Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Das Erbe der Menschheit in Schutt und Asche
Krieg und Terror zerstörten die Kulturschätze der antiken Metropolen Mossul, Palmyra und Aleppo. Eine Ausstellung zeigt das Aufräumen nach der Apokalypse und wagt mithilfe moderner Videotechnik Rekonstruktionen
Bonn Mossul, Palmyra, Aleppo: Weltkulturerbestätten, in die Luft gejagt und mit Bombenteppichen belegt vom „Islamischen Staat“(IS) und dem Assad-regime. Wer je vor Beginn des Terrors an einem der Orte war, den werden die übergroßen, hyperrealistischen 3D-projektionen der Ausstellung „Von Mossul nach Palmyra“nicht kalt lassen. Auf etwa fünf Meter hohen Leinwänden fächern sich in der Bonner Bundeskunsthalle die in Trümmer gelegten Städte und ihre Jahrtausende alte Architektur auf. Wie in einer Flugsimulation ziehen die zerbröselte große Moschee des Al-nouri in Mossul, das 2014 gesprengte Mausoleum des Propheten Jona in Ninive, die geisterhaften zerstörten Basarstraßen des Souk al-zarb in Aleppo und der 2015 vom IS gesprengte Baalschamin-tempel in der Wüstenstadt Palmyra vorbei.
Die Bundeskunsthalle übernahm diese objektlose spektakuläre Schau vom renommierten Pariser Institut du monde arabe. Für die animierten 3D-projektionen hatte dieses mit der Unesco und Iconem, einem Start-up der Pariser It-szene, kooperiert. Auf der Basis bereits vorhandener Datenbanken und Hunderttausender Einzelaufnahmen, die Iconem in Palmyra (2016) sowie in Mossul (2018) und Aleppo (2017) mithilfe von Drohnen und Laserscannern schoss, generierten die Architekten, Softwareentwickler und Grafiker hochauflösende 3D-bilder. Computergestützte Analyseverfahren wie die Fotogrammetrie haben die Altertumswissenschaften in den letzten Jahren revolutioniert. Sie erlauben über die Dokumentation von Funden hinaus auch die virtuelle Rekonstruktion von eingestürzten Mauern oder auch die Analyse des Lichteinfalls in großen Gebäuden.
In zarten, beinah durchsichtigen Modellprojektionen lassen die Experten aus den Trümmern die zerstörten Minarette und Mauern wieder auferstehen. Das Institut du monde arabe beauftragte zudem den Spieledesigner Ubisoft, eine Virtual Reality-reise zu entwickeln. Herausgekommen ist ein beinah magisches, schwindelerregendes Erlebnis, dramaturgisch geschickt als am Ende des Ausstellungsrundlaufs platziert.
Doch die Schau hat mehr zu bieten als animierte Bilder von kaputten Steinen. Sie porträtiert Bewohner und Experten wie zum Beispiel Faisal Jaber. Der Mossuler Geologe und Archäologe will, dass die Bürger in seine Stadt zurückkehren. 2015 gründete er hier das Gilgamesh Center für den Schutz des kulturellen Erbes. In einem Interview erzählt er vom Is-terror 2014 und wie er drei Jahre später beim Sturm der irakischen Armee ein Bataillon führte, das zu den ersten gehörte, die in die Stadt vorrückten. Ein anderer, der ausgeharrt hat, wurde 2014 bekannt als Retter von 40000 antiken Manuskripten des mesopotamischen Raums: der Archivar des Dominikanerkonvents und inzwirausschmeißer schen Erzbischof der Chaldäer in Mossul, Najeeb Michael. Er mahnt, vor dem Wiederaufbau die Ursachen der Is-ideologie zu bearbeiten.
Besorgt äußert sich auch der renommierte ehemalige Abteilungsleiter der syrischen Generaldirektion der Antikenverwaltung, Michel Al-maqdissi. Der Archäologe lebt in Paris, seit er 2011 vor dem IS von der Grabungsstätte in Palmyra floh. Für die antike Tempelanlage, in der vieles bis auf die Grundmauern gesprengt wurde, sieht er schwarz. Einen Wiederaufbau hält er für nicht möglich, der könne nur im archäologischen „Disneyland“enden.
Im Aleppo-raum der Ausstellung ist der Millionenstadt eine große 3D-projektion gewidmet. Langsam und zu ätherischem Rauschen schwebt das Auge über die Trümmerfelder der Altstadt bis hoch zur Zitadelle. Nebenan läuft in Endlosschleife der Kurzfilm „Greetings from Aleppo“von Issa Touma, der den Alltag der Aleppiner zwischen Wassermangel und knatternden Gewehrsalven 2017 dokumentiert.
Dem Pariser Institut ist eine packende archäologische Ausstellung gelungen, die nicht nur kaputte Steine betrauert, sondern die Menschen der Regionen und das architektonische Erbe als Einheiten begreift. Doch der derzeit politisch angesagte zaghafte Umgang mit dem syrischen Potentaten hat von den Kulturschaffenden offenbar auch einen Tribut gefordert. So werden zwar die Brutalitäten des IS an vielen Stellen benannt, darunter die Enthauptung des Museumsdirektors von Palmyra. Zu der Verantwortung des Assad-regimes in Aleppo jedoch schweigen sich Ausstellung und Katalog aus.
Dabei ist bekannt, dass sich Assads Armee schon 2012 in der Zitadelle verschanzt hatte und von hier aus die zu 70 Prozent von Rebellen kontrollierte östliche Altstadt unter Beschuss nahm. Der Katalog listet die Zerstörungen auf, spricht jedoch von „Kriegsschäden“. Der Berliner Archäologe Mamoun Fansa findet für diese Ausweichmanöver klare Worte: „Fünf Jahre lang bombardierte Assad die Menschen und das Weltkulturerbe der Altstadt. Wenn das nicht klar benannt wird, ist das ein Skandal.“Zum laufenden staatlichen „Wiederaufbau“sagt er: „Assad will keinen Wiederaufbau. Er verhandelt seit langem mit chinesischen, iranischen und russischen Investoren über großflächige Grundstücksverkäufe in der Altstadt.“
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Ausstellung Bis 3. November in der Bonner Bundeskunsthalle, geöffnet Di, Mi 10 – 21 Uhr, Do bis So 10 – 19 Uhr.