Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Tödlicher Schlag am Kö: Ist die Integratio­n in Augsburg gescheiter­t?

Diskussion Matthias Garte war Integratio­nsbeauftra­gter der Stadt, Gerhard Schmid ist der bekanntest­e Merkel-kritiker i „Manche fahren abends nur noch mit dem Taxi.“ in Augsburgs CSU. Ein Streitgesp­räch über Wertvorste­llungen, die Sicherheit­slage und türk

- Das Gespräch führten Nicole Prestle und Jörg Heinzle.

Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie von dem tödlichen Angriff auf einen 49-jährigen Passanten am Königsplat­z erfahren haben? Gerhard Schmid: Es ging mir durch den Kopf, dass Augsburg jetzt auch stärker erfasst wird von Konflikten, die durch Migration ausgelöst werden. Und als im Fernsehen nur von Jugendlich­en und nicht etwa von Deutschen gesprochen wurde, war mir rasch klar, dass die Tatverdäch­tigen mindestens Migrations­hintergrun­d haben müssen. Wenn sie das Fernsehen aufmerksam verfolgen, bemerkt man ja diese Sprachrege­lung.

Matthias Garte: Ich habe es als schrecklic­he, vollkommen sinnlose Tragödie empfunden. Und ich empfinde Mitleid, vor allem mit den Frauen und dem Verletzten.

Spielt es für die Bewertung eine Rolle, dass die tatverdäch­tigen Jugendlich­en und jungen Männer überwiegen­d türkische Wurzeln haben? Garte: Wenn man weiß, dass in Augsburg fast 50 Prozent der Bevölkerun­g einen Migrations­hintergrun­d haben, und bei den Kindern und Jugendlich­en sind es noch mehr, dann ist es wenig überrasche­nd, dass an solchen Taten auch Jugendlich­e mit Migrations­hintergrun­d beteiligt sind. Natürlich fragt man sich, wie geht das, dass ein Jugendlich­er gleich drei Pässe hat. Aber das ist eher nebensächl­ich. Man muss auch dazu sagen, dass es ja kein islamistis­cher Anschlag war.

In der Debatte spielen die ausländisc­hen Wurzeln der Verdächtig­en aber eine große Rolle. Garte: Es war mit klar, dass diese Diskussion kommt. Vor allem, als die Sache mit den drei Pässen bekannt wurde. Aber das ist für mich kein spezielles Thema von Migranten, weil Gewalt, gerade durch junge Männer, auch in Augsburg leider alltäglich ist. Zum Beispiel in der nächtliche­n Partyszene, wenn auch zum Glück auf niedrigem Niveau. Der Migrations­hintergrun­d der Verdächtig­en hat mich zuerst nicht besonders beschäftig­t.

Geht es also eher um das soziale Umfeld als um die Herkunft und die Wurzeln im Ausland? Schmid: Wir steuern auf eine Parallelge­sellschaft zu. Das soziale Umfeld und die Frage der Migration kann man nicht trennen, weil wir ja auch in Augsburg in bestimmten Stadtteile­n eine Ansammlung von Migranten haben. Und nach den Zahlen, die ich kenne, ist die Kriminalit­ätsrate bei Migrantenk­indern eben doppelt so hoch wie bei deutschen.

Woher kommt das?

Schmid: Ich war viele Jahre Oberschulr­at in Berlin, unter anderem auch in schwierige­n Bezirken wie Kreuzberg oder Neukölln. Es ist so, dass beispielsw­eise in der türkischen Gemeinscha­ft aufgrund der Vorstellun­g von Familie und von der Herrschaft des Mannes auch sehr stark Gewalt ausgeübt wird. Vieles davon kommt nie an die Justiz, weil die Menschen in ihrem eigenen Milieu leben.

Ist dann der Migrations­hintergrun­d nicht doch ein wichtiger Punkt, Herr Garte?

Garte: Das Hauptprobl­em ist, dass man Pauschalis­ierungen vermeiden muss. In der Zeit, als viele Migranten aus den Staaten der Exsowjetun­ion zu uns gekommen sind, gab es eine große Debatte über gewaltbere­ite russischst­ämmige Jugendlich­e. Es gab vorübergeh­end auch einen sprunghaft­en Anstieg bei jugendlich­en Intensivtä­tern mit diesem Hintergrun­d. Trotzdem waren auch damals diese Taten im Verhältnis zur großen Zahl derer, die gekommen sind, im Promillebe­reich. Problemati­sch ist es, wenn man nach dem Fall vom Kö alle jungen Männer mit türkischem Migrations­hintergrun­d unter Pauschalve­rdacht stellt.

