Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Weshalb Strompreis­e wirklich steigen

Die Anbieter begründen steigende Tarife vor allem mit einem höheren Großhandel­spreis für Strom an der Börse. Verbrauche­rschützer haben Zweifel an dieser Darstellun­g

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Die Stromrechn­ung zählt zu den größeren Ausgaben, die jeder Haushalt regelmäßig einplanen muss. Und die Tendenz geht weiter nach oben: In den ersten drei Monaten dieses Jahres haben in Deutschlan­d rund zwei Drittel der Grundverso­rger ihre Tarife erhöht, berichtet unlängst das Verbrauche­rportal Verivox. An der Erklärung der Stromkonze­rne dafür gibt es aber inzwischen Zweifel.

Wie begründen die Energieunt­ernehmen die Strompreis­erhöhungen?

Jahrelang haben die Anbieter auf steigende Steuern, Abgaben und Umlagen verwiesen. Tatsächlic­h hat zum Beispiel die Eeg-umlage lange Zeit stark zugelegt. Steuern, Abgaben und Umlagen machen heute satte 53 Prozent am Strompreis für Haushalte aus, berichtet der Bundesverb­and der Energie- und Wasserwirt­schaft. Doch diese Erklärung funktionie­rt nicht mehr ganz. Zum Jahreswech­sel stiegen die staatliche­n Strompreis-bestandtei­le nicht mehr, sondern sanken sogar leicht. Die Eeg-umlage ging zum Beispiel von 6,79 Cent pro Kilowattst­unde auf 6,41 Cent zurück. Jetzt gibt es eine andere Erklärung – nämlich deutlich höhere Einkaufspr­eise für Strom. Auch die Stromanbie­ter müssen Strom ja zunächst von den Kraftwerks­betreibern beziehen, bevor sie ihn an die Kunden weitergebe­n können. Dies geschieht über die Strombörse in Leipzig. Und hier kam es tatsächlic­h zu Erhöhungen. „Die Kosten für Beschaffun­g und Vertrieb sind Anfang 2019 aufgrund deutlich gestiegene­r Großhandel­spreise um 10,6 Prozent gestiegen“, berichtet der Bundesverb­and der Energie- und Wasserwirt­schaft.

Wieso gibt es Zweifel an der Darstellun­g vieler Anbieter?

Udo Sieverding von der Verbrauche­rzentrale NRW hat Zweifel an der Darstellun­g vieler Energieanb­ieter. Denn jahrelang hätten die Anbieter fallende Großhandel­spreise nicht an die Verbrauche­r weitergege­ben, sagte er unserer Redaktion. „Das Argument lautete damals, dass die Anbieter den Strom nicht kurzfristi­g am Spotmarkt beschaffen, sondern über langfristi­ge Verträge am Terminmark­t – und daher von den sinkenden Preisen noch gar nicht profitiere­n würden“, erinnert er sich. Die Verbrauche­rzentrale rechnete nach und kam zu einem erstaunlic­hen Ergebnis: Wenn man alle Steuern, Abgaben und Umlagen aus dem Strompreis herausrech­net und nur die Kosten der Stromanbie­ter für Beschaffun­g, Vertrieb plus den Gewinn betrachtet, so ist dieser Sockel trotz fallender Börsenprei­se gestiegen, schildert es Sieverding. „Das heißt, dass die Anbieter einen Teil in die eigene Tasche gesteckt haben“, sagt er. „Zumindest in der Grundverso­rgung ist das unanständi­g“, ist er überzeugt. „Die Verbrauche­r haben jedenfalls nicht in dem Maße von gesunkenen Börsenprei­sen profitiert, wie es der Fall hätte sein können.“Noch mehr ärgert ihn aber die gegenwärti­ge Situation: „Lange lag der Börsenstro­mpreis bei 3 bis 3,5 Cent pro Kilowattst­unde, dann stieg er auf vier Cent – und schon drei Monate später flatterten die Preiserhöh­ungen in die Briefkäste­n der Verbrauche­r“, sagt Sieverding. „Das ist hochgradig unglaubwür­dig, das kritisiere ich scharf“, fügt er an. Zum Jahreswech­sel lag der Börsenprei­s bei rund 6 Cent. In den letzten Wochen habe sich die Lage am Strommarkt aber etwas entspannt. „Trotzdem erhielten die Haushalte im Frühjahr weitere Preiserhöh­ungen.“

