Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Eine Stimmung wie auf einem Rockkonzert“
Die Geschäftsführer des Liliom Kinos, Daniela Bergauer und Michael Hehl, sind beim Filmfestival in Cannes. Welche neuen Produktionen sie sehen, was sich abseits der großen Kinos abspielt und wie man als Verleiher Filme kauft
Daniela und Michael, im südfranzösischen Cannes versammeln sich zehn Tage lang wieder Filmemacher aus aller Welt, um ihre neuesten Werke zu präsentieren, und ihr seid mittendrin. Wie viele Filme seht ihr täglich?
Daniela Bergauer: (lacht) Sehr viele. Eigentlich so vier bis fünf Filme pro Tag. Neben den Wettbewerbsfilmen gibt es in ganz Cannes viele Kinos, die auch noch Produktionen zeigen, die bereits auf anderen Festivals ihre Premiere gefeiert haben.
Welcher hat euch bisher beeindruckt?
Bergauer: Mich hat der Film „A Song Without A Name“von einer peruanischen Regisseurin sehr beeindruckt, da er mich visuell sehr an „Roma“erinnert hat. Den vergisst man nicht so schnell. Uns hat aber auch „Rocketman“gut gefallen.
Das ist die Biografie über Elton John.
Michael Hehl: Genau. Da waren wir in der Premiere und kamen auch Elton und Hauptdarsteller Taron Egerton sehr nahe. Ich war überrascht, da der Film noch viel besser war als „Bohemian Rhapsody“.
Was macht den Film aus?
Bergauer: Er lässt einfach nix von Eltons Leben aus. Also diese schillernde Figur, die irgendwie immer einen Ticken drüber ist. Dabei wird sein Leben über die Liedtexte erzählt. Das ganze Publikum hat den Film gefeiert.
Wie ist die Stimmung in den Kinosälen grundsätzlich?
Hehl: Vor den Vorführungen kommen die Darsteller und Regisseure in den großen Saal. Dann wird applaudiert, anschließend wird es sofort dunkel. Nach dem Cannes-logo startet der Film gleich. Ab und zu wird während der Vorführung mal applaudiert, das ist aber eher selten. Wenn nach dem Film 2000 Zuschauer klatschen und grölen, dann hat man eine Stimmung wie bei einem Rockkonzert. Überhaupt wird in Cannes Kino gefeiert wie nirgendwo anders. Das ist berauschend.
Das Publikum in Cannes soll aber auch sehr ehrlich sein. Stimmt das?
Bergauer: Ja. Vor zwei Jahren präsentierte Michael Haneke einen Film. Danach wurde er ausgebuht. Die Franzosen sind da knallhart.
Der Film „Rocketman“läuft außerhalb des Wettbewerbs, hat also keine Chance auf die Goldene Palme. Habt ihr einen Favoriten für den Preis?
Bergauer: „Leid und Herrlichkeit“von Pedro Almodóvar, ganz klar. Da spielen Antonio Banderas und Penélope Cruz mit. Der führt auch bei allen Kritikern derzeit.
Wo kann man das sehen?
Hehl: Hier erscheint täglich so eine kleine Tageszeitung, wo auf der letzten Seite eine Art Fußball-tabelle ist. Da sind dann alle Filme aufgelistet und wie sie die internationalen Kritiker bewertet haben.
Als Filmverleiher haltet ihr zudem nach neuen Produktionen für die deutschen Kinos Ausschau. Wie läuft das Ganze ab?
Hehl:
Wir haben eine besondere Akkreditierung als Verleiher und können so in alle Bereiche des Festivals reinschauen. Dabei sprechen wir auch mit vielen Kollegen, Regisseuren und Produzenten. Grundsätzlich schauen wir einen Film, geben danach Feedback und entscheiden dann, ob wir ein Angebot machen, um uns die Rechte für Deutschland zu sichern.
Schon fündig geworden?
Hehl: (schmunzelt) Wir sind schon im Gespräch wegen zwei Filmen. Dürfen aber vor Vertragsabschluss nicht sagen, welche das sind.
Wie würde es dann weitergehen, wenn ihr einen Film gekauft hat?
Bergauer: Man verhandelt für die deutschen Rechte an dem Film. Das ist dann immer auch für Österreich und einen kleinen deutschsprachigen Teil Italiens der Fall. Dann müssen wir die Synchronisation in Auftrag geben, Werbung und Poster erstellen, Kopien anfertigen und sie vermieten.
Das klingt alles sehr interessant, aber auch sehr kompliziert.
Hehl: Ja, denn später verhandeln wir wieder über die Veröffentlichungen im Fernsehen oder über die Streaming-angebote wie Amazon Prime. Man muss sich das schon zwei Mal überlegen, ob man einen Film wirklich kauft.
Warum?
Hehl: Wir haben einen zweistündigen chinesischen Film gesehen, der uns sehr gut gefallen hat. Der auch vom Publikum gut angenommen wurde. Aber das kann eben dieser Cannes-hype sein. Hier sehen vor allem Menschen, die das Kino lieben, die Produktionen. Mit ein wenig Abstand betrachtet, war der Film aber schon sehr „nischig“. Ob sich dann die ganze Investition lohnt, ist fraglich. Man kann sich also schnell die Finger verbrennen. Wir wollen Ende Juni im Liliom einen Vortrag anbieten, bei dem wir erklären, wie das Geschäft funktioniert.
Wie ist es derzeit in Cannes sonst so?
Cannes ist Cannes. Teuer, überlaufen, sehr französisch. An allen Ecken sieht man Filmschaffende und Regisseure, die selbst Filme schauen. Cannes ist aber auch so groß wie Gersthofen. Wir haben Til Schweiger beim Supermarkt seine Einkaufstüten schleppen gesehen oder Regisseure in Jogginghose beim Spazieren entdeckt.
Und viele Touristen in der Stadt ...
Ja. Immer wieder läuft man über die Promenade Croisette und auf einmal bildet sich eine Menge, Leute fotografieren dann wie wild und eigentlich waren das dann irgendwelche C-promis, die aufgetakelt umherstampfen.
Wo wohnt ihr in Cannes und könnt ihr euch das überhaupt leisten?
Wir haben vor ein paar Jahren jemanden kennengelernt, der mittlerweile ein guter Freund ist. Wir dürfen in seiner Einliegerwohnung wohnen, die so einen Kilometer vom Festivalort weg sind. Und wir haben sogar Meerblick. Normalerweise kosten solche Unterkünfte zwischen 2000 oder 3000 Euro. Ein Zimmer in einem Vier-sterne-hotel kann auch schon einmal 6000 Euro kosten. Wir zahlen einen Bruchteil davon durch unseren Freund.
Wie kann man sich die Garderobe vorstellen? Gibt es einen Dresscode?
Hehl: Bei den Premieren im Palais des Festivals et des Congrès gilt Anzug und Fliege. Bei den Vorführungen am Nachmittag sind normale Klamotten in Ordnung.
Worauf freut ihr euch noch?
Hehl: Heute abend feiert der neue Film von Quentin Tarantino „Once Upon A Time In Hollywood“Premiere. Den lassen wir uns nicht entgehen.
Interview: Denis Dworatschek