Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Tödlicher Schlag am Kö: Ist die Integration in Augsburg gescheitert?
Diskussion Matthias Garte war Integrationsbeauftragter der Stadt, Gerhard Schmid ist der bekannteste Merkel-kritiker i „Manche fahren abends nur noch mit dem Taxi.“ in Augsburgs CSU. Ein Streitgespräch über Wertvorstellungen, die Sicherheitslage und türk
Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie von dem tödlichen Angriff auf einen 49-jährigen Passanten am Königsplatz erfahren haben? Gerhard Schmid: Es ging mir durch den Kopf, dass Augsburg jetzt auch stärker erfasst wird von Konflikten, die durch Migration ausgelöst werden. Und als im Fernsehen nur von Jugendlichen und nicht etwa von Deutschen gesprochen wurde, war mir rasch klar, dass die Tatverdächtigen mindestens Migrationshintergrund haben müssen. Wenn sie das Fernsehen aufmerksam verfolgen, bemerkt man ja diese Sprachregelung.
Matthias Garte: Ich habe es als schreckliche, vollkommen sinnlose Tragödie empfunden. Und ich empfinde Mitleid, vor allem mit den Frauen und dem Verletzten.
Spielt es für die Bewertung eine Rolle, dass die tatverdächtigen Jugendlichen und jungen Männer überwiegend türkische Wurzeln haben? Garte: Wenn man weiß, dass in Augsburg fast 50 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben, und bei den Kindern und Jugendlichen sind es noch mehr, dann ist es wenig überraschend, dass an solchen Taten auch Jugendliche mit Migrationshintergrund beteiligt sind. Natürlich fragt man sich, wie geht das, dass ein Jugendlicher gleich drei Pässe hat. Aber das ist eher nebensächlich. Man muss auch dazu sagen, dass es ja kein islamistischer Anschlag war.
In der Debatte spielen die ausländischen Wurzeln der Verdächtigen aber eine große Rolle. Garte: Es war mit klar, dass diese Diskussion kommt. Vor allem, als die Sache mit den drei Pässen bekannt wurde. Aber das ist für mich kein spezielles Thema von Migranten, weil Gewalt, gerade durch junge Männer, auch in Augsburg leider alltäglich ist. Zum Beispiel in der nächtlichen Partyszene, wenn auch zum Glück auf niedrigem Niveau. Der Migrationshintergrund der Verdächtigen hat mich zuerst nicht besonders beschäftigt.
Geht es also eher um das soziale Umfeld als um die Herkunft und die Wurzeln im Ausland? Schmid: Wir steuern auf eine Parallelgesellschaft zu. Das soziale Umfeld und die Frage der Migration kann man nicht trennen, weil wir ja auch in Augsburg in bestimmten Stadtteilen eine Ansammlung von Migranten haben. Und nach den Zahlen, die ich kenne, ist die Kriminalitätsrate bei Migrantenkindern eben doppelt so hoch wie bei deutschen.
Woher kommt das?
Schmid: Ich war viele Jahre Oberschulrat in Berlin, unter anderem auch in schwierigen Bezirken wie Kreuzberg oder Neukölln. Es ist so, dass beispielsweise in der türkischen Gemeinschaft aufgrund der Vorstellung von Familie und von der Herrschaft des Mannes auch sehr stark Gewalt ausgeübt wird. Vieles davon kommt nie an die Justiz, weil die Menschen in ihrem eigenen Milieu leben.
Ist dann der Migrationshintergrund nicht doch ein wichtiger Punkt, Herr Garte?
Garte: Das Hauptproblem ist, dass man Pauschalisierungen vermeiden muss. In der Zeit, als viele Migranten aus den Staaten der Exsowjetunion zu uns gekommen sind, gab es eine große Debatte über gewaltbereite russischstämmige Jugendliche. Es gab vorübergehend auch einen sprunghaften Anstieg bei jugendlichen Intensivtätern mit diesem Hintergrund. Trotzdem waren auch damals diese Taten im Verhältnis zur großen Zahl derer, die gekommen sind, im Promillebereich. Problematisch ist es, wenn man nach dem Fall vom Kö alle jungen Männer mit türkischem Migrationshintergrund unter Pauschalverdacht stellt.
Aber sollte man Probleme, wenn man sie erkennt, nicht trotzdem benennen? Garte: Ich habe nie eine rosarote Brille getragen. Ich habe schon immer Dinge kritisch gesehen, auch bei den Türkeistämmigen. Etwa die Aktivitäten von Erdogan-anhängern. Nichtsdestotrotz kann man nicht alle Türkischstämmigen in Mithaftung dafür nehmen. Ich will ja selbst auch nur nach dem beurteilt werden, was ich persönlich mache oder sage.
Herr Schmid, Sie sind viel in der Stadt unterwegs. Haben Sie Angst?
Schmid: Angst würde ich es nicht nennen. Aber wenn sich, wie erst neulich, eine Horde von acht bis zehn Jugendlichen mit südländischem Aussehen prügelt und meine Frau und mich dann fast umrennt, da bekommt man es schon mit der Angst zu tun. Frauen erzählen mir, dass sie nur noch mit Pfefferspray in der Tasche unterwegs sind. Ich kenne auch Menschen, die abends ungern auf die Straße gehen oder lieber nur noch mit dem Taxi fahren. Wenn Sie von Pauschalvorwürfen sprechen, Herr Garte, muss man schon auch der Realität ins Auge blicken. Etwa, dass in Gefängnissen wie in Straubing fast 90 Prozent der Häftlinge einen Migrationshintergrund haben. Wenn man, wie ich, beschimpft wird dafür, dass man so etwas thematisiert, dann ist das problematisch. Und es ist gefährlich, weil man die Realität nicht mehr sieht.
Garte: Aber es ist eben auch eine Tatsache, dass Augsburg eine sehr sichere Großstadt ist. Das sagen die