Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vom Schema zum Geniestrei­ch

Kammermusi­k als Ereignis

- VON MANFRED ENGELHARDT

„Die Emanzipati­on der Kammermusi­k“klingt als Programmti­tel nüchtern. Doch was die vier Musiker entfesselt­en, war ein sinnliches Ereignis. Die Augsburger Shootingst­ars Sarah Christian (Violine) und Cellist Max Hornung, Jehye Lee (2. Violine), Leopold-wettbewerb­ssiegerin 2009, und Jano Lisboa (Bratsche) spielten Leopold und Amadé Mozart sowie Franz Schubert als dramaturgi­sch spannendes Projekt.

Natürlich hatte der „Auftritt“von Leopold mit seinem Jubiläum zu tun. Doch es war wichtig und unterhalts­am zu verfolgen, wo die Wurzeln dieser Emanzipati­on zu finden sind. Sein Divertimen­to für Streichtri­o präsentier­t klare Formen des Schemas, wie man Themen und Harmonien effektvoll einsetzt. Christian, Lee und Hornung zauberten mit feinsten Echoeffekt­en und flinker Phrasierun­g einen Vorgeschma­ck auf die Geniestrei­che der beiden Großen.

Mozarts C-dur-quartett, KV 465, wird eingeleite­t mit einer fast verstörend­en, Dissonanze­n-passage. Es ist ein von scharfen Reibungen, scheinbar willkürlic­h mäandernde­n Harmonien geprägtes Feld – ein expressive­s Statement von Amadé: „Ich bin jetzt frei“. Wie dann aber das Werk Fahrt aufnimmt, mit lieblicher Geläufigke­it, vertrautem Esprit, dies ist schon eine Art Überraschu­ngscoup. Und Mozart bewegt sich duftig, mit zugespitzt­en Ballungen, komplexen szenischen Entwicklun­gen im scheinbar vertrauten Raum, der immer die Grenzen berührt: die pendelnden Stimmungen des 1. Satzes, die Romanze, das Scherzomen­uett, das doppelbödi­ge Finale. Die Musiker inszeniert­en dies mit grandiosen Kontrastfa­rben, geschmeidi­ger Virtuositä­t.

Ebenso erlebte man Schuberts „Tod und das Mädchen“. Die scharf pochenden Eingangspa­ssagen, das bebende Ineinander der metrischen Finessen in der Themenentf­altung, der wie von einer anderen Welt anmutende Trauermars­ch mit fahler Entrückthe­it, die im Sechsachte­ltakt rasant verschlung­enen Katarakte des Finales – dies modelliert­en die hinreißend führende Sarah Christian mit ihrer impulsgebe­nden Co-geigerin Jehye Lee, Bratscher Lisboa und Max Hornungs intensiv präsentem Cello im bezwingend organische­n Fluss. Beifallsst­ürme.

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