Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie steigt man in die Elite auf?
Benimm-expertin Doris Märtin weiß, wie Menschen in der Oberschicht ticken. Mit Wissen und ein paar Tricks kann man auch von weiter unten den Weg nach ganz oben schaffen
Frau Märtin, Sie wissen, wie Eliten ticken. In Ihrem neuen Buch „Habitus“erklären Sie, wie man den gesellschaftlichen Aufstieg schaffen kann – und vor welchen Fettnäpfchen man sich hüten sollte. Wie kommen Sie auf dieses Thema?
Märtin: Unbewusst schon früh im Leben. Ich kam als Schülerin aus der Oberpfalz über ein Austauschprogramm in einen Vorort von Paris. Dort landete ich als Kind aus einer Mittelschichtfamilie in einem sozialen Brennpunkt. Mir fiel es damals schwer, mit der Situation zurechtzukommen. Die Wohnung war ungepflegt, es gab keine geregelten Mahlzeiten, kaum Gespräche. Über eine Freundin durfte ich zu einer Familie der französischen Oberschicht wechseln. Dort gab es alles im Überfluss: Platz, Zuwendung, Musik, Kultur. Damals habe ich Klassenunterschiede zum ersten Mal in ihrem Ausmaß erlebt.
Inzwischen gelten Sie als Sprach- und Stilexpertin, haben viele Ratgeber geschrieben und saßen im deutschen Knigge-rat. Was meinen Sie, welche Chancen gibt es für jemanden aus unteren und mittleren Schichten, in die oberen Zehntausend aufzusteigen?
Märtin: Unsere Gesellschaft ist relativ durchlässig geworden, dank der diversen Bildungsreformen. Sehr viele junge Menschen haben heute die Möglichkeit zu studieren. Anders sieht es aus, wenn man sich bei Top-managern in der Wirtschaft umschaut. Die meisten stammen aus den oberen vier Prozent unserer Gesellschaft. Trotzdem kann man auch von unten den Aufstieg in eine TopPosition schaffen. Siemens-chef Joe Kaeser ist ein gutes Beispiel. Er kommt aus einfachen Verhältnissen aus einem Dorf in Niederbayern.
Was braucht man, um gesellschaftlich aufzusteigen? Reicht es, wenn man viel Geld hat oder einen Studienabschluss mit Bestnoten?
Märtin: Hohe Abschlüsse sind unverzichtbar, wenn man in die Führungsetagen großer Konzerne will. Anders ist es, wenn man eine Karriere als Selbstständiger anstrebt. Da kann man sich sein eigenes „Königreich“schaffen. Generell ist das Wissenskapital eine wichtige Basis. Genau wie Geld und Vermögen reicht es aber für sich allein nicht aus. In meinem Buch beschreibe ich, wie man verschiedene Kapital-töpfe füllen kann, um den Habitus für hohes gesellschaftliches Ansehen zu entwickeln. Beispielsweise geht es auch darum, wie man auftritt, spricht oder wohnt, oder mit welchen Freunden und Netzwerken man sich umgibt. Eine große Rolle spielen kulturelles Wissen, Parkettsicherheit und hohe Ziele.
Was meinen Sie mit dem Begriff „Habitus“? Den richtigen „Stallgeruch“?
Märtin: Habitus hat mit Persönlichkeit, aber auch mit Außenwirkung zu tun. Dabei ist wichtig: Jeder Mensch hat einen Habitus. Er ist mehr oder weniger vorteilhaft. Die Grundlagen bekommen wir im Elternhaus mit. Der Habitus lässt sich aber ein ganzes Leben lang entwickeln. Das dauert seine Zeit. Aber die gute Nachricht ist: Er bleibt.
Was muss man tun, wie sich verhalten, wenn man in die gesellschaftliche Elite vorstoßen will?
