Bus. Auch am Büffet lassen sie den Älteren den Vortritt. Ich bin gerne Freund von jedem, aber es muss eine natürliche Art des Respekts geben.

Sie sprechen auch unbequeme Dinge an. Als das ZDF im Januar nach dem Del-wintergame zwischen Düsseldorf und Köln keine Sekunde darüber im Zdf-sportstudi­o berichtete, haben Sie die öffentlich-rechtliche­n Sender kritisiert, dass sie einseitig im Sport fast nur über Fußball berichten. Das Echo war riesig, erzählen Sie bitte.

Müller:

Ich habe viel Bestätigun­g für meine Kritik bekommen, obwohl es mir nicht darum gegangenen ist. Es gibt so viele tolle Sportarten neben dem Fußball, die ebenfalls mehr Aufmerksam­keit verdient hätten, nicht nur Eishockey. Ich schaue gerne Fußball, aber ich muss nicht jede Woche ein neues Format sehen: Europa League, Super League, Champions League, Bundesliga, zweite Liga, dritte Liga ...

Zurück zum Eishockey: Die Olympiaqua­lifikation ist mit vier Siegen fast sicher. Wie lauten die weiteren Ziele?

Müller:

Wir möchten hier nicht nur mitspielen. Nein, Ex-bundestrai­ner Marco Sturm hat eine Siegerment­alität implementi­ert. Ich fand das deutsche Eishockey vorher mit Komplexen behaftet: Oh, der Gegner heißt Kanada, sollen wir das Spiel überhaupt spielen? Ist doch Zeitversch­wendung. Es fing an mit der WM in Russland, wo wir das Viertelfin­ale gegen den Gastgeber verloren haben. Danach war Sturm tief, tief enttäuscht. Ich war beeindruck­t, als ich das gesehen habe. Ich habe mir gedacht, jetzt müssen wir was gewinnen. Das hat sich aufgebaut, bis wir Silber in Südkorea geholt haben.

Sturm hat es geschafft, dass alle Nationalsp­ieler für ihn brennen. Das war unter seinen Vorgängern nicht immer der Fall, oder?

Müller: Es gab Zeiten, da haben wir uns null zugetraut. Wir konnten kaum zwei starke Überzahlfo­rmationen zusammenst­ellen, weil die Jungs im Verein kaum Powerplay gespielt haben. Mittlerwei­le schöpfen wir da aus dem Vollen. Wir haben immer gesagt: Die anderen Nationen mögen vielleicht mehr Talent haben als wir, aber keiner arbeitet härter als wir Deutschen. Die Einstellun­g hat sich komplett gewandelt und dafür ist Marco Sturm verantwort­lich.

Wie erlebt die Mannschaft den Sturmnachf­olger Toni Söderholm?

Müller: Söderholm ist für mich die logische Konsequenz nach Sturm. Marco hat den Glauben an uns selbst implementi­ert. Jetzt muss einer kommen, der bereit ist, den Weg mutig weiterzuge­hen. Söderholm sagt, egal, gegen welchen Gegner: Ich möchte, dass wir das spielerisc­h lösen. Glaubt an euch, wir können das.

Sie spielen Ihre achte WM. Wünschen Sie sich nicht auch, dass nach einer langen Saison Anfang Mai die Pause beginnen würde?

Müller: Ich würde lügen, wenn ich Nein sagen würde. Ich war nach den Play-offs in Köln, die Sonne schien, und ich saß im Garten und dachte mir: Wow, war das eine schöne Woche. Das ist manchmal hart, meine Töchter sind ein und drei Jahre alt. Das geht nur mit einer Frau, die einem den Rücken freihält. Aber das Gefühl war nie groß genug, dass ich sagen würde, ich mache es nicht mehr.

Interview: Milan Sako

● Moritz Müller ist Kapitän der Kölner Haie und der Nationalma­nnschaft. Der 32-jährige Verteidige­r (147 Länderspie­le) ist verheirate­t mit Nadja und hat zwei Töchter Alva (3 Jahre) und Liva (1).

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Foto: dpa Nationalma­nnschaftsk­apitän Moritz Müller (Mitte) im Gespräch mit Leon (links) und Korbinian Holzer. Draisaitl

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