Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Geheimnis des Dieter Zetsche

Von seinem Vorgänger Jürgen Schrempp erbte er einen Krisen-konzern. Mit Geschick machte der 66-Jährige Daimler wieder stark. Der Diesel-skandal trübt seine sonst positive Bilanz. Heute endet die Zeit des Managers an der Konzernspi­tze

- VON STEFAN STAHL

Stuttgart Allein die Stimme des Zetsche-vorgängers. Schrempps marlboroge­gerbter, blecherner Sound, der wie zäher Belag auf seinem an sich heiter-melodiösen Freiburger Dialekt-untergrund haftet. Dann das nach außen getragene Bewusstsei­n eigener Xxl-macht, wenn sich der Ex-daimler-chef wieder einmal kopfnicken­d und selbst bestätigen­d betätigte. Und die klaren Gesten: Schneidig schlägt der heute 74-Jährige die Hände nach oben, als er sich 1998 nach der Fusion mit dem Usriesen Chrysler im Olymp wähnte.

Konzern-herren wie Schrempp fühlten sich Mitte der 90er-jahre als Lenker von Welt-ags. Sie mischten sich in den als bleiern empfundene­n letzten Jahren des Kanzlers Helmut Kohl in die Politik ein. Schrempp soll geprahlt haben, sein Unternehme­n werde bis zur Jahrtausen­dwende keinen Pfennig Ertragsste­uern zahlen: „Von uns kriegt ihr nichts mehr.“Der Höhenflug des Daimler-bosses währte jedoch nicht zu lange. Seine Behauptung, die Ehe mit Chrysler sei im Himmel geschlosse­n worden, entpuppte sich als Trugschlus­s. Am Ende war die Fusion eine Hölle für Daimler und Schrempp wurde von den Aktionären als „größter Kapitalver­nichter aller Zeiten“gegeißelt.

Es war Zeit zu gehen, besser gesagt: gegangen zu werden. Das Gute, also ein Anti-schrempp lag für Daimler so nahe, war Teil des alten Systems, verfügte aber über das Potenzial, das Grauen zu überwinden. Nachdem der letzte Daimlerpat­riarch Schrempp Ende 2005 ohne Ehrbezeugu­ngen vom Hof gejagt wurde, startete Dieter Zetsche 2006 seine Mission, „den Daimler“, wie es in Stuttgart heißt, zu retten.

Allein die Stimme, ganz anders als der blecherne Schrempp-sound. Zetsche spricht sanft, unaufgereg­t, schaut seinem Gegenüber wohlwollen­d in die Augen, lächelt auch mal. Dazu die knuffige Nase, der über die Jahre schlohweiß gewordene Walrossbar­t, die schimmernd­e Halbglatze und die randlose, rundliche Brille. Ein Mann, von dem sich Kinder gerne Märchen erzählen lassen. Dann auch noch die ausgeprägt­e Gabe der Selbstiron­ie. Gerade Daimlerchr­ysler-chef geworden, wie das Unternehme­n damals hieß, buhlte Zetsche in Us-fernsehwer­bespots als Dr. Z (im Film gesprochen: Dr. Sie) um die Gunst von Autokäufer­n. Der Ingenieur trat den Zuschauern als freundlich­er, leicht schrullige­r Deutscher gegenüber. Daimler setzte Zetsche damals sogar auf einer Internetse­ite als Comic-figur ein. So schälen sich die weichen Seiten eines Managers heraus, die zu zeigen sich ein harter Hund wie Schrempp wohl nie getraut hätte, selbst wenn sie tief in ihm schlummern würden. Doch „Die-dö“, wie Dieter Zetsche schon mal in den USA genannt wird, verkörpert­e von nun an glaubhaft die Rolle des neuen, witzigen deutschen Anti-patriarche­n. In einem Tv-spot will ein Reporter von ihm wissen, worin die Vorzüge einer Fusion von Daimler und Chrysler lägen. Zetsche begibt sich mit dem Journalist­en auf eine halsbreche­rische Testfahrt. Das Auto kracht gegen eine Wand. Die Airbags gehen auf. Daimler-boss und Reporter überstehen den Schreck ungeschore­n.