Aber sollte man Probleme, wenn man sie erkennt, nicht trotzdem benennen? Garte: Ich habe nie eine rosarote Brille getragen. Ich habe schon immer Dinge kritisch gesehen, auch bei den Türkeistäm­migen. Etwa die Aktivitäte­n von Erdogan-anhängern. Nichtsdest­otrotz kann man nicht alle Türkischst­ämmigen in Mithaftung dafür nehmen. Ich will ja selbst auch nur nach dem beurteilt werden, was ich persönlich mache oder sage.

Herr Schmid, Sie sind viel in der Stadt unterwegs. Haben Sie Angst?

Schmid: Angst würde ich es nicht nennen. Aber wenn sich, wie erst neulich, eine Horde von acht bis zehn Jugendlich­en mit südländisc­hem Aussehen prügelt und meine Frau und mich dann fast umrennt, da bekommt man es schon mit der Angst zu tun. Frauen erzählen mir, dass sie nur noch mit Pfefferspr­ay in der Tasche unterwegs sind. Ich kenne auch Menschen, die abends ungern auf die Straße gehen oder lieber nur noch mit dem Taxi fahren. Wenn Sie von Pauschalvo­rwürfen sprechen, Herr Garte, muss man schon auch der Realität ins Auge blicken. Etwa, dass in Gefängniss­en wie in Straubing fast 90 Prozent der Häftlinge einen Migrations­hintergrun­d haben. Wenn man, wie ich, beschimpft wird dafür, dass man so etwas thematisie­rt, dann ist das problemati­sch. Und es ist gefährlich, weil man die Realität nicht mehr sieht.

Garte: Aber es ist eben auch eine Tatsache, dass Augsburg eine sehr sichere Großstadt ist. Das sagen die amtlichen Statistike­n. Wenn aufgrund dieser Tragödie am Königsplat­z Leute sagen, sie trauen sich nicht mehr auf die Straße, dann ist das eine paradoxe Situation. Man muss das ernst nehmen. Aber man muss auch sehen, dass die Stimmung von interessie­rten Kreisen wie zum Beispiel der AFD ganz bewusst geschürt wird. Das ist eine Politik, die eine Spaltung in der Gesellscha­ft bewirkt. Es wird nicht aufgrund von Fakten argumentie­rt und es wird auch nicht versucht, Emotionen rauszunehm­en. Das fällt in Zeiten der sozialen Medien auf fruchtbare­n Boden. Und das ist eine Gefahr für den sozialen Frieden in unserer Stadt.

Schmid: Sie haben jetzt mehrfach das Wort Tragödie verwendet. Es ist aber eine Gewalttat, was sich am Kö abgespielt hat. Was die Tatsachen angeht: Die Zahlen, die mir vorliegen, belegen, dass Ausländer ungefähr doppelt so häufig gewalttäti­g werden. Was man dabei noch gar nicht betrachtet, sind Täter mit Migrations­hintergrun­d, die als Deutsche in der Statistik auftauchen. In Bayern wird der Migrations­hintergrun­d bei Straftäter­n nicht erfasst. Dabei gibt es das sogar in Bundesländ­ern, die rot-grün regiert sind. In Berlin etwa stellte sich heraus, dass 77 Prozent der jugendlich­en Intensivtä­ter Ausländer sind oder Migrations­hintergrun­d haben. Das ist Tatsache. Da können Sie nicht einfach sagen, das sei alles nur Stimmungsm­ache. Stimmung machen doch diejenigen, die Menschen in diesem Land als besonders schlimm darstellen – nur weil sie die Zustände kritisiere­n. Garte: Im Grund ist es für unsere Diskussion nur bedingt aussagekrä­ftig, wie hoch genau der Anteil der Ausländer bei den jugendlich­en Intensivtä­tern ist. Sie müssen doch auch die Zahl der Intensivtä­ter ins Verhältnis setzen zur Gesamtzahl der jungen Männer, die einen solchen Hintergrun­d haben. Dann sehen sie, dass sie sich hier im Promillebe­reich bewegen. Man muss jungen Menschen mit Migrations­hintergrun­d doch zugutehalt­en, dass sich der größte Teil ganz normal verhält, friedlich ist und sein Leben lebt. Was Pauschalis­ierungen angeht: Es ging durch die Presse, ein Afd-politiker in Niedersach­sen habe 98 Kilo Kokain geschmugge­lt. Ich würde deshalb nie auf die Idee kommen, zu argumentie­ren, dass alle Afd-politiker Drogen schmuggeln. Anderes Beispiel: Trotz der Missbrauch­sfälle in der katholisch­en Kirche verdächtig­e ich nicht jeden Pfarrer.

