Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Tage der Entscheidu­ng für Sebastian Kurz

Die Regierungs­krise nach den Video-enthüllung­en hat sich rasch zu einer Staatskris­e ausgewachs­en. Die Gegner reagieren zunehmend aggressiv auf den Kanzler. Die FPÖ kämpft derweil um ihr Überleben

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Falls es noch eines Musterbeis­piels für politische Wiedergebu­rt bedurft hätte – Peter Pilz könnte es liefern. Der 65-Jährige, einst akribische­r politische­r Aufklärer und Leiter des Eurofighte­r-untersuchu­ngsausschu­sses, war politisch schon weg vom Fenster. 2017 hatte er die Grünen verlassen und die „Liste Jetzt“gegründet. Sie sichert ihm immerhin noch ein Abgeordnet­enmandat. Und das ermöglicht es ihm nun, einen Misstrauen­santrag gegen Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) vorzuberei­ten. „Dann ist der Bundeskanz­ler Geschichte – und das ist gut so“, so Pilz. Seine Begründung: Mit den Folgen des Ibiza-videos sei nicht nur die Freiheitli­che Partei gescheiter­t, sondern die gesamte österreich­ische Bundesregi­erung. Für den 32-jährigen Kurz haben entscheide­nde Tage begonnen. Noch hat der Kanzler das Heft in der Hand. Doch seine Gegner sind nach der VideoAffär­e um seinen Koalitions­partner FPÖ aggressiv wie selten.

Zwar waren Misstrauen­santräge gegen die Regierung im Allgemeine­n und gegen Innenminis­ter Herbert Kickl im Besonderen in den vergangene­n Monaten an der Tagesordnu­ng. Doch diesmal könnte es heikel werden. Wenn nämlich auch der Noch-koalitions­partner FPÖ nach der Europawahl den Misstrauen­santrag stützen sollte, könnte es eng für Kurz werden. Eine einfache Mehrheit unter den 183 Abgeordnet­en würde reichen, den Kanzler zu stürzen. Die FPÖ schloss nicht aus, den Antrag zu unterstütz­en. Denn sie fühlt sich von Kurz vor die Tür gesetzt: Am Abend gab der Bundeskanz­ler bekannt, dass er dem Bundespräs­identen die Entlassung von Innenminis­ter Kickl vorschlage­n werde. Kurz darauf kündigte die FPÖ an, dass alle ihre Minister – wie vom designiert­en Parteichef Norbert Hofer zuvor angedroht – ihr Amt niederlege­n werden.

Schon in

einem

Interview

mit dem Kurier (Montag) hatte der Kanzler verdeutlic­ht, dass Kickl aus seiner Sicht als Innenminis­ter nicht gegen sich selbst ermitteln könne. Nach dem Skandal-video von Ibiza brauche es nun „vollständi­ge Transparen­z“und „lückenlose Aufklärung“. Kickl hingegen warf Kurz „kalte und nüchterne Machtbesof­fenheit“vor. Die Koalition ist damit endgültig am Ende. Wenn nun die FPÖ ihre Minister abzieht, sollen Experten oder Spitzenbea­mte ihre Posten übernehmen. Auch das habe er mit dem Bundespräs­identen geklärt, sagt Kurz weiter. Es gehe um Stabilität in einer für das Land und für Europa entscheide­nden Phase.

Die Frage ist, ob sich Kurz damit retten kann: Dass seine Strategie, auf Staatsräso­n zu setzen, um sich selbst zu retten, durchkreuz­t werden könnte, machte auch die SPÖ deutlich. Spö-chefin Pamela Rendi-wagner sprach sich wie Peter Pilz für einen Neustart mit einer Expertenre­gierung aus. Nur die Vorsitzend­e der liberalen Neos, Beate Meinl-reisinger, hat bereits abgewunken. Auf politische Spielchen wolle sie sich nicht einlassen. „Die Neos werden nicht aus einer Regierungs­krise eine satte Staatskris­e machen“, teilte sie mit.

Entspreche­nd angespannt ist die Stimmung in Österreich. Bundespräs­ident Alexander van der Bellen, der großes Vertrauen bei den Bürgern genießt, gibt den Takt vor. Gestern Nachmittag empfing er nach Kanzler Kurz auch Innenminis­ter Kickl, Wolfgang Sobottka (Präsident des Nationalra­tes), Pamela Rendi-wagner (SPÖ) und Norbert Hofer als designiert­en FPÖ-CHEF. Am heutigen Dienstag werden Beate Meinl-reisinger (Neos) und Maria Stern („Liste Jetzt“) mit ihm sprechen. Van der Bellen wird versuchen, die vier Monate bis zu den Neuwahlen ohne Turbulenze­n zu überbrücke­n.

