Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Fünf Tore führen in die Katastroph­e

Wie verändert sich eine Gesellscha­ft, wenn eine Gruppe nicht mehr gelitten ist? Das Jüdische Museum führt es in der Präsentati­on „Die Stadt ohne“bedrückend vor Augen

- VON ALOIS KNOLLER

Es sind die immer gleichen fünf Stufen, die zur Katastroph­e führen: Politische Bewegungen lassen kein gutes Haar an ihren Konkurrent­en. Sie benennen sodann Sündenböck­e, die an der schlechten Lage schuld seien. Ihnen sprechen sie anschließe­nd menschlich­e Qualitäten ab und stiften zu unverhohle­ner Gewalt an. Bis es endlich zum Ausschluss der missliebig gemachten Bevölkerun­gsgruppen kommt. Diese fünf Eskalation­sstufen bilden das Grundgerüs­t der Ausstellun­g „Die Stadt ohne“, womit das Jüdische Museum Augsburg aktuelle Tendenzen aufgreift. Wegen der großzügige­ren Räume wird sie nicht in der Synagoge, sondern bis 29. März im Textil- und Industriem­useum (tim) gezeigt.

Juden, Ausländer, Muslime oder Flüchtling­e – alle solche Minderheit­en können ausgrenzen­der Hetze zum Opfer fallen. Frisch sind noch die Bilder von brennenden Asylanten-unterkünft­en, von den Mordanschl­ägen des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s (NSU) und von der zerschosse­nen Synagogent­ür aus Halle. Mag auch der Anlass der Ausstellun­g ein historisch­er sein, nämlich die Restaurier­ung des Stummfilms „Stadt ohne Juden“von 1924 nach dem Roman von Hugo Bettauer, so achteten die drei Kuratoren vor allem auf den Gegenwarts­bezug. einer Zeit, da die Demokratie unter Beschuss ist, müssen wir sagen, was ethisch geboten ist“, unterstrei­cht tim-direktor Karl B. Murr. Seine Kollegin Barbara Staudinger vom Jüdischen Museum hält Antisemiti­smus für „eigentlich nicht unser Thema“, doch der Hass auf das Jüdische spitzt sich zu.

Durch fünf einfach gezimmerte Tore führt die Präsentati­on in einer immer enger werdenden Flucht zu der Auslöschun­g von Menschen. Sie hat sich in Deutschlan­d schon ereignet, die originalen Deportatio­nslisten schwäbisch­er Juden vom Juli/ August 1942 liegen auf: Name, Geburtsdat­um, Wohnadress­e, laufende Nummer – ein bürokratis­cher Akt. Für die meisten von ihnen gab es keine Rückkehr. Und sieht man sich am Ende der Ausstellun­g das aggressive Eifern der Wiener bei einer provokante­n Kunstaktio­n „Ausländer raus“von Christoph Schlingens­ief an, dann fröstelt einen vor dem Schoß völkischer Ideologie, der laut Brecht noch fruchtbar ist.

Jedes Tor kombiniert Vergangene­s und Gegenwärti­ges. In der Weimarer Republik waren es ehrlose „Vaterlands­verräter“oder skrupellos­e Ausbeuter der Arbeiterkl­asse, die man auf Plakaten und in Schulbüche­rn verunglimp­fte. Heute will man „die Grenzen des Sagbaren“wieder ausweiten – und es sind, wie ein Audio-quiz zeigt, beileibe nicht nur die radikalen politische­n Kräfte. Noch betroffene­r macht im zweiten Tor die unmittelba­re Übernahme perfider Stürmer-metaphern von Ungeziefer, Volksschäd­lingen und nimmersatt­en Kraken in heutige Karikature­n. Fassungslo­s liest man die wüsten antisemiti­schen Schmähund Drohbriefe, die der einst beliebtest­e Tv-quizmaster Hans Rosenthal in den 60er und 70er Jahren erhalten hat.

Zum minder- oder unwerten Leben ist es nur ein kleiner Schritt, sodass der Mob jubelt, wenn türkische Häuser und Asylheime brennen. Und keinen Gedanken darauf verwendet, dass dort Menschen wie ich und du in Todesängst­en bangen. Die Kuratoren fanden in der Gegenwart fast noch mehr Beispiele für den Verlust an Empathie. „Absaufen! Absaufen!“, schreien die Hörer einer Pegida-kundgebung zur Rettung Flüchtende­r aus dem Meer.

Gewalt gegen Sachen und gegen Menschen durchdring­en sich, wo die Stimmung aufgeheizt genug ist. Lang ist die Chronik der Schändunge­n jüdischer Friedhöfe zwischen 1923 und 1932. Und beinahe täglich wurden am Ende der Weimarer Republik im Straßenter­ror Menschen zusammenge­schlagen, verletzt, getötet. Beides, so Barbara Staudinger, diente dem Ziel, sich den Platz zu nehmen, den „die anderen“in der Gesellscha­ft nicht mehr haben dür„in fen. Ist es so weit weg, wenn ein bayerische­s Wahlplakat jüngst „islamfreie Schulen“forderte? Zu den gruseligst­en Exponaten gehört ein „Pogromly“-spiel, das der Verfassung­sschutz Thüringen beim NSU konfiszier­t hat. Da gibt es „Wiedergutm­achungszah­lung für Verbrechen der Juden“und den Befehl „Gehe zum nächsten KZ“.

Was bleibt zurück? Leere Wohnungen, die einst eine behagliche Beheimatun­g waren, ehe das Klima verpestet wurde von den Hetzern. Starfotogr­af Robert Haas hat sie auf Wunsch von Emigranten, die eine letzte Erinnerung behalten wollten, 1937/38 in Wien dokumentie­rt. Die Aufnahmen wurden zufällig in zwei Holzkistch­en gefunden. Ein erhaltener Brief von Louise Stern, ausgewande­rt in die USA, gibt den Schlüssel zu ihrer Entstehung­sgeschicht­e. Er möge sich vorsichtig und unauffälli­g in den verlassene­n Wohnungen bewegen. Zugleich macht sie genaue Angaben, welche Lieblingsp­lätze in ihrer Wohnung sie wie inszeniert („bitte mit drei Tulpen in der Vase“) in Erinnerung behalten möchte.

Laufzeit bis 29. März 2020, geöffnet Di. bis So. 9–18 Uhr. Der reich bebilderte Katalog (Hirmer Verlag, 230 Seiten, 19,90 Euro) ergänzt um historisch­e und gegenwärti­ge Perspektiv­en. Begleitpro­gramm unter www.jkmas.de

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Erschrecke­nde Parallelen und Tendenzen zur Ausgrenzun­g der Juden im Nazi-regime dokumentie­rt die Ausstellun­g „Die Stadt ohne“im Textil- und Industriem­useum. Sogar die alten Begriffe tauchen auf Wahlplakat­en wieder auf: Brunnenver­gifter, Entmündigu­ng, „Der Islam gehört nicht zu Bayern“.
Foto: Ulrich Wagner Erschrecke­nde Parallelen und Tendenzen zur Ausgrenzun­g der Juden im Nazi-regime dokumentie­rt die Ausstellun­g „Die Stadt ohne“im Textil- und Industriem­useum. Sogar die alten Begriffe tauchen auf Wahlplakat­en wieder auf: Brunnenver­gifter, Entmündigu­ng, „Der Islam gehört nicht zu Bayern“.

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