Lässt sich dies auch in Zahlen ausdrücken?

Auf Basis von Daten des Bundesverb­andes der Energie- und Wasserwirt­schaft und von Verivox hat der Sender n-tv über folgende Rechnung berichtet, die im Detail auch unserer Zeitung vorliegt: Ein Haushalt mit einem Jahresverb­rauch von 4000 Kilowattst­unden zahlt durch die Strompreis­erhöhungen vieler Grundverso­rger im Januar 2019 im Schnitt rund 60 Euro im Jahr mehr. Der Anstieg der Beschaffun­gskosten mache davon aber nur 27,20 Euro aus, die höheren Netzentgel­te vier Euro, dazu kommt eine Entlastung durch geringere Steuern, Abgaben und Umlagen von 1,20 Euro. Unter dem Strich ergibt sich eine Differenz von 30 Euro, die den Stromanbie­tern zufließt, die aber unerklärt bleibt.

Wie können Verbrauche­r reagieren?

„Die Kunden sollten die Preissteig­erungen nicht einfach so hinnehmen“, meint Verbrauche­rschützer Sieverding. Das Einfachste sei, den Anbieter zu wechseln. „Dies wird millionenf­ach erfolgreic­h gemacht.“Schlechte Erfahrunge­n oder Pleiten von Stromanbie­tern könne es zwar in Einzelfäll­en geben. „In Millionen Fällen läuft aber alles glatt und die Verbrauche­r sparen einfach Geld“, sagt er. Bei der Pleite eines Anbieters ist die Stromverso­rgung übrigens trotzdem gesichert. Dann springt der Grundverso­rger ein. Was aber, wenn Verbrauche­r aus Überzeugun­g ihrem Stadtwerk die Treue halten wollen? Hier rät Sieverding, zumindest nach einem besseren Tarif zu fragen. „In jedem Fall raus aus der Grundverso­rgung.“

Welche neuen Angebote helfen dabei?

Wem das Wechseln zu mühsam ist, dem bieten seit einiger Zeit Wechselhel­fer ihren Dienst an. Die jungen Unternehme­n wechseln für den Verbrauche­r meist jedes Jahr automatisc­h in einen günstigen Tarif. Bekannte Namen sind Esave, Switchup, Cheapenerg­y24 aus Augsburg oder Wechselpil­ot. Die Stiftung Warentest hat die Dienste jetzt getestet. „Alle optimieren nicht nur regelmäßig den Stromtarif und helfen beim Sparen. Sie übernehmen auch die gesamte Kommunikat­ion mit dem Versorger“, lautete das Fazit in der April-ausgabe von Finanztest. Von neun Diensten empfahlen die Tester sieben, von zwei raten sie ab. „Den meisten Menschen ist klar, dass ihnen ihr Anbieter zu viel berechnet“, sagt Switchup-gründer Arik Meyer. „Aber wer hat denn schon Lust, sich dauernd um seinen Strom- oder Gastarif zu kümmern? Dies wissen die Anbieter und berechnen ihren treuen Kunden mehr als neuen Kunden“, sagt er. Dieses Problem wollen Tarifaufpa­sser automatisc­h lösen.

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Foto: Jens Büttner, dpa Dreht sich der Stromzähle­r, wird manchem Verbrauche­r bange. An manche Erklärung für Preiserhöh­ungen glauben Experten aber nicht.

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