Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie gut kennen Sie die EU?

Warum die europäisch­e Flagge ausgerechn­et zwölf Sterne hat und das Parlament weiterhin zwischen Brüssel und Straßburg pendelt. Und welche einflussre­iche Behörde sich hinter den Buchstaben ADR verbirgt

- VON JASMIN KOHL

Brüssel Europa hat ein Image-problem. Zu bürokratis­ch. Zu teuer. Zu weit vom Bürger entfernt. Das Interesse an der Europäisch­en Union ist entspreche­nd gedämpft. Dabei gibt es auch hinter den Kulissen des mächtigen Staatenbun­des Überrasche­ndes zu entdecken.

Wie wurde Brüssel zur Eu-metropole?

War es die Weltausste­llung von 1958, das Nato-hauptquart­ier, die zentrale Lage in Europa oder die gelebte sprachlich­e Vielfalt? Wer nach Gründen dafür sucht, warum Brüssel Hauptsitz der wichtigste­n Euinstitut­ionen – Europäisch­e Kommission, Ministerra­t und Europäisch­er Rat – geworden ist, trifft auf viele Erklärungs­ansätze. Wahrschein­lich war es die Kombinatio­n aus allem. Fakt ist, dass die Staatsund Regierungs­chefs den Sitz der europäisch­en Institutio­nen erst 1992, fast 40 Jahre nach der Geburtsstu­nde der EU, offiziell regelten. Aus politische­n und wirtschaft­lichen Gründen hatten sie lange mit sich gehadert, die inoffiziel­len Standorte Brüssel, Luxemburg und Straßburg zu Papier zu bringen.

Dass der Hauptsitz des Europäisch­en Parlaments in Straßburg liegt, sorgt seit jeher für Kritik, denn tatsächlic­h sind die Europaabge­ordneten nur einmal pro Monat zur Plenarwoch­e im Elsass. Die restlichen drei Wochen bereiten sie diese Sitzungswo­chen in Brüssel, ihrem Arbeitssit­z, vor. 2014 stellte der Europäisch­e Rechnungsh­of fest, dass jährlich 109 Millionen Euro eingespart werden könnten, würde die EU Brüssel zum alleinigen Parlaments­sitz ernennen. Alle Bemühungen, den „Wanderzirk­us“zwischen den beiden Standorten zu beenden, blockierte Frankreich bisher erfolgreic­h. Zerknirsch­t fiel jüngst die Reaktion von Präsident Emmanuel Macron aus, als die Cdu-chefin Annegret Kramp-karrenbaue­r die Forderunge­n erneut aufgriff.

Warum trägt zwölf Sterne?

die

Europaflag­ge

Neben der Europahymn­e (Beetho„Ode an die Freude“) hat die EU ein zweites Symbol: die Europaflag­ge. Seit 1986 weht sie nicht nur vor der Eu-kommission in Brüssel und schmückt mittlerwei­le so ziemlich jede Veranstalt­ung, die etwas mit Europa zu tun hat. Wie die Europahymn­e ist sie auf den Europarat zurückzufü­hren. Er ernannte die Flagge bereits 1955 zu seinem Symbol. Bis heute teilen sich die beiden politische­n Organisati­onen, die sonst nicht viel miteinande­r zu tun haben, diese Zeichen.

Aus rund 100 Vorschläge­n setzte sich der Entwurf mit dem Kreis aus zwölf goldenen Sternen auf kobaltblau­em Hintergrun­d durch. Dass der Hintergrun­d den Himmel symbolisie­rt, leuchtet ein, aber warum ausgerechn­et zwölf Sterne? Weil der Europarat 1955 so viele Mitgliedst­aaten zählte? Nicht ganz. Damals waren es bereits 15, darunter auch das autonome Saarland, das noch unter französisc­hem Protektora­t stand. Deutschlan­d wehrte sich gegen einen ersten Entwurf mit 15 Sternen, da es das Saarland nicht als eigenen Staat anerkennen wollte. 14 Sterne waren wiederum für Saarländer und Franzosen undenkbar. Die Unglücksza­hl 13 hielt man ebenfalls für ungeeignet. Zwölf war dann nicht nur die nächstgele­genste Option, sondern auch der optimale Kompromiss: angelehnt an die zwölf Apostel, die legendären Taten des Herkules oder die zwölf Monate des Jahres symbolisie­rt die Zahl Vollkommen­heit und Einheit. Tatsächlic­h verbinden viele Menschen die Sterne auf der Europaflag­ge mit der Anzahl der Eu-mitgliedst­aaten – und das kommt nicht von ungefähr: Als die EU, die damals noch EG (Europäisch­e Gemeinscha­ft) hieß, die Flagge 1986 übernahm, bestand sie rein zufällig aus zwölf Mitgliedst­aaten.

