Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Manche Kinder oder Jugendliche müssen zusammen mit ihren Eltern wieder an ein gemeinsames Familien- und Sozialleben herangeführt werden. Ganz einfache Dinge: gemeinsam einkaufen gehen etwa.“
Gereon Schädler. Aber mit einigen zu tun.
Ortstermin im Augsburger Josefinum, ein Krankenhaus für Kinder und Jugendliche. Schädler ist Chefarzt für die Bereiche Neuropädiatrie, Sozialpädiatrie, Psychosomatik. Vor allem aber ist er Kinderund Jugendarzt, Kinderneurologe und Psychotherapeut. In seine Sprechstunde kommen Kinder mit vielfältigen Problemen. Manche sind Schulvermeider, manche haben große Ängste, wieder andere haben ständig Kopfschmerzen oder könerst
er
hat nen nachts nicht mehr schlafen. Manchmal kommen Probleme zusammen, dazu Umzüge oder die Trennung der Eltern.
Seit ungefähr fünf Jahren fragt Schädler jeden seiner jungen Patienten nach seinen Mediengewohnheiten. „Das ist oftmals sehr aufschlussreich“, sagt er. Ein Mädchen etwa, das über Schlafstörungen klagte, hatte einen Chat-freund in Amerika und eine Chat-freundin in Asien und damit rund um die Uhr einen verfügbaren Gesprächspartner. Er erzählt von einem Gymnasiasten, der vor seiner Behandlung im Josefinum ganze Wochenenden am PC durchgespielt hatte. Er musste zusammen mit seinen Eltern wieder an ein gemeinsames Familien- und Sozialleben herangeführt werden. Einfache Dinge: gemeinsam einkaufen gehen etwa. Er erzählt von Schulvermeidern, die erst in eine Überforderungssituation und dann in die Spielsucht geschlittert seien. So werde das Gefühl der Langeweile und der Einsamkeit gefüllt, während die Eltern bei der Arbeit sind. Die Medien und damit auch die Computerspiele seien für diese Kinder und Jugendlichen zu einer Art Ersatzfamilie geworden.
Viele Gespräche führt Schädler mit seinen jungen Patienten und ihren Eltern. Eine Sache hört er dabei immer wieder heraus. Die finanziellen Belastungen für Familien sind enorm gestiegen, sodass häufig beide Elternteile berufstätig sein müssten. „Da ist keiner mehr, der mitdr. fragt, wie es in der Schule war“, sagt Schädler. Die Eltern kämen abends nach Hause, dann werde kurz gegessen, das Notwendige im Alltag erledigt, da bleibt nicht viel Zeit für ein Miteinander. Dieses Vakuum an Kommunikation füllen inzwischen häufig Pc-spiele wie Fortnite oder Ähnliches, hat Schädler beobachtet. Oder Familien ziehen um, die Kinder finden keine neuen Freunde, werden gemobbt und flüchten sich in die Computerspiele. Ein Teufelskreis. „Diese Fälle haben wir ganz häufig in der Klinik.“
Computerspieler möglichst lange und umfassend zu binden, davon lebt im kalifornischen Silicon Valley ein ganzer Berufszweig, die Verhaltensformer. Ihr Job ist es, sogenannte „gewohnheitsbildende Produkte“zu kreieren. So etwas wie den Likedaumen bei Facebook, das Herzchen bei Instagram, ständig neue Avatare oder Landschaften bei Fortnite und, und, und …
Diese Branche hat einen Superstar: Nir Eyal. Der drahtige Amerikaner hat an der Universität von Stanford „Angewandte Konsumenten-psycholgie“gelehrt und vor allem einen Algorithmus für die Gewohnheitsbildung durch Produktdesign erfunden. Seine etwas sperrige Erfolgsformel lautet: Ein innerer oder äußerer Auslöser bringt den Nutzer zu einer Handlung, für die er eine Belohnung bekommt, die ihn wiederum dazu bringt, mehr Zeit oder auch Geld zu investieren. Eyal nennt diese Methode „The Hook Model“, das Haken-modell. Sein Buch ist ein internationaler Bestseller.
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