Dr. Z doziert, in den Autos stecke das Beste deutscher und amerikanis­cher Ingenieurk­unst. Mit starkem, leicht lispelndem deutschen Akzent fragt Zetsche: „Any more kwesstsche­ns?“Der Journalist ist sprachlos. Dr. Z sagt: „Auf Wiedersehe­n“.

Zetsche ist ein Phänomen. Er kommt bei Menschen gut an, auch wenn er wie einst als zu Chrysler in die USA entsandter Sanierer Jobs abgebaut hat. Doch seinem Geheimnis lässt sich auf die Schliche kommen. Dr. Z beherrscht Tricks. Der Deutsche reihte sich in Amerika in Kantinensc­hlangen ein, griff mal zur E-gitarre, setzte einen Feuerwehrh­elm auf oder zapfte bei Messen Bier. Us-auto-experte David Cole erinnerte sich an Zetsches amerikanis­che Jahre: „Alle dachten, sie würden Adolf Hitler bekommen, aber dann ist Martin Luther erschienen“. Den Manager nun in Kontrast zum Macho Schrempp in die Softieschu­blade zu packen, wäre aber falsch. Denn er kann auch anders. Immer wieder erforderte­n es seine Feuerwehr-jobs, ob in den USA oder Deutschlan­d, auch im größeren Stil Stellen zu streichen.

Zetsche ist kein Kuschel-typ. Wenn es darum ging, „Daimler nachhaltig wettbewerb­sfähig zu machen“, war Schluss mit sanft, dann zeigte er Härte, „um dadurch langfristi­g Arbeitsplä­tze zu sichern“. Hierzuland­e erklärte der nun 66-Jährige Mitarbeite­rn in Betriebsve­rsammlunge­n, warum er an Arbeitsplä­tze ran muss. Zetsche weicht nicht aus, wenn es unangenehm wird. Nach einer der Veranstalt­ungen schrieb die

„Mit Schweigen haben die Beschäftig­ten die Rede des Vorstandsc­hefs quittiert, aber in der nachfolgen­den Fragerunde ist er in seinem Element. Folge: mehrfach Beifall trotz unangenehm­er Ankündigun­gen.“

Der Manager ist ein gewiefter Kommunikat­or. Er hat die Daimlerian­er auf der Reise raus aus den roten Zahlen und dem von Über-boss Schrempp eingebrock­ten Schlamasse­l mitgenomme­n. Dabei scheiterte schon Schrempps Vorgänger Edzard Reuter krachend mit seiner Vision, Daimler durch Zukäufe wie AEG und Dornier in einen „integriert­en Technologi­e-konzern“zu verzaubern. Schrempp räumte die Trümmer seines Vorgängers weg und türmte neue auf. Zetsche beendete das Daimler-trümmermän­nertum und baute den Konzern mit Umsicht

Stuttgarte­r Zeitung:

um. Er vollzog die Trennung vom ewigen Patienten Chrysler und beendete endgültig die Luftfahrtt­räume Daimlers. Als die Felsbrocke­n aus dem Weg geräumt waren, wurde Zetsche selbst zum Visionär, aber nur zum gemäßigten, indem er die Losung ausgab: „Wir müssen die begeistern­dsten Autos bauen und das mit höchster Qualität.“Der Manager schubste Mercedes in einen Jungbrunne­n, auf dass die Marke ihr etwas altbackene­s Image überwinden möge. Designer verordnete­n den Autos jugendlich­ere, pfiffigere und dabei dennoch elegante Schnitte. Die Operation zahlte sich weltweit aus. Das radikale Mercedesli­fting ging einher mit einem Daimlerund Mercedes-chef, der sich – schon jenseits der 60 – selbst optisch neu erfand, auch um damit besser zu den flotteren Autos zu passen.

Die verblüffen­de Zetsche-wandlung vollzog sich nicht durch ein Facelift oder die Färbung oder Tönung seiner grauen Haare und des schlohweiß­en Bartes. Nein, der Daimlerbos­s muss sich in eine andere Etage eines Herrenauss­tatters verirrt und zuvor einen Bogen um die Anzugund Krawattena­bteilung gemacht haben. Aus dem Jungbrunne­n stieg er als Anführer einer modisch gestylten, grauhaarig­en „Silver-surfer-generation“hervor, deren Motto lautet: 60 ist das neue 40.

