Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Prozess: War Münchener Zahnarzt ein Geiselnehmer?
Ein Mediziner soll einem Mann im Landkreis Aichach-friedberg eine Waffe an den Kopf gesetzt haben. Nun steht er vor Gericht. Mit dem Fall hat sich bereits das Bundesverfassungsgericht beschäftigt
Augsburg Auf der Internetseite seiner Münchener Praxis zeigt sich Harald B.* (Namen geändert) als lächelnder, vielfach engagierter Zahnarzt. Wer im Netz nach ihm sucht, stößt auf einen Mann, der bei seinen Patienten beliebt zu sein scheint und den Eindruck erweckt, die angenehmen Seiten des Lebens durchaus zu schätzen. Das Leben, das er zuletzt geführt hat, kann aber nicht angenehm gewesen sein: Bis Juni 2018 hatte er monatelang in U-haft im Gablinger Gefängnis gesessen.
Was ihm die Staatsanwaltschaft Augsburg vorwirft, hat es in sich. Laut Anklageschrift eilte der Zahnarzt im Oktober 2017 mit zwei weiteren Männern von München per Taxi in den südlichen Kreis Aichach-friedberg, wo eine Mitarbeiterin des Zahnarztes lebte. Sie stritt sich mit einem weiteren Mann, Onur K., – offenbar ein Beziehungsstreit. Die Frau fühlte sich bedroht und rief ihren Chef an, der laut Anklage so reagierte: Er soll an dem Abend in eine Kneipe in München gestürmt sein und zwei ihm bekannte Gäste aufgefordert haben, mitzukommen. Im Wohnort der Mitarbeiterin angekommen, drückte der Zahnarzt Onur K. eine Gaspistole an den Kopf und forderte den Mann auf, zu verschwinden. Später sollen die beiden Männer aus München ihr Opfer in ein Taxi nach Augsburg und dort in einen Zug nach Frankreich gesetzt haben. Der Vorwurf lautet unter anderem auf Geiselnahme. Darauf stehen laut Strafgesetzbuch mindestens fünf Jahre Haft.
Ursprünglich hätte der Prozess gegen den Zahnarzt bereits vergangenes Jahr stattfinden sollen. Ein weiterer Angeklagter, ein Geschäftsmann, der damals mit dem Zahnarzt per Taxi in die Region Augsburg gefahren war und Onur K. mit einem Baseballschläger bedroht hatte, wurde damals auch bereits verurteilt. Er gestand die Tat und erhielt vor der 3. Strafkammer des Augsburger Landgerichtes wegen Geiselnahme eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren.
Harald B. könnte eine härtere Strafe drohen, er war nach den Erkenntnissen der Ermittler die treibende Kraft des Geschehens. Dass der Zahnarzt erst jetzt vor Gericht steht, liegt daran, dass er in Untersuchungshaft schwer erkrankte. Das Verfahren gegen ihn wurde abgetrennt. Mit seinem Fall hatte sich sogar das Bundesverfassungsgericht befasst. Sein Verteidiger Richard Beyer hatte Verfassungsbeschwerde aufgrund der Haftbefehle gegen seinen Mandanten eingereicht, mit Erfolg. Die Richter entschieden, dass Beschlüsse des Landgerichtes und des Oberlandesgerichtes, die Haftbeschwerden des Zahnarztes verworfen hatten, den Mann in seinen Grundrechten verletzen.
Grund: Die Begründungen der Gerichte waren zu dünn. Wörtlich hieß es etwa: „Die Entscheidung des Landgerichts vom 13. Februar 2018 enthält über eine lediglich formelhafte Begründung hinaus keine näheren Ausführungen zur Fluchtund Verdunkelungsgefahr sowie zur Verhältnismäßigkeit der Haft; sie genügt verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen offensichtlich nicht“. Seit Juni 2018 ist Harald B. wieder ein freier Mann – offenbar ist er mittlerweile gesund genug, um einen Prozess durchstehen zu können. Los geht es vor der 3. Strafkammer des Landgerichtes am heutigen Donnerstag. Gegenüber den Ermittlungsbehörden hat der Zahnarzt geschwiegen. Anwalt Beyer sagt, das werde auch vor Gericht zunächst so bleiben.