Märtin: Man kann sich beispielsweise einen Freundeskreis schaffen, der Anregungen und Impulse gibt. Und man kann Dinge tun, durch die sich neue Welten öffnen, die man vielleicht nicht von zu Hause aus kennt. Man kann Ausstellungen besuchen, in die Oper gehen, ins Sterne-restaurant, sich kreuz und quer durch Bücher lesen. Solche Erfahrungen steigern die Offenheit und Parkettsicherheit. Ähnlich machen es auch andere Aufsteiger. Michelle Obama, Ehefrau von Ex-us-präsident Barack Obama, hat einmal beschrieben, wie sie sich ins Weiße Haus einlebte. Im ersten halben Jahr hat sie sich nur angesehen, wie es dort läuft. Erst dann hat sie eigene Projekte in Angriff genommen.
Muskeltraining und Schönheits-op: Wie muss man aussehen, um in gehobenen Kreisen Erfolg zu haben?
Märtin: Fit und natürlich. Ein straffer Körper, gepflegte Haut und Haare strahlen Gesundheit und Lebensfreude aus. Frauen sollten aber nicht zu zurechtgemacht aussehen. Bei Männern gelten dicke Muskelpakete als unelegant. Sehr angesagt ist dagegen das Laufen. Marathon gilt als Lieblingssport der Chefs von DaxKonzernen.
Welche Netzwerke sind nach Ihrer Einschätzung erfolgversprechend? Digitale Netzwerke Xing oder reale Clubs wie Rotary?
Märtin: Zugehörigkeit entsteht durch gewachsene Bindungen. Bei Xing und Co. hat man zwar viele Kontakte, aber sie bleiben eher flüchtig. Im Idealfall teilt man in seinem Netzwerk gemeinsame Erlebnisse mit anderen. Wenn Leute dabei sind, die weitreichende Verbindungen haben, umso besser.
Was sollte man vermeiden?
Märtin: Es gibt Menschen, die einen gehobenen kultivierten Habitus ablehnen. Sie empfinden ihn als unauthentisch. Das ist nachvollziehbar, versperrt aber möglicherweise den Weg zu weiterführenden Erfahrungen und Kontakten. Andere wollen so entschlossen in neue Kreise vordringen, dass sie übereifrig wirken und das Gegenteil erreichen. Ich empfehle, sich selber Zeit zu geben und den Habitus behutsam zu entwickeln. Im Grunde geht es darum, offen zu sein und mit allen gesellschaftlichen Schichten auszukommen. Understatement und Gelassenheit kommen besser an, als ständig die eigenen Erfolge herauszukehren.
Das hört sich so an, als müsste man sich verstellen, wenn man nicht als Königskind geboren ist, aber zu den oberen Zehntausend gehören will ...
Märtin: Es ist wie beim Autofahren: Entweder man bleibt auf der rechten Spur. Oder man möchte die Spur wechseln, dann muss man einen Gang zulegen. Ich verstehe aber auch, wenn es Leute gibt, die das nicht möchten. Der Herkunftshabitus ist etwas sehr Vertrautes. Man hat das Gefühl, dass er zu einem passt. Wer nicht in die Oberschicht hineingeboren ist, der muss sich für vieles sehr anstrengen, was anderen in die Wiege gelegt wurde. Das ist eine Herausforderung.
Was ist die größte Gefahr, wenn ein junger Mann oder eine Frau ganz nach oben will?
Märtin: Der französische Soziologe Pierre Bourdieu warnt vor Selbstbegrenzung. Gemeint ist damit: Man resigniert und findet sich mit den Gegebenheiten ab. Das kann uns ausbremsen. Oder man wächst über sich hinaus und schöpft sein Potenzial aus. Ich finde das absolut legitim. Denn nur wer abhebt, kann auch fliegen.
Interview: Eva Maria Knab
● Doris Märtin ist Autorin von 18 Büchern über Kommunikation, emotionale Intelligenz und Lebenskunst. Sie ist mit dem Augsburger Hochschulprofessor Christian Märtin verheiratet und lebt in Anhausen (Kreis Augsburg). Ihr Buch „Habitus“ist im Campus Verlag erschienen.