Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Als das Pfingsthochwasser Augsburg überflutete
Steigende Pegel, ein brechendes Wehr und schwimmende Autos: Vor 20 Jahren erlebte vor allem Pfersee eine Katastrophe. Ein Anwohner erinnert sich an den Tag, als das Wertachwasser kam
Der Tag vor 20 Jahren begann für Helmut Noga um vier Uhr morgens mit dem Bellen seines Dackels: Auf der Straße vor seinem Haus in der Pferseer Uhlandwiese waren die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Wasserwacht unterwegs, um Anwohner zu warnen. Einige Stunden vorher war unter dem Druck eines Jahrhunderthochwassers der Wertach-damm am Ackermann-wehr geborsten, das durch Baumstämme verstopft war. Am Donnerstag wird es 20 Jahre her sein, dass das Wasser mit dem ersten Tageslicht des Pfingstsonntags nach Pfersee kam – mit Gewalt, erinnert sich Noga. „Die Kellerfenster flogen unter dem Druck raus, innerhalb von zwei Stunden standen der Keller und das Wohnzimmer unter Wasser.“
Noga war einer von mehr als 10 000 Göggingern und Pferseern, die das Hochwasser am 22. und 23. Mai 1999 heimsuchte. Betroffen war vor allem Pfersee-süd. Die schmutzig-braune Brühe rauschte mit Getöse Tiefgaragenrampen hinab, schob Autos auf der Straße wie Spielzeug herum, überflutete unzählige Keller und richtete Millionenschäden an. Die höchste Schätzung lag bei 180 Millionen Mark (gut 90 Millionen Euro). Getötet wurde damals niemand, doch es gab mehrere Verletzte. Bis zu eineinhalb Meter stand das Wasser hoch, Feuerwehr und Wasserrettung waren mit Booten unterwegs. Im Lauf des Pfingstsonntags sank der Wasserstand langsam.
Die betroffenen Straßenzüge glichen in den Tagen nach der Flut Sperrmüllhalden, weil Möbel weggeworfen werden mussten. „Der Bautrockner bei uns im Keller lief wochenlang. Ich bin am Dienstag nach Pfingsten gleich morgens in den Baumarkt, um so ein Gerät zu leihen. Ich hatte Glück – kurz darauf waren in Augsburg keine Geräte mehr verfügbar“, erinnert sich Sonja Meitinger, die damals einen überfluteten Keller in der Uhlandwiese hatte. Positiv sei der menschliche Zusammenhalt gewesen – bei Freunden wie auch bei den Nachbarn im Reihenhaus, das gerade bezogen wurde. „Alle haben zusammengeholfen.“
Manche Hausbesitzer, die nicht versichert waren, mussten Kredite aufnehmen, um die Schäden an ihren Gebäuden zu reparieren. Teils mussten Keller aufwendig gereinigt werden, weil das Hochwasser Öltanks aus der Verankerung gerissen hatte. Helmut Noga musste eine 20 Zentimeter hohe Schlammschicht vom Kellerboden kratzen. „Ich bin mit dem Hochdruckreiniger durch den Keller gegangen. Nass war es dort ja eh schon.“Beeindruckt gewesen sei er vom Engagement von Feuerwehr und Einsatzkräften. „Was die in diesen Tagen leisten mussten, war beachtlich.“
Noch am Tag der Flut kam die Frage nach der Schuld auf. Teils fühlten Bürger sich zu spät gewarnt. Für besondere Wut sorgte, dass der damalige Katastrophenschutzreferent Willi Reisser mit Erlaubnis von Oberbürgermeister Peter Menacher am Morgen des Fluttages in den lange geplanten Urlaub fuhr und die Geschäfte an seinen Vertreter übergab. Am Verlauf der Katastrophe hätte es aber nichts geändert, wenn Reisser vor Ort geblieben wäre, hieß es später in einem unabhängigen Untersuchungsbericht. Es habe insgesamt „gravierende Führungsmängel“gegeben, der Führungsstab sei zu klein gewesen, habe improvisiert und kein vollständiges Lagebild gehabt, doch auch eine 100-prozentig funktionierende Leitung hätte nichts mehr ausrichten können, so das Ergebnis. Klagen von Bürgern gegen die Stadt auf Schadensersatz blieben erfolglos.
