Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Weshalb Strompreise wirklich steigen
Die Anbieter begründen steigende Tarife vor allem mit einem höheren Großhandelspreis für Strom an der Börse. Verbraucherschützer haben Zweifel an dieser Darstellung
Augsburg Die Stromrechnung zählt zu den größeren Ausgaben, die jeder Haushalt regelmäßig einplanen muss. Und die Tendenz geht weiter nach oben: In den ersten drei Monaten dieses Jahres haben in Deutschland rund zwei Drittel der Grundversorger ihre Tarife erhöht, berichtet unlängst das Verbraucherportal Verivox. An der Erklärung der Stromkonzerne dafür gibt es aber inzwischen Zweifel.
Wie begründen die Energieunternehmen die Strompreiserhöhungen?
Jahrelang haben die Anbieter auf steigende Steuern, Abgaben und Umlagen verwiesen. Tatsächlich hat zum Beispiel die Eeg-umlage lange Zeit stark zugelegt. Steuern, Abgaben und Umlagen machen heute satte 53 Prozent am Strompreis für Haushalte aus, berichtet der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Doch diese Erklärung funktioniert nicht mehr ganz. Zum Jahreswechsel stiegen die staatlichen Strompreis-bestandteile nicht mehr, sondern sanken sogar leicht. Die Eeg-umlage ging zum Beispiel von 6,79 Cent pro Kilowattstunde auf 6,41 Cent zurück. Jetzt gibt es eine andere Erklärung – nämlich deutlich höhere Einkaufspreise für Strom. Auch die Stromanbieter müssen Strom ja zunächst von den Kraftwerksbetreibern beziehen, bevor sie ihn an die Kunden weitergeben können. Dies geschieht über die Strombörse in Leipzig. Und hier kam es tatsächlich zu Erhöhungen. „Die Kosten für Beschaffung und Vertrieb sind Anfang 2019 aufgrund deutlich gestiegener Großhandelspreise um 10,6 Prozent gestiegen“, berichtet der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft.
Wieso gibt es Zweifel an der Darstellung vieler Anbieter?
Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW hat Zweifel an der Darstellung vieler Energieanbieter. Denn jahrelang hätten die Anbieter fallende Großhandelspreise nicht an die Verbraucher weitergegeben, sagte er unserer Redaktion. „Das Argument lautete damals, dass die Anbieter den Strom nicht kurzfristig am Spotmarkt beschaffen, sondern über langfristige Verträge am Terminmarkt – und daher von den sinkenden Preisen noch gar nicht profitieren würden“, erinnert er sich. Die Verbraucherzentrale rechnete nach und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: Wenn man alle Steuern, Abgaben und Umlagen aus dem Strompreis herausrechnet und nur die Kosten der Stromanbieter für Beschaffung, Vertrieb plus den Gewinn betrachtet, so ist dieser Sockel trotz fallender Börsenpreise gestiegen, schildert es Sieverding. „Das heißt, dass die Anbieter einen Teil in die eigene Tasche gesteckt haben“, sagt er. „Zumindest in der Grundversorgung ist das unanständig“, ist er überzeugt. „Die Verbraucher haben jedenfalls nicht in dem Maße von gesunkenen Börsenpreisen profitiert, wie es der Fall hätte sein können.“Noch mehr ärgert ihn aber die gegenwärtige Situation: „Lange lag der Börsenstrompreis bei 3 bis 3,5 Cent pro Kilowattstunde, dann stieg er auf vier Cent – und schon drei Monate später flatterten die Preiserhöhungen in die Briefkästen der Verbraucher“, sagt Sieverding. „Das ist hochgradig unglaubwürdig, das kritisiere ich scharf“, fügt er an. Zum Jahreswechsel lag der Börsenpreis bei rund 6 Cent. In den letzten Wochen habe sich die Lage am Strommarkt aber etwas entspannt. „Trotzdem erhielten die Haushalte im Frühjahr weitere Preiserhöhungen.“
Lässt sich dies auch in Zahlen ausdrücken?
Auf Basis von Daten des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft und von Verivox hat der Sender n-tv über folgende Rechnung berichtet, die im Detail auch unserer Zeitung vorliegt: Ein Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden zahlt durch die Strompreiserhöhungen vieler Grundversorger im Januar 2019 im Schnitt rund 60 Euro im Jahr mehr. Der Anstieg der Beschaffungskosten mache davon aber nur 27,20 Euro aus, die höheren Netzentgelte vier Euro, dazu kommt eine Entlastung durch geringere Steuern, Abgaben und Umlagen von 1,20 Euro. Unter dem Strich ergibt sich eine Differenz von 30 Euro, die den Stromanbietern zufließt, die aber unerklärt bleibt.
Wie können Verbraucher reagieren?
„Die Kunden sollten die Preissteigerungen nicht einfach so hinnehmen“, meint Verbraucherschützer Sieverding. Das Einfachste sei, den Anbieter zu wechseln. „Dies wird millionenfach erfolgreich gemacht.“Schlechte Erfahrungen oder Pleiten von Stromanbietern könne es zwar in Einzelfällen geben. „In Millionen Fällen läuft aber alles glatt und die Verbraucher sparen einfach Geld“, sagt er. Bei der Pleite eines Anbieters ist die Stromversorgung übrigens trotzdem gesichert. Dann springt der Grundversorger ein. Was aber, wenn Verbraucher aus Überzeugung ihrem Stadtwerk die Treue halten wollen? Hier rät Sieverding, zumindest nach einem besseren Tarif zu fragen. „In jedem Fall raus aus der Grundversorgung.“
Welche neuen Angebote helfen dabei?
Wem das Wechseln zu mühsam ist, dem bieten seit einiger Zeit Wechselhelfer ihren Dienst an. Die jungen Unternehmen wechseln für den Verbraucher meist jedes Jahr automatisch in einen günstigen Tarif. Bekannte Namen sind Esave, Switchup, Cheapenergy24 aus Augsburg oder Wechselpilot. Die Stiftung Warentest hat die Dienste jetzt getestet. „Alle optimieren nicht nur regelmäßig den Stromtarif und helfen beim Sparen. Sie übernehmen auch die gesamte Kommunikation mit dem Versorger“, lautete das Fazit in der April-ausgabe von Finanztest. Von neun Diensten empfahlen die Tester sieben, von zwei raten sie ab. „Den meisten Menschen ist klar, dass ihnen ihr Anbieter zu viel berechnet“, sagt Switchup-gründer Arik Meyer. „Aber wer hat denn schon Lust, sich dauernd um seinen Strom- oder Gastarif zu kümmern? Dies wissen die Anbieter und berechnen ihren treuen Kunden mehr als neuen Kunden“, sagt er. Dieses Problem wollen Tarifaufpasser automatisch lösen.