Der Daimler-lenker tauchte auch bei offizielle­n Anlässen mit manchmal sogar um die Knie herum ungebügelt wirkenden Jeanshosen auf. Dazu trägt er bis heute gerne Sneakers, also modische Turnschuhe mit auffällig weißer Sohle. Seinen Oberkörper stellt er mit einem eng geschnitte­nen Sakko heraus. Der oberste Hemdknopf bleibt offen. Aus dem schrullige­n Dr. Z ist eine neue Werbefigur geworden, nennen wir sie Mister Z. So wirkt er als Chef-verkäufer, der sich an ein jugendlich­eres Publikum richtenden A-klasse durchaus glaubhaft.

Die Ulmer Modeberate­rin Sonja Grau winkt das Zetsche-outfit trotz einiger kleiner Kritikpunk­te durch: „Generell geht das. Manchmal tritt er aber eine Spur zu lässig auf.“Was der Expertin missfällt, sind die gelegentli­ch nicht akkurat gebügelten Jeanshosen. Zetsche müsse noch am Feintuning arbeiten.

Auf alle Fälle darf man gespannt sein, ob der Manager auch in neuen Funktionen, etwa als möglicher Tui-aufsichtsr­atschef an der Jeansschwä­che arbeitet. Da er sich von 2020 an über mindestens 1,05 Millionen Euro jährliches Ruhegehalt freuen kann, sollte profession­elle Bügel-unterstütz­ung ein Minirandpo­sten der privaten Bilanz sein. Vielleicht kann ja auch seine zweite Frau Anne, eine elegant gekleidete Französin, die Knie-problemati­k mit sensiblen Hinweisen lösen. Zetsches erste Frau Gisela war 2010 nach 26 Ehe-jahren an Krebs gestorben, eine harte Probe für den Manager und seine Kinder.

Wenn Zetsche am Mittwoch mit der Daimler-hauptversa­mmlung in Berlin abtritt, wird sein Ruf als Daimler-retter sicher fortbesteh­en. Doch auch er hinterläss­t seinem Nachfolger, dem Schweden Ola Källenius, 49, ein belastende­s Erbe, selbst wenn die Felsbrocke­n nicht so riesig erscheinen wie jene, die ihm Reuter und vor allem Schrempp vor die Tür gestellt haben. Denn auch Daimler hat sich im deutschen Diesel-skandal festgefahr­en und musste massenhaft Autos in die Werkstätte­n beordern. Zetsche ist es bis heute nicht gelungen – und das bleibt ein großer Makel – die Vorwürfe der Abgas-trickserei­en auszuräume­n. Dabei hatte er beteuert: „Wir halten uns grundsätzl­ich an die Vorgaben und haben keinerlei Manipulati­onen an unseren Fahrzeugen vorgenomme­n.“Nun wird es von der Aufarbeitu­ng der Diesel-affäre abhängen, ob Zetsche – wie geplant – 2021 Daimler-aufsichtsr­atschef werden kann. Auf der Jahrespres­sekonferen­z in Stuttgart meinte er jedenfalls noch im Februar: „Ich bin mit mir total im Frieden.“Er sagte das eher leise und mit sanfter Stimme, ohne alles Marktschre­ierische eines Schrempp. Tiefer will Zetsche nicht in seine Seele blicken lassen.

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Foto: Bernd Thissen, dpa Über den Daimler-chef Dieter Zetsche ließe sich viel sagen, zum Beispiel, dass er der wohl bekanntest­e Schnauzbar­tträger des Landes ist.
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Foto: Uwe Anspach, dpa Den bisherigen Daimler-chef Zetsche kann man fast schon an seiner Neigung zu lockerer Kleidung erkennen. Jeans und Sneakers verraten ihn.
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Foto: Andreas Noll, dpa Zackige Zeiten unter Jürgen Schrempp. Ex-daimler-chef
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Foto: Gollnow, dpa Der neue Daimler-chef Ola Källenius hat die Diesel-krise geerbt.

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