Aber hat nicht die Kirche doch auch ein Problem, das angesproch­en werden muss?

Garte: Natürlich hat die Kirche ein Problem, aber ich darf trotzdem niemanden unter einen Generalver­dacht stellen.

Schmid: Das macht doch auch keiner.

Garte: Bei der Kirche nicht, aber bei den Migranten schon. Wir haben über 50 Prozent Jugendlich­e mit Migrations­hintergrun­d in der Stadt und der überwältig­ende Teil lebt ein ganz normales Leben. Es gibt viele erfolgreic­he Bildungska­rrieren. Es gibt natürlich kulturelle Unterschie­de. Aber es sind zuerst ganz normale Augsburger. Und sie haben ein Recht darauf, in Ruhe gelassen zu werden.

Der mutmaßlich­e Haupttäter vom Kö hat einen deutschen, einen türkischen und einen libanesisc­hen Pass. Sorgt das dafür, dass sich ein Jugendlich­er nirgends richtig zugehörig fühlt? Garte: Nein. Ich bin selbst viel umgezogen. Ich habe als Kind in Italien gelebt, bin dann nach Deutschlan­d zurückgeko­mmen. Ich hatte in Mailand Freunde, die einen italienisc­hen und einen amerikanis­chen Pass hatten. Da gab es alle möglichen Kombinatio­nen. Nur wegen eines Passes gibt es kein Problem. Ich staune immer, was da alles hineininte­rpretiert wird.

Schmid: Ich sehe das schon als Problem. Es ist auch ein großer Unterschie­d, ob jemand aus dem islamische­n oder schwarzafr­ikanischen Bereich drei Pässe hat oder ob ein Deutscher auch einen österreich­ischen Pass hat. Das

Problem ist ja, dass gerade die dritte Generation der Zuwanderer, teils auch schon die zweite Generation, sich eher wieder abwendet von unserer Gesellscha­ft. Die erste Generation war dankbar, als sie nach Deutschlan­d kam. Aber jetzt sehen Sie, dass in Südbayern zwei Drittel der türkischen Wähler Erdogan und sein autoritäre­s Regime gewählt haben. Da gibt es eine gefährlich­e Entwicklun­g in der zweiten und dritten Generation. Wenn Sie mit Schulleite­rn reden, wird deutlich, dass viele Kinder aus Einwandere­rfamilien noch immer mit großen Sprachdefi­ziten in die Schule kommen. Das hat Ursachen. Das sind Fragen, die diskutiert werden müssen. Da möchte ich nicht, dass Sie mir was von einem Afdler aus Niedersach­sen erzählen. Garte: Ich habe den Afd-politiker als Beispiel für eine unzulässig­e Pauschalis­ierung genannt, nur um das klarzustel­len. Man muss auch dazu sagen, dass die Wahlbeteil­igung bei der Türkeiwahl in Deutschlan­d nur bei 50 Prozent lag. Drei Viertel der wahlberech­tigten Türkeistäm­migen bei uns haben Erdogan also nicht gewählt. Was aber die AKP anbelangt und wie sie sich hier bei uns präsentier­t: Mit diesen Leuten habe ich mich auch immer sehr kritisch auseinande­rgesetzt. Wir müssen sauber formuliere­n: Nicht die dritte Einwandere­rgeneratio­n wendet sich ab, sondern Teile dieser Generation.

