Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie militant darf Tierschutz sein?

Seit 25 Jahren kämpft Peta in Deutschlan­d gegen das Tierleid – teils mit enorm provokante­n, verstörend­en Methoden. Was Kritiker sagen und wie die Verantwort­lichen das sehen

- VON STEPHANIE SARTOR (mit dpa)

Stuttgart Viel nackte Haut. Viel Kunstblut. Unzählige Körper, aufeinande­rgestapelt zu einem menschlich­en Fleischber­g. Das Bild, das sich vor wenigen Tagen Passanten in Stuttgart darbot, könnte auch einem Horrorfilm entsprunge­n sein. Mit Popcornkin­o hat die verstörend­e Anmutung allerdings nichts zu tun. Sondern mit Tierschutz. Es ist eine Aktion der 1980 in den USA gegründete­n Tierrechts­organisati­on Peta, deren deutscher Ableger nun 25 Jahre alt wird.

Der menschlich­e Fleischber­g ist, wenn man so will, ein Klassiker. In mehreren deutschen Städten legten sich schon nackte Menschen auf die Straßen und hielten Schilder mit Aufschrift­en wie „Fleisch tötet“oder „Tiere sind keine Lebensmitt­el“in den kunstblutv­erschmiert­en Händen. Mit derlei Protest will Peta auf die Zustände in der industriel­len Massentier­haltung aufmerksam machen. Es ist aber nur eine von vielen provokante­n Aktionen, die immer wieder dieselben Fragen aufflammen lassen: Wie militant, wie provokant darf Tierschutz eigentlich sein? Und wann sind die Grenzen des Erträglich­en endgültig überschrit­ten?

Harald Ullmann, Mitbegründ­er und zweiter Vorsitzend­er von Peta Deutschlan­d, hat dazu eine ganz klare Meinung: „Wir müssen die Themen so gestalten, dass die Menschen darüber reden. Es ist wichtig, sich Gehör zu verschaffe­n. Lieber zu weit gehen als nicht weit genug.“Es dürfte nicht wenige Menschen geben, die die Sache anders sehen. Darunter auch Prominente. Die Moderatori­n und engagierte Tierschütz­erin Sonja Zietlow etwa sagte einmal über Peta: „Die sind mir zu fanatisch, zu aggressiv, zu intolerant.“Hollywood-größe Dustin Hoffman fand in einem Interview ähnliche Worte: „Für mich ist Peta eine radikale, faschistis­che Organisati­on.“

Besonders laut war der Protest vor 15 Jahren. Der Grund für die Aufregung war eine geplante Plakat-aktion unter dem Motto „Der Holocaust auf Ihrem Teller“. Fotos von Schlachtti­eren waren neben Bildern noch lebender oder bereits toter Kz-insassen abgebildet. Dagegen klagten – mit Erfolg – Mitglieder des Zentralrat­es der Juden – es waren Holocaust-überlebend­e, die die Kampagne als Verletzung ihrer Menschenwü­rde betrachtet­en.

Peta-vorsitzend­er Ullmann sah den Fall damals anders. „Wir sind diejenigen, die die Lektionen des Holocaust durch unsere Lebensweis­e direkt umsetzen, diese vorleben und nicht nur auf Geschichts­bücher verweisen“, sagte er. „Wir bitten all diejenigen, die den heutigen Holocaust an den Tieren leugnen, endlich die Augen zu öffnen und nicht so zu tun, als ob diese Gräueltate­n in Schlachthö­fen und Tierfabrik­en nicht stattfinde­n würden.“Auch heute bereut Ullmann die umstritten­e und schließlic­h verbotene Kampagne nicht. Denn sie habe viel Aufmerksam­keit gebracht, den Fokus auf das Problem der Massentier­haltung geworfen. Ist das wirklich so? Wird durch derartige Kampagnen tatsächlic­h mehr über Tierleid gesprochen? Medienwiss­enschaftle­r Bernhard Pörksen von der Uni Tübingen sieht das anders. Es sei damals weniger „über die Inhalte und Ziele der Organisati­on, sondern über die Moral der Kampagnenm­acher diskutiert“worden.

Um Aufmerksam­keit zu erreichen, zeigt Peta auch oft Videos von gequälten Tieren. Die aber würden keine Peta-mitglieder drehen, sagt Ullmann. Man breche nicht nachts heimlich in Schweinest­älle ein. Die Videos würden der Organisati­on zugespielt – und dann veröffentl­icht. „Es ist wichtig, zu wissen, was in den Ställen vorgeht“, sagt Ullmann.

Und es gibt noch etwas, das Peta immer wieder höchst öffentlich­keitswirks­am nutzt: schöne Frauen. Supermodel Naomi Campbell posierte in den USA schon für eine Anti-pelz-kampagne – auch wenn sie später wieder im Pelz über den Laufsteg ging. Zum 25. Jubiläum haben sich nun fünf Models in Deutschlan­d ausgezogen. Und wieder gibt es Kritik: Junge, attraktive Frauen nackt auf Plakate bringen, ist das 2019 wirklich zeitgemäß? Oder nicht schlicht und ergreifend sexistisch? Ullman wiegelt ab: „Solange Sex sells, werden wir das auch machen.“

 ?? Foto: Fabian Sommer, dpa ?? Aktivisten von Peta vor wenigen Tagen in Stuttgart. Dort hat die Tierrechts­organisati­on Peta Deutschlan­d ihren Hauptsitz. Schon in vielen Städten haben sich Tierschütz­er nackt und mit Kunstblut beschmiert auf die Straßen gelegt.
Foto: Fabian Sommer, dpa Aktivisten von Peta vor wenigen Tagen in Stuttgart. Dort hat die Tierrechts­organisati­on Peta Deutschlan­d ihren Hauptsitz. Schon in vielen Städten haben sich Tierschütz­er nackt und mit Kunstblut beschmiert auf die Straßen gelegt.

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