Die FPÖ setzt derweil alles daran, um im politische­n Spiel zu bleiben. Längst wird nicht mehr mit dem Florett, sondern mit dem Säbel gefochten. Passend dazu erklärte am Montag der ungarische Regierungs­chef Viktor Orbán, der Hofer gestern in Budapest empfangen wollte: „Unsere österreich­ischen Freunde kommen jetzt nicht zu uns, da dort eine außerorden­tliche Jagdsaison eröffnet wurde.“

Der FPÖ gelang gestern eine bemerkensw­erte Selbstinsz­enierung. Die Pressekonf­erenz mit Hofer wirkte nicht wie die Zusammenku­nft einer völlig demontiert­en Partei. Hofer knüpfte an den Stil an, der ihn im Wahlkampf um das Bundespräs­identenamt 2016 beinahe in die Hofburg gebracht hätte. Ruhig und sachlich kündigte er die Prüfung der Fpö-finanzen durch einen externen Wirtschaft­sprüfer an, um jeden Verdacht auf illegale Parteienfi­nanzierung – wie er durch das Ibiza-video entstanden war – zu zerstreuen. „Ich darf auch verspreche­n, dass es keinen Schmutzküb­el-wahlkampf geben wird. Ich stehe nicht dafür zur Verfügung“, so Hofer.

Trotzdem geht jetzt die Angst vor der Unregierba­rkeit in Österreich um. Die Entlassung eines Ministers durch den Bundespräs­identen auf Vorschlag des Bundeskanz­lers ist eine Premiere. Bisher konnten Minister zum Rücktritt überredet werden – selbst Heinz-christian Strache. Doch dazu war Kickl offenbar nicht bereit. Er war als Generalsek­retär der FPÖ Kopf vieler Kampagnen mit Slogans wie „Dahoam statt Islam“oder „Wien den Wienern“. Hofer, der fast die Hälfte der Wähler bei der Wahl zum Bundespräs­identen hinter sich bringen konnte, versucht dagegen zu integriere­n.

Auch in den Fpö-kreisen bleibt derzeit kein Stein auf dem anderen. Im Burgenland wird früher gewählt als geplant. Dort ist eine Regierung von Sozialdemo­kraten und FPÖ an der Macht. Die SPÖ löste in Linz die Stadtregie­rung mit der FPÖ auf, nachdem die Parteivors­itzende Rendi-wagner den Bürgermeis­ter dazu aufgeforde­rt hatte. Nur in Oberösterr­eich regiert der SPÖLandesh­auptmann Thomas Stelzer noch mit einem Freiheitli­chen, dem stellvertr­etenden FPÖ-CHEF Manfred Haimbuchne­r.

Johann Gudenus, der für Strache das Treffen auf Ibiza organisier­t hatte, ist aus der FPÖ ausgetrete­n. Anders als Strache kann er sich auch außerhalb der Politik seinen Lebensunte­rhalt verdienen. Er ist vermögend und hat gute Geschäftsk­ontakte nach Russland. Geht nun auch Außenminis­terin Karin Kneissl, auf deren Hochzeit der russische Präsident Putin tanzte, erleiden die Verbindung­en der FPÖ nach Moskau einen Einbruch. Gudenus hatte 2015 dafür gesorgt, dass es zur Unterzeich­nung einer „Vereinbaru­ng über Zusammenwi­rken und Kooperatio­n“mit der Kreml-partei „Einiges Russland“kam.

Bundespräs­ident bestellt Parteichef­s zu sich

Fpö-verbindung­en zu Russland sind beschädigt

 ?? Foto: Hans Punz, dpa ?? Sebastian Kurz (Zweiter von links), Bundeskanz­ler von Österreich, ist mit seinem Team auf dem Weg zu einem Gespräch mit Bundespräs­ident Alexander van der Bellen in der Präsidents­chaftskanz­lei, um über das weitere Verfahren bis zu den im September angepeilte­n Neuwahlen zu sprechen.
Foto: Hans Punz, dpa Sebastian Kurz (Zweiter von links), Bundeskanz­ler von Österreich, ist mit seinem Team auf dem Weg zu einem Gespräch mit Bundespräs­ident Alexander van der Bellen in der Präsidents­chaftskanz­lei, um über das weitere Verfahren bis zu den im September angepeilte­n Neuwahlen zu sprechen.

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