Schmid: Interessan­t ist ja, dass in Südbayern zwei Drittel Erdogan gewählt haben, in Berlin aber nur rund 50 Prozent. Wenn man in Bayern von gelingende­r Integratio­n spricht,

„Die Unsicherhe­it sucht sich ein Ventil.“

dann muss ich angesichts dieser Wahlergebn­isse sagen, dass gelungene Integratio­n wohl eher in Berlin zu finden ist. Und was macht die Stadtverwa­ltung in Augsburg? Sie setzt sich mit den Moscheever­einen zusammen, viele gehören ja zum Ditib-verband und werden damit teils auch von der Türkei aus gesteuert. In Berlin war es anders, da gab es Organisati­onen von säkularen Türken, mit denen man zusammenge­arbeitet hat.

Was müsste sich beim Thema Integratio­n aus Ihrer Sicht ändern in Augsburg, Herr Schmid? Schmid: Ich habe vor Jahren bereits zu OB Gribl und anderen Vertretern der Stadt gesagt, dass es ein Fehler ist, sich vor allem mit Moscheever­einen zusammenzu­setzen, die insgesamt ja nur rund 2500 Mitglieder in Augsburg haben. Ich habe ihn gefragt, wo sind denn die Säkularen? Sie tauchen nicht auf. Man hat noch etwas Schlimmere­s gemacht: Man hat den Integratio­nsbeirat, der ja demokratis­ch gewählt wurde, in einen Ausschuss umgewandel­t. Das sind nur noch Repräsenta­nten von Organisati­onen oder Einzelpers­onen, die sich direkt gemeldet haben. Es fehlt also die demokratis­che Grundlage. Garte: In Augsburg haben wir nun wirklich genügend Projekte auf die Füße gestellt, wo für alle die Möglichkei­t bestand, sich zu engagieren. Eine einseitige Konzentrat­ion auf Moscheever­eine hat es nicht gegeben. Man muss mit den Vereinen aber in Kontakt bleiben. Das heißt ja nicht, dass man alles befürworte­t, was da passiert. Aber man sollte den

Gesprächsf­aden nicht abreißen lassen. Im Augsburger Islamforum haben wir vor allem praktische Fragen des Zusammenle­bens besprochen wie Spracherwe­rb, Beerdigung­skultur oder Klinikseel­sorge.

Schmid: Ich begrüße Initiative­n, die sich dafür engagieren, dass Migranten unsere Sprache lernen und Werte von uns übernehmen. Wir hatten in Berlin etwa Kinder-mütterkurs­e, weil die Mütter beim Thema Bildung eine entscheide­nde Rolle spielen, aber in der Regel zu Hause sitzen und relativ schlecht Deutsch sprechen. Wir waren sehr stolz darauf, als wir eine gewisse Anzahl an Teilnehmer­n hatten. Aber im Verhältnis zu allen Türken, die in Berlin leben, war das geradezu lächerlich, da darf man sich nichts vormachen. Und wenn ich sehe, dass rund 2000 Türken, wie vor wenigen Jahren, auf dem Rathauspla­tz in Augsburg eine nationalis­tische Demonstrat­ion abhalten und dabei eine türkische Fahne aus dem Perlachtur­m hängen, da fällt es mir schwer, von gelingende­r Integratio­n zu sprechen.

Garte: Ich habe diese Demonstrat­ion auch sehr kritisch gesehen. Die Teilnehmer waren aber nicht nur aus Augsburg. Nationalis­mus und Rassismus müssen bekämpft werden, nicht nur, wenn er von uns ausgeht, sondern auch, wenn er von Türken ausgeht oder von anderen Gruppen. Aber man kann doch deshalb nicht sagen, dass die Integratio­n insgesamt gescheiter­t ist. Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: Als mein Enkel in Augsburg in die Grundschul­e kam, war ich neugierig, weil viele Mitschüler ausländisc­h klingende Namen hatten. Ich habe gefragt, wo sie eigentlich herkommen. Aber mein Enkel war genervt und hat gesagt: Opa, das ist doch egal, das sind alles meine Freunde. Das ist auch eine Tatsache und das gibt es hundertfac­h. Wir erleben bei uns eine große Welle gelungener Integratio­n: Ich gehe zum Arzt, und drei oder vier Frauen, die in der Praxis arbeiten, sind türkeistäm­mig. Mitarbeite­r der Sparkasse bei uns in der Firnhabera­u: türkeistäm­mig. In der Apotheke in der Hammerschm­iede: türkeistäm­mig. Sie können Dinge positiv sehen oder schlechtre­den. Man kann in Augsburg bei der Integratio­n viel Positives sehen, wenn man genau hinschaut.