Doch das Hochwasser hatte anderweitig Folgen: Die Stadt richtete wieder ein Sirenennetz ein, das nach dem Ende des Kalten Kriegs abgebaut worden war. Inzwischen nimmt Augsburg auch an der WarnApp „Nina“des Bundes teil und kann Bürger übers Handy warnen. Zudem, so Katastrophenschutz-referent Dirk Wurm (SPD), gebe es inzwischen eine 1,2 Kilometer lange Schutzwand, die auf acht Lkw transportiert und schnell aufgestellt werden kann. In einer Halle lagern zudem 10 000 Sandsäcke und entsprechende Maschinen zur Befüllung. Zudem, so Wurm, ist inzwischen festgelegt, dass der Leitdienst der Feuerwehr schon bei niedriger Hochwasser-warnstufe ein Auge auf die Lage hat.
Und noch weitreichender sind die Maßnahmen, die der Freistaat ergriffen hat. Er baute die Wertach um, damit Flutkatastrophen unwahrscheinlicher werden. Das Ackermann-wehr wurde durch ein flutsicheres Schlauchwehr ersetzt, das Goggeles-wehr abgerissen, der Localbahnsteg in Pfersee ohne Pfeiler neu gebaut. Auf der etwa acht Kilometer langen Strecke zwischen Inningen und der BürgermeisterAckermann-straße wird das Flussbett seit dem Jahr 2000 abschnittsweise verbreitert, teils sind gezielte Überschwemmungsflächen im Wald vorgesehen. Nach anfänglichen Protesten wegen Baumfällungen wird das Projekt nun relativ gut angenommen – auch wegen des höheren Freizeitwerts, den die Wertach seither bietet. Die Ufer wurden abgeflacht, der Fluss ist von Erholungssuchenden besser erlebbar.
Momentan steht noch der letzte Unterabschnitt auf Höhe Schafweidsiedlung/gögginger Wäldchen zwischen dem Ackermann-wehr und der B-17-brücke aus. Im Lauf des Jahres soll das Genehmigungsverfahren abgeschlossen werden. Das Flussbett soll von aktuell 25 Metern Breite auf etwa 90 Meter aufgeweitet werden. Die Planungen zogen sich lange hin, auch wegen Vorbehalten in der Schafweidsiedlung wegen einer Deichverlegung.
„Wenn dieser Bereich abgeschlossen ist, schläft man aus Pferseer Sicht ruhiger“, sagt Dietmar Egger, Vorsitzender der Bürgeraktion Pfersee. Man sehe es nach wie vor kritisch, dass die Stelle, an der die Wertach damals über die Ufer trat, noch nicht umgestaltet sei. „Es geht uns zu langsam“, so Egger.
Anwohner Noga sagt in der Bilanz, dass er 80 000 Mark Schaden hatte. Als einer von wenigen Hauseigentümern sei er gegen Hochwasser versichert gewesen. Schon 1965 war Pfersee-süd von einer Überschwemmung betroffen. Auch damals war die Wertach über die Ufer getreten und folgte – so wie 34 Jahre später – dem Verlauf des ausgetrockneten Brunnenbachs, der früher über die Uhlandwiese floss. Daran, so Noga, habe er sich erinnert, als er die Versicherung abschloss. Unruhige Nächte hat er wegen des Hochwassers nicht. Der Umbau des Ackermann-wehrs habe viel gebracht. „Eine zweite Überschwemmung dieser Größenordnung gibt es nicht mehr“, glaubt er.
Das Wasserwirtschaftsamt verweist darauf, dass man in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen habe. Trotzdem seien Überflutungen keinesfalls ausschließbar, nicht zuletzt durch lokalen Starkregen. Jeder Einzelne solle sich Gedanken über seine Vorsorge machen. Am Dienstag wird das Wasserwirtschaftsamt zur Erinnerung eine Hochwassermarke an der Chemnitzer Straße anbringen. » Bei uns im Internet
Bilder und ein Video zum Pfingsthochwasser finden Sie im Onlineauftritt unserer Zeitung unter augsburger-allgemeine.de/augsburg