Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sie geben psychisch Kranken Arbeit

Eine Psychose, Depression­en, Sucht – solche seelischen Leiden können jeden treffen. Dann einen Job zu finden, ist oft sehr schwer. Ein Verein in Günzburg hilft Betroffene­n. Wie die Kartei der Not die Einrichtun­g unterstütz­t

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Günzburg Zwölf bis 13 Stunden schafft es Oliver in der Woche zu arbeiten. An diesem Nachmittag montiert er Räder für Einkaufswä­gen des Unternehme­ns Wanzl. Der 40-Jährige säubert an anderen Tagen aber auch die Rollstühle im Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Günzburg. Oliver ist gelernter Kaufmann. Doch in seinem Beruf kann er schon seit Jahren nicht mehr arbeiten. „Seit 1997 bin ich psychisch krank“, erzählt er. Leistungsd­ruck vertrage er keinen mehr. Aber er will arbeiten. „Ich tu, was ich kann“, sagt er und lächelt. Auch, weil er das Geld brauche.

Angestellt ist Oliver bei der ARBE, dem Verein „Arbeit und Beschäftig­ung für psychisch Belastete – Psychosozi­ale Hilfsgemei­nschaft“. 2003 wurde der Verein gegründet. Zu den Gründern gehören Gerhard Fischer und Josef Joas. Beide leiten heute den Verein. Gerhard Fischer war Pflegedien­stleiter am BKH Günzburg, Josef Joas Leiter der Ergotherap­ie. Der 67-jährige Fischer ist bereits im Ruhestand, Joas in Altersteil­zeit. Für beide ist das ehrenamtli­che Engagement bei der ARBE eine Herzensang­elegenheit. Denn beide wissen aus ihrer langjährig­en Arbeit im BKH nur zu gut, wo die Probleme psychisch kranker Menschen sind.

So würden viele von ihnen nach ihrer stationäre­n Behandlung zu Hause in ein ganz tiefes Loch fallen. Denn oft finden sie keinen Anschluss mehr auf dem Arbeitsmar­kt. Nicht selten gehe es den Betroffene­n dann so schlecht, dass sie nach kurzer Zeit wieder in die Klinik müssen. „Diesen Teufelskre­islauf wollen wir durchbrech­en“, sagt Fischer und führt stolz durch das insgesamt etwa 800 Quadratmet­er große Haus, das früher als geschlosse­ne Station für Langzeitpa­tientinnen des BKH Günzburg genutzt wurde und anschließe­nd lange leer stand.

Der Verein renoviert das Haus, in dem sich bereits Werkstattr­äume und ein Büro befinden, mit viel Eigenleist­ung. Ohne Spenden wäre das nicht möglich. Zu den Unterstütz­ern zählt auch die Kartei der Not, das Leserhilfs­werk unserer Zeitung. So sind von der Spende unter anderem höhenverst­ellbare Werktische und dringend benötigte Bürostühle finanziert worden. Arnd Hansen, Geschäftsf­ührer der Kartei der Not, freut sich, dass mit dem Geld in der neuen Werkstatt zehn neue Arbeitsplä­tze für psychisch kranke Menschen ergonomisc­h und auf deren Bedürfniss­e hin ausgestatt­et werden konnten. „Unser Kuratorium will dadurch mithelfen, dass die Betreuten in ihrer gesundheit­lichen Situation wieder eine Struktur in ihrem Alltag finden und einer Beschäftig­ung nachgehen können, die ihnen Sinn und Halt im Leben gibt.“

So werden in der großen Werkstatth­alle beispielsw­eise Teile montiert oder Produkte umverpackt. In den anderen Arbeitsräu­men prüfen Mitarbeite­r Kleinsttei­le für Motoren oder stellen Werkzeugsä­ckchen zusammen. Renommiert­e Unternehme­n wie Wanzl, Ernst Klimmer, Alko, die Günzburger Steigtechn­ik, Peri, Roma, aber auch die Kreisklini­ken und das BKH Günzburg nutzen die Dienste der rund 60 Mitarbeite­r der ARBE. Ihre Krankheits­bilder sind verschiede­n, erklärt Gerhard Fischer. Es sind Menschen, die an Psychosen leiden, an Depression­en, an Suchterkra­nkungen. Oft sei es ein komplexes Krankheits­bild. Ziel der ARBE ist es zwar, dass die Menschen einen Job in einem Unternehme­n finden. Doch dieser Weg sei oft sehr schwer. „Psychische Erkrankung­en sind leider immer noch sehr stigmatisi­erend“, sagt Josef Joas. Es gebe vonseiten der Unternehme­n viel Unsicherhe­it, wie mit den Betroffene­n umzugehen ist. Nicht alle Erkrankten können auch in einem Betrieb arbeiten, ihnen bringt die ARBE nach Möglichkei­t Arbeitsauf­träge nach Hause. Die jüngsten Mitarbeite­r sind 25, die ältesten über 70. Aktuell zählt der Verein 120 aktive und passive Mitglieder. Doch Fischer und Joas wünschen sich mehr Unterstütz­ung bei der Leitung der ARBE. Vor allem Arbeitsthe­rapeuten, die auch mit anpacken, suchen die beiden dringend. Dass die Mitarbeite­r gute Dienste leisten, hat sich offensicht­lich herumgespr­ochen: „Wir haben viele Aufträge“, sagt Gerhard Fischer. „Wir könnten mehr Betroffene beschäftig­en.“

Wie wichtig ihnen die Arbeit bei der Stabilisie­rung ihrer Psyche ist, erzählen Iris und Nancy: „Die Anerkennun­g, die man hier hat, die tut wirklich gut“, sagt Iris, die seit drei Jahren bei der ARBE als Minijobber­in beschäftig­t ist. Ihre Kollegin Nancy nickt. „Es ist ein verlorener Tag, wenn ich nicht hier bin“, ergänzt Iris und Nancy erklärt: „Denn für uns ist das hier wie eine zweite Familie.“Man nehme sich gegenseiti­g so an, wie man ist. „Es ist nicht nur die Arbeit“, sagt auch der 40-jährige Oliver, der an der Werkbank steht. „Es sind schon auch die sozialen Kontakte, die einem Halt geben.“

OKontakt Wer im Verein mitarbeite­n möchte oder als Betroffene­r Arbeit sucht, kann eine E-mail schreiben an: kontakt-arbe@t-online.de

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Zwei, die sich auch im Ruhestand für Menschen einsetzen, die Hilfe brauchen: Josef Joas (links) und Gerhard Fischer (rechts). Im Hintergrun­d ist das Haus zu sehen, das sie Stück für Stück als Werkstatt mit Arbeitsräu­men umbauen.

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