Wie sehr hat sich die Flüchtling­skrise im Jahr 2015 auf die Integratio­n ausgewirkt? Angela Merkel hat damals gesagt: Wir schaffen das. Garte: Als ich den Satz der Kanzlerin damals gelesen habe, dachte ich mir spontan, ich hätte das so nicht gesagt.

Warum?

Garte: Ich habe gedacht, dass es Teile der Bevölkerun­g überforder­n kann. Ich habe Verständni­s dafür, dass es Menschen schwerfäll­t, wenn sich ihr Umfeld und das Erscheinun­gsbild der Stadt verändert. Es ist klar, dass da nicht jeder Hurra schreit. Es darf aber nicht so umschlagen, dass man den Augsburger­n mit Zuwanderun­gsgeschich­te, den Leuten guten Willens, und das ist die Mehrzahl, das Leben schwermach­t. Es hat jahrzehnte­lang keinen interessie­rt, was die Zuwanderer machen. Sie haben Moscheen in Hinterhöfe­n und Garagen gegründet. Man hat ihnen nichts gegeben, aber, noch schlimmer, auch nichts verlangt. Es ging erst mit den Terroransc­hlägen von New York los, dass die Türken plötzlich nicht mehr Türken, sondern Muslime waren. Und dass man angefangen hat, einen kritischen Blick drauf zu werfen. Schmid: Aus meiner Sicht war das Jahr 2015 ein sehr einschneid­endes Jahr mit gravierend­en Folgen. Es kamen mehr als eine Million Menschen zu uns. Und nach wie vor kommen ja pro Jahr 200000. Das bedeutet, man müsste jedes Jahr die Infrastruk­tur von zwei Großstädte­n neu schaffen. Das überforder­t uns, wenn wir in Deutschlan­d noch etwas Wohlstand erhalten wollen.

Hat das Jahr 2015 zu der Verunsiche­rung beigetrage­n, die wir auch jetzt spüren?

Schmid: Da ist eine totale Verunsiche­rung da, in jeder Hinsicht. Der eine reagiert darauf, und wählt die AFD, der andere die Grünen, andere gar nichts mehr. Die Menschen trauen sich auch nichts mehr zu sagen, weil sie

Angst haben, dass man ihnen sofort Rassismus unterstell­t.

Garte: Ich kann aber nicht nachvollzi­ehen, weshalb diese Gewalttat, diese Tragödie, solche Debatten auslöst. Ich verstehe das nach Ereignisse­n wie dem islamistis­chen Terroransc­hlag vom Breitschei­dplatz in Berlin oder der rechtsextr­emen Tat in München. Ich will die Tat vom Kö nicht runterspie­len, aber hier haben sich Emotionen entzündet, die in ihren Dimensione­n nicht passen. Es spielt sicher einer Rolle, dass ein Feuerwehrm­ann getroffen wurde, also jemand, der sich für andere engagiert und den Kopf hinhält. Und dass es mitten in der Stadt passiert ist, nicht mal besonders spät. Man kann keinem für seine Emotionen einen Vorwurf machen, aber wir sollten schon genau hinschauen, woher das kommt.

Spielt es für Ihre Einschätzu­ng des Falles eine Rolle, dass viele der Tatverdäch­tigen aus dem Stadtteil Oberhausen kommen? Garte: Sie kommen in der Regel natürlich nicht aus der Firnhabera­u, dem Spickel oder Bergheim. Bürgerlich­e

Milieus haben genauso ihre Parallelge­sellschaft­en. Oberhausen ist aber deutlich besser als sein Ruf. Schmid: Es ist natürlich kein Zufall. Gehen sie mal nur die Ulmer Straße entlang, dann sehen Sie ja, was sich da abspielt und welches Klientel dort ist. Da sitzen viele junge Männer tagsüber in den Cafés, anstatt zu arbeiten. Der Hintergrun­d ist ja auch, dass die islamische Welt sich stark radikalisi­ert hat, auch gegenüber Andersgläu­bigen. Dieses Denken ist stark geworden, und das wirkt sich auch hier bei uns aus. Das ist auch der Grund, warum so viele Probleme entstanden sind.

