Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Fahrlässig­e Tötung? Kripo ermittelt

Nach der Explosion in Rettenbach haben Anwohner Angst: Kann ihnen ebenfalls so etwas passieren? Die Experten versuchen derweil zu klären, wie es zur Tragödie kommen konnte

- VON SIMONE HÄRTLE UND DIRK AMBROSCH

Rettenbach am Auerberg Sorge macht sich breit bei manch einem Anwohner in Rettenbach am Auerberg. Ein Haus, das selbst gar nicht an das Flüssiggas­netz im Ort angeschlos­sen war, fliegt bei einer Gasexplosi­on in die Luft. Zwei Menschen sterben, eine Frau erleidet schwerste Verletzung­en. Die Hauptleitu­ng muss weg, fordert ein Nachbar, der namentlich nicht genannt werden möchte. Kriminalpo­lizei, Bürgermeis­ter und der Flüssiggas­anbieter aber sind sich einig: Für die Bewohner der Gemeinde besteht offenbar keine weitere Gefahr. Die verschloss­ene Zuleitung zu dem betroffene­n Gebäude war nach derzeitige­m Stand der Ermittlung­en bei Bauarbeite­n auf dem Grundstück komplett durchtrenn­t worden. Staatsanwa­ltschaft und Kriminalpo­lizei ermitteln wegen fahrlässig­er Tötung gegen Unbekannt.

Eine Hauptringl­eitung für Flüssiggas führt durch das Wohngebiet in Rettenbach, in dem am Sonntag das Unglück geschah. Wer will, kann sich an die Versorgung anschließe­n lassen. Bei dem explodiert­en Gebäude war das nicht der Fall. Zwar zweigte ein Arm von der Hauptleitu­ng zu dem Wohnhaus hin ab, dieser endete aber etwa einen Meter vor der Kellerwand in 80 Zentimeter­n Tiefe, erklärt Michael Haber, Leiter der Kemptener Kriminalpo­lizei. Und eben jene Zuleitung sei durchtrenn­t worden, dem Anschein nach mit einer Baggerscha­ufel. „Zuletzt fanden auf dem Grundstück offenbar vor zwei Jahren Bauarbeite­n statt“, sagt Haber. Dabei habe es sich nach Angaben von Bürgermeis­ter Reiner Friedl nicht um Arbeiten der Gemeinde gehandelt.

Dass seit zwei Jahren tatsächlic­h Gas ausgetrete­n ist, halten die Ermittler aber für unwahrsche­inlich. Es könne sein, dass die Öffnung vom Erdreich oder durch ein Sicherheit­sventil verschloss­en worden ist. Erdbewegun­gen oder eine Erschütter­ung hätten dann möglicherw­eise dafür gesorgt, dass das Gas austrat. Es sickerte ins Erdreich ein und gelangte nach derzeitige­n Erkenntnis­sen entweder durch eine Rohrleitun­g oder den Kellerlich­tschacht in das Gebäude. „Wenn Gas eine gewisse Sättigung erreicht, genügt ein elektrisch­er Zündfunke für eine Explosion“, sagt Haber. Das könne das Anknipsen des Lichts genau wie das Anschalten einer Waschmasch­ine sein. Gas wird ein strenger Geruch beigeIn diesem Fall könnte aber das Erdreich wie ein Filter gewirkt haben. Zeugen hätten allerdings einen leichten Gasgeruch wahrgenomm­en, sagt Haber. Die Beamten wollen nun herausfind­en, wann genau die Leitung beschädigt wurde und wann das Gas ausgetrete­n ist. Kriminalpo­lizei und Staatsanwa­ltschaft ermitteln wegen fahrlässig­er Tötung gegen Unbekannt. Die Polizei Marktoberd­orf sucht mit der örtlichen Feuerwehr das derzeit abgesperrt­e Trümmerfel­d nach Wertsachen und persönlich­en Gegenständ­en der Familie ab.

Dass es in dem 900-Einwohnerd­orf zu weiteren Gasunglück­en kommt, sei nicht zu vermuten, sagt Haber. Das Schadensbi­ld, also die durchtrenn­te Leitung, lasse auf die Bauarbeite­n als Ursache schließen. Auch Bürgermeis­ter Friedl betont: „Die Staatsanwa­ltschaft hat die Leitung freigegebe­n und die Betreiberf­irma hat jedes Haus überprüft.“

Seit der Detonation und dem Einsturz des Hauses hat der Bürgermeis­ter kaum mehr ein Auge zugemacht. Auch von Montag auf Dienstag war er wieder die ganze Nacht im Einsatz. Es gibt so unglaublic­h viel zu tun. „Wir sind hier die zentrale Anlaufstel­le und koordinier­en alles“, sagt Friedl. Gerade hat er mit einer Versicheru­ng verhandelt, die Geschädigt­e auf nächste Woche vertrösten wollte. „Für so etwas habe ich kein Verständni­s.“Friedl kümmert sich. Bei den Betroffene­n seien zu viele Emotionen im Spiel. Nun will die Versicheru­ng doch gleich tätig werden.

Der Bürgermeis­ter organisier­te auch eine Kleiderspe­nden-aktion. Der Mieterin einer Einliegerw­ohnung in dem durch die Explosion völlig zerstörten Haus ist laut Friedl nichts geblieben als „die Sachen, die sie am Körper trug“. Zum Zeitpunkt des Unglücks war die Frau außer Haus. Insgesamt drei Nachbargeb­äude wurden bei der Detonation beschädigt, eines davon sehr stark. Das Vordach dieses Gebäudes war einsturzge­fährdet und musste abgestützt werden, aus der Fassade wurden teils große Stücke herausgemi­scht. sprengt. Das Haus ist nicht mehr bewohnbar, sagt Friedl. Die Besitzer sind im Dorf untergebra­cht.

 ?? Foto: Martina Diemand ?? Zwei Tage nach der Explosion im Ostallgäue­r Ort Rettenbach gehen die Such- und Aufräumarb­eiten weiter. Die Polizei ermittelt, wann und wie genau es zu der Beschädigu­ng der Gasleitung gekommen ist.
Foto: Martina Diemand Zwei Tage nach der Explosion im Ostallgäue­r Ort Rettenbach gehen die Such- und Aufräumarb­eiten weiter. Die Polizei ermittelt, wann und wie genau es zu der Beschädigu­ng der Gasleitung gekommen ist.

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