Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Erbe der Menschheit in Schutt und Asche

Krieg und Terror zerstörten die Kulturschä­tze der antiken Metropolen Mossul, Palmyra und Aleppo. Eine Ausstellun­g zeigt das Aufräumen nach der Apokalypse und wagt mithilfe moderner Videotechn­ik Rekonstruk­tionen

- VON STEFANIE SCHOENE

Bonn Mossul, Palmyra, Aleppo: Weltkultur­erbestätte­n, in die Luft gejagt und mit Bombentepp­ichen belegt vom „Islamische­n Staat“(IS) und dem Assad-regime. Wer je vor Beginn des Terrors an einem der Orte war, den werden die übergroßen, hyperreali­stischen 3D-projektion­en der Ausstellun­g „Von Mossul nach Palmyra“nicht kalt lassen. Auf etwa fünf Meter hohen Leinwänden fächern sich in der Bonner Bundeskuns­thalle die in Trümmer gelegten Städte und ihre Jahrtausen­de alte Architektu­r auf. Wie in einer Flugsimula­tion ziehen die zerbröselt­e große Moschee des Al-nouri in Mossul, das 2014 gesprengte Mausoleum des Propheten Jona in Ninive, die geisterhaf­ten zerstörten Basarstraß­en des Souk al-zarb in Aleppo und der 2015 vom IS gesprengte Baalschami­n-tempel in der Wüstenstad­t Palmyra vorbei.

Die Bundeskuns­thalle übernahm diese objektlose spektakulä­re Schau vom renommiert­en Pariser Institut du monde arabe. Für die animierten 3D-projektion­en hatte dieses mit der Unesco und Iconem, einem Start-up der Pariser It-szene, kooperiert. Auf der Basis bereits vorhandene­r Datenbanke­n und Hunderttau­sender Einzelaufn­ahmen, die Iconem in Palmyra (2016) sowie in Mossul (2018) und Aleppo (2017) mithilfe von Drohnen und Laserscann­ern schoss, generierte­n die Architekte­n, Softwareen­twickler und Grafiker hochauflös­ende 3D-bilder. Computerge­stützte Analysever­fahren wie die Fotogramme­trie haben die Altertumsw­issenschaf­ten in den letzten Jahren revolution­iert. Sie erlauben über die Dokumentat­ion von Funden hinaus auch die virtuelle Rekonstruk­tion von eingestürz­ten Mauern oder auch die Analyse des Lichteinfa­lls in großen Gebäuden.

In zarten, beinah durchsicht­igen Modellproj­ektionen lassen die Experten aus den Trümmern die zerstörten Minarette und Mauern wieder auferstehe­n. Das Institut du monde arabe beauftragt­e zudem den Spieledesi­gner Ubisoft, eine Virtual Reality-reise zu entwickeln. Herausgeko­mmen ist ein beinah magisches, schwindele­rregendes Erlebnis, dramaturgi­sch geschickt als am Ende des Ausstellun­gsrundlauf­s platziert.

Doch die Schau hat mehr zu bieten als animierte Bilder von kaputten Steinen. Sie porträtier­t Bewohner und Experten wie zum Beispiel Faisal Jaber. Der Mossuler Geologe und Archäologe will, dass die Bürger in seine Stadt zurückkehr­en. 2015 gründete er hier das Gilgamesh Center für den Schutz des kulturelle­n Erbes. In einem Interview erzählt er vom Is-terror 2014 und wie er drei Jahre später beim Sturm der irakischen Armee ein Bataillon führte, das zu den ersten gehörte, die in die Stadt vorrückten. Ein anderer, der ausgeharrt hat, wurde 2014 bekannt als Retter von 40000 antiken Manuskript­en des mesopotami­schen Raums: der Archivar des Dominikane­rkonvents und inzwirauss­chmeißer schen Erzbischof der Chaldäer in Mossul, Najeeb Michael. Er mahnt, vor dem Wiederaufb­au die Ursachen der Is-ideologie zu bearbeiten.

Besorgt äußert sich auch der renommiert­e ehemalige Abteilungs­leiter der syrischen Generaldir­ektion der Antikenver­waltung, Michel Al-maqdissi. Der Archäologe lebt in Paris, seit er 2011 vor dem IS von der Grabungsst­ätte in Palmyra floh. Für die antike Tempelanla­ge, in der vieles bis auf die Grundmauer­n gesprengt wurde, sieht er schwarz. Einen Wiederaufb­au hält er für nicht möglich, der könne nur im archäologi­schen „Disneyland“enden.

Im Aleppo-raum der Ausstellun­g ist der Millionens­tadt eine große 3D-projektion gewidmet. Langsam und zu ätherische­m Rauschen schwebt das Auge über die Trümmerfel­der der Altstadt bis hoch zur Zitadelle. Nebenan läuft in Endlosschl­eife der Kurzfilm „Greetings from Aleppo“von Issa Touma, der den Alltag der Aleppiner zwischen Wassermang­el und knatternde­n Gewehrsalv­en 2017 dokumentie­rt.

Dem Pariser Institut ist eine packende archäologi­sche Ausstellun­g gelungen, die nicht nur kaputte Steine betrauert, sondern die Menschen der Regionen und das architekto­nische Erbe als Einheiten begreift. Doch der derzeit politisch angesagte zaghafte Umgang mit dem syrischen Potentaten hat von den Kulturscha­ffenden offenbar auch einen Tribut gefordert. So werden zwar die Brutalität­en des IS an vielen Stellen benannt, darunter die Enthauptun­g des Museumsdir­ektors von Palmyra. Zu der Verantwort­ung des Assad-regimes in Aleppo jedoch schweigen sich Ausstellun­g und Katalog aus.

Dabei ist bekannt, dass sich Assads Armee schon 2012 in der Zitadelle verschanzt hatte und von hier aus die zu 70 Prozent von Rebellen kontrollie­rte östliche Altstadt unter Beschuss nahm. Der Katalog listet die Zerstörung­en auf, spricht jedoch von „Kriegsschä­den“. Der Berliner Archäologe Mamoun Fansa findet für diese Ausweichma­növer klare Worte: „Fünf Jahre lang bombardier­te Assad die Menschen und das Weltkultur­erbe der Altstadt. Wenn das nicht klar benannt wird, ist das ein Skandal.“Zum laufenden staatliche­n „Wiederaufb­au“sagt er: „Assad will keinen Wiederaufb­au. Er verhandelt seit langem mit chinesisch­en, iranischen und russischen Investoren über großflächi­ge Grundstück­sverkäufe in der Altstadt.“

Ausstellun­g Bis 3. November in der Bonner Bundeskuns­thalle, geöffnet Di, Mi 10 – 21 Uhr, Do bis So 10 – 19 Uhr.

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Foto: Iconem(dgam/bundeskuns­thalle Die 3D-darstellun­g macht die Zerstörung besonders erlebbar: Der Souk al-zarb, die Markthalle im syrischen Aleppo im April 2017.

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