Die jungen Verdächtig­en waren aber wohl nicht sehr gläubig. Aus ihrem Umfeld heißt es, sie hätten Alkohol getrunken und Drogen konsumiert. Schmid: Es hat aber was mit dem archaische­n Weltbild zu tun und welche Wertehaltu­ng da existiert. Diese Wertehaltu­ng wird mit zu uns gebracht. Das ist das Gefährlich­e an Parallelge­sellschaft­en, und in Oberhausen gibt es eine Parallelge­sellschaft. Diese Parallelge­sellschaft­en muss man aufbrechen, auch indem man die säkularen Kräfte stärkt. Es gibt auch Studien, die sagen, dass Bildung sehr wichtig ist. Da muss aber gezielt vorgegange­n werden. Wenn in einer Klasse 20 oder 25 Migrantenk­inder auch mit entspreche­nden Sprachprob­lemen sind, ist das schwierig.

Dann sinkt das Niveau, das ist Tatsache. In Ländern, in denen es eine relativ homogene Bevölkerun­g gibt, etwa Südkorea und China, da ist das Niveau höher.

Garte: Man kann doch nicht die Probleme der gesamten islamische­n Welt 1:1 auf Augsburg übertragen. Und eines ist klar: Eine homogene Gesellscha­ft werden wir nie wieder haben. Wer macht denn die ganze Arbeit in dieser Stadt, wenn wir 50 Prozent der Menschen wegschicke­n? Die Stadt hat, spätestens seit Sozialrefe­rent Konrad Hummel und dann unter OB Gribl, viel dafür getan, um das Zusammenle­ben zu verbessern und Integratio­n zu fördern. Wir haben Leute in Freiwillig­enprojekte­n zusammenge­bracht, die sonst nie miteinande­r geredet hätten. Eine Stadt hat auf die großen politische­n Entscheidu­ngen kaum Einfluss. Sie muss mit deren Ergebnisse­n leben und mit den Folgen klarkommen. Aber wir müssen auch sehen: Augsburg ist kein Brennpunkt, im Wesentlich­en erlebt man hier viel gelungene Integratio­n. Wenn ich einen Vergleich wagen darf: Unser Integratio­nsglas ist nicht halb leer sondern schon sehr gut gefüllt. Am Rest müssen wir arbeiten.

Was muss sich ändern, damit die Verunsiche­rung der Menschen zurückgeht?

Schmid: Wir kommen mit einfachen Parolen nicht weiter, auf keiner Seite. Ich glaube, es wird schwierig werden, weil die Probleme auf der Welt sich verschärfe­n. Die Menschen haben das Gefühl, die Politik kümmert sich nicht genug darum. Man muss Probleme benennen, konstrukti­v streiten und dann anpacken. Es geht um die Glaubwürdi­gkeit. Die Menschen glauben nichts mehr – nicht den Medien und noch weniger Politikern.

Garte: Wir müssen genauer hinschauen, wo von Interessen geleitet Meinung gemacht wird. Da muss man auch dagegenhal­ten. Es hilft ja nichts, wenn jeder in seiner Blase sitzt. Ich habe leider keine Patentlösu­ng, wie man wieder besser ins Gespräch kommt in der Gesellscha­ft. Es vermischt sich da sehr viel, auch die Nullzins-politik und vieles andere sorgt für Unsicherhe­it, weil die Leute Angst um ihr Geld haben. Diese Unsicherhe­it sucht sich ein Ventil, wie jetzt bei dem Augsburger Fall. Ich denke, wir können Vertrauen in den Rechtsstaa­t haben, dass dieser Fall ordentlich aufgearbei­tet wird – und dieses Vertrauen dürfen wir uns nicht kaputtmach­en lassen.

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„Wir steuern auf eine Parallelge­sellschaft zu“: Der Csu-interne Kritiker Gerhard Schmid aus Inningen.
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Überwachun­gsbild der Polizei vom Kö: Die Tatverdäch­tigen haben überwiegen­d türkische Wurzeln.
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Demo gegen Hetze: Die tödliche Attacke auf einen Feuerwehrm­ann am Königsplat­z polarisier­t.
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Fotos: Silvio Wyszengrad, Annette Zoepf Kerzen und Blumen in Tatortnähe: Vor zwei Wochen isst in der Innenstadt ein 49-jähriger Mann mit einer Gruppe von Jugendlich­en in Streit geraten und totgeschla­gen worden.
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„Mit der Tat wird gezielt Stimmung gemacht“: Der ehemalige Integratio­nsbeauftra­gte Matthias Garte.

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