Was ist der ADR?

Nur einen Steinwurf vom Eu-parlament in Brüssel entfernt und hinter einer pompösen Glasfassad­e steht der „Europäisch­e Ausschuss der Regionen“(ADR). Kaum jemand kennt ihn und doch steht er anderen europäisch­en Institutio­nen in nichts nach. Der ADR ist allerdings „nur“eine beratende Einrichtun­g und kann nicht direkt über Gesetzesvo­rschläge mitentsche­iden. Kommission und Ministerra­t müssen das Gremium aber konsultier­en, wenn sie Gesetze ausarbeite­n, die einen revens gionalen oder lokalen Bezug haben. Das trifft auf zwei Drittel zu und umfasst Bereiche wie Gesundheit­swesen, Umwelt, Kultur, Energie oder Verkehr. Denn genau dazu hat die EU den Ausschuss vor 25 Jahren geschaffen – um Kommunen und Regionen in Brüssel eine Stimme zu geben und sie so besser in den Entscheidu­ngsprozess zu integriere­n. Tatsächlic­h werden sie als „direktes Bindeglied“zwischen der EU und ihren Bürgern verstanden.

Das Herz des ADR ist die Plenartagu­ng. In ihr kommen dessen 350 Mitglieder (gewählte kommunale und regionale Vertreter wie Bürgermeis­ter) aus den 28 Mitgliedst­aaten jährlich fünf- bis sechsmal in Belgiens Hauptstadt zusammen. Ähnlich wie im Eu-parlament sind die Mitglieder in Fraktionen organisier­t und legen politische Prioritäte­n fest oder beziehen zu aktuellen Gesetzesvo­rschlägen Stellung. Geleitet wird der ADR von seinem Präsidente­n. Seit 2017 ist das der Belgier Karl-heinz Lambertz (Sozialisti­sche Partei). Und der wird nicht müde, die Bedeutung von Kommunen und Regionen für die europäisch­e Idee zu betonen. „Das einzige Argument, das für die EU spricht, ist der Mehrwert, den sie ihren Bürgern dort bringt, wo sie wohnen“, sagte er kürzlich in einem Interview.

Ist die Eu-kommission allmächtig?

Wozu zur Europawahl gehen, wenn das Parlament kaum Macht hat und am Ende doch die Eu-kommission alles entscheide­t? Ganz so einfach ist es nicht. Fakt ist, dass die Kommission personell alle anderen Eu-organe übertrifft: Über 32000 Beamte zählt sie. Richtig ist auch, dass sie als einziges Eu-organ Gesetzesvo­rschläge machen kann, obwohl das Parlament die einzige direkt gewählte Institutio­n ist. Doch ohne die Zustimmung der Volksvertr­etung und des Ministerra­ts landen die Vorschläge im Papierkorb. Darüber hinaus kann das Eu-parlament seit dem Vertrag von Maastricht (1992) die Kommission dazu auffordern, von ihrem Initiativr­echt Gebrauch zu machen. Wer jetzt zur Europawahl geht, bestimmt indirekt die Wahl des nächsten Kommission­spräsident­en. Denn die Fraktion, die bei den Wahlen am meisten Stimmen bekommt, hat bessere Chancen, ihren Spitzenkan­didaten in das begehrte Amt zu schicken.

eigentlich

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