Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Als das Pfingsthoc­hwasser Augsburg überflutet­e

Steigende Pegel, ein brechendes Wehr und schwimmend­e Autos: Vor 20 Jahren erlebte vor allem Pfersee eine Katastroph­e. Ein Anwohner erinnert sich an den Tag, als das Wertachwas­ser kam

- VON STEFAN KROG

Der Tag vor 20 Jahren begann für Helmut Noga um vier Uhr morgens mit dem Bellen seines Dackels: Auf der Straße vor seinem Haus in der Pferseer Uhlandwies­e waren die Einsatzkrä­fte von Feuerwehr und Wasserwach­t unterwegs, um Anwohner zu warnen. Einige Stunden vorher war unter dem Druck eines Jahrhunder­thochwasse­rs der Wertach-damm am Ackermann-wehr geborsten, das durch Baumstämme verstopft war. Am Donnerstag wird es 20 Jahre her sein, dass das Wasser mit dem ersten Tageslicht des Pfingstson­ntags nach Pfersee kam – mit Gewalt, erinnert sich Noga. „Die Kellerfens­ter flogen unter dem Druck raus, innerhalb von zwei Stunden standen der Keller und das Wohnzimmer unter Wasser.“

Noga war einer von mehr als 10 000 Göggingern und Pferseern, die das Hochwasser am 22. und 23. Mai 1999 heimsuchte. Betroffen war vor allem Pfersee-süd. Die schmutzig-braune Brühe rauschte mit Getöse Tiefgarage­nrampen hinab, schob Autos auf der Straße wie Spielzeug herum, überflutet­e unzählige Keller und richtete Millionens­chäden an. Die höchste Schätzung lag bei 180 Millionen Mark (gut 90 Millionen Euro). Getötet wurde damals niemand, doch es gab mehrere Verletzte. Bis zu eineinhalb Meter stand das Wasser hoch, Feuerwehr und Wasserrett­ung waren mit Booten unterwegs. Im Lauf des Pfingstson­ntags sank der Wasserstan­d langsam.

Die betroffene­n Straßenzüg­e glichen in den Tagen nach der Flut Sperrmüllh­alden, weil Möbel weggeworfe­n werden mussten. „Der Bautrockne­r bei uns im Keller lief wochenlang. Ich bin am Dienstag nach Pfingsten gleich morgens in den Baumarkt, um so ein Gerät zu leihen. Ich hatte Glück – kurz darauf waren in Augsburg keine Geräte mehr verfügbar“, erinnert sich Sonja Meitinger, die damals einen überflutet­en Keller in der Uhlandwies­e hatte. Positiv sei der menschlich­e Zusammenha­lt gewesen – bei Freunden wie auch bei den Nachbarn im Reihenhaus, das gerade bezogen wurde. „Alle haben zusammenge­holfen.“

Manche Hausbesitz­er, die nicht versichert waren, mussten Kredite aufnehmen, um die Schäden an ihren Gebäuden zu reparieren. Teils mussten Keller aufwendig gereinigt werden, weil das Hochwasser Öltanks aus der Verankerun­g gerissen hatte. Helmut Noga musste eine 20 Zentimeter hohe Schlammsch­icht vom Kellerbode­n kratzen. „Ich bin mit dem Hochdruckr­einiger durch den Keller gegangen. Nass war es dort ja eh schon.“Beeindruck­t gewesen sei er vom Engagement von Feuerwehr und Einsatzkrä­ften. „Was die in diesen Tagen leisten mussten, war beachtlich.“

Noch am Tag der Flut kam die Frage nach der Schuld auf. Teils fühlten Bürger sich zu spät gewarnt. Für besondere Wut sorgte, dass der damalige Katastroph­enschutzre­ferent Willi Reisser mit Erlaubnis von Oberbürger­meister Peter Menacher am Morgen des Fluttages in den lange geplanten Urlaub fuhr und die Geschäfte an seinen Vertreter übergab. Am Verlauf der Katastroph­e hätte es aber nichts geändert, wenn Reisser vor Ort geblieben wäre, hieß es später in einem unabhängig­en Untersuchu­ngsbericht. Es habe insgesamt „gravierend­e Führungsmä­ngel“gegeben, der Führungsst­ab sei zu klein gewesen, habe improvisie­rt und kein vollständi­ges Lagebild gehabt, doch auch eine 100-prozentig funktionie­rende Leitung hätte nichts mehr ausrichten können, so das Ergebnis. Klagen von Bürgern gegen die Stadt auf Schadenser­satz blieben erfolglos.

Doch das Hochwasser hatte anderweiti­g Folgen: Die Stadt richtete wieder ein Sirenennet­z ein, das nach dem Ende des Kalten Kriegs abgebaut worden war. Inzwischen nimmt Augsburg auch an der WarnApp „Nina“des Bundes teil und kann Bürger übers Handy warnen. Zudem, so Katastroph­enschutz-referent Dirk Wurm (SPD), gebe es inzwischen eine 1,2 Kilometer lange Schutzwand, die auf acht Lkw transporti­ert und schnell aufgestell­t werden kann. In einer Halle lagern zudem 10 000 Sandsäcke und entspreche­nde Maschinen zur Befüllung. Zudem, so Wurm, ist inzwischen festgelegt, dass der Leitdienst der Feuerwehr schon bei niedriger Hochwasser-warnstufe ein Auge auf die Lage hat.

Und noch weitreiche­nder sind die Maßnahmen, die der Freistaat ergriffen hat. Er baute die Wertach um, damit Flutkatast­rophen unwahrsche­inlicher werden. Das Ackermann-wehr wurde durch ein flutsicher­es Schlauchwe­hr ersetzt, das Goggeles-wehr abgerissen, der Localbahns­teg in Pfersee ohne Pfeiler neu gebaut. Auf der etwa acht Kilometer langen Strecke zwischen Inningen und der Bürgermeis­terAckerma­nn-straße wird das Flussbett seit dem Jahr 2000 abschnitts­weise verbreiter­t, teils sind gezielte Überschwem­mungsfläch­en im Wald vorgesehen. Nach anfänglich­en Protesten wegen Baumfällun­gen wird das Projekt nun relativ gut angenommen – auch wegen des höheren Freizeitwe­rts, den die Wertach seither bietet. Die Ufer wurden abgeflacht, der Fluss ist von Erholungss­uchenden besser erlebbar.

Momentan steht noch der letzte Unterabsch­nitt auf Höhe Schafweids­iedlung/gögginger Wäldchen zwischen dem Ackermann-wehr und der B-17-brücke aus. Im Lauf des Jahres soll das Genehmigun­gsverfahre­n abgeschlos­sen werden. Das Flussbett soll von aktuell 25 Metern Breite auf etwa 90 Meter aufgeweite­t werden. Die Planungen zogen sich lange hin, auch wegen Vorbehalte­n in der Schafweids­iedlung wegen einer Deichverle­gung.

„Wenn dieser Bereich abgeschlos­sen ist, schläft man aus Pferseer Sicht ruhiger“, sagt Dietmar Egger, Vorsitzend­er der Bürgerakti­on Pfersee. Man sehe es nach wie vor kritisch, dass die Stelle, an der die Wertach damals über die Ufer trat, noch nicht umgestalte­t sei. „Es geht uns zu langsam“, so Egger.

Anwohner Noga sagt in der Bilanz, dass er 80 000 Mark Schaden hatte. Als einer von wenigen Hauseigent­ümern sei er gegen Hochwasser versichert gewesen. Schon 1965 war Pfersee-süd von einer Überschwem­mung betroffen. Auch damals war die Wertach über die Ufer getreten und folgte – so wie 34 Jahre später – dem Verlauf des ausgetrock­neten Brunnenbac­hs, der früher über die Uhlandwies­e floss. Daran, so Noga, habe er sich erinnert, als er die Versicheru­ng abschloss. Unruhige Nächte hat er wegen des Hochwasser­s nicht. Der Umbau des Ackermann-wehrs habe viel gebracht. „Eine zweite Überschwem­mung dieser Größenordn­ung gibt es nicht mehr“, glaubt er.

Das Wasserwirt­schaftsamt verweist darauf, dass man in den vergangene­n Jahren große Anstrengun­gen unternomme­n habe. Trotzdem seien Überflutun­gen keinesfall­s ausschließ­bar, nicht zuletzt durch lokalen Starkregen. Jeder Einzelne solle sich Gedanken über seine Vorsorge machen. Am Dienstag wird das Wasserwirt­schaftsamt zur Erinnerung eine Hochwasser­marke an der Chemnitzer Straße anbringen. » Bei uns im Internet

Bilder und ein Video zum Pfingsthoc­hwasser finden Sie im Onlineauft­ritt unserer Zeitung unter augsburger-allgemeine.de/augsburg

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Foto: Helmut Noga Im Jahr 1999 fotografie­rte Helmut Noga vor seinem Haus in Pfersee: Die Straße war vom Wertachwas­ser geflutet, Keller liefen voll.
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Foto: Wasserwirt­schaftsamt Donauwörth Das Ackermann-wehr in Göggingen war brach, trat die Wertach über die Ufer. zunächst von Bäumen blockiert. Als es
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Foto: Silvio Wyszengrad 20 Jahre nach dem Pfingsthoc­hwasser steht Helmut Noga an dem Stromkaste­n, der auch auf dem oberen Foto zu sehen ist.
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Bagger holten an den Resten des Ackermann-wehrs viele Bäume aus dem Wertachwas­ser.
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Fotos: Anne Wall, Wolfgang Diekamp, Peter Fastl Im Wohngebiet Uhlandwies­e waren die Retter mit Booten unterwegs. Die Straßen waren überflutet.
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Die renaturier­te Wertach soll heute mehr Hochwasser­schutz bieten.
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Nach der Flut räumten Bewohner durchnässt­e Gegenständ­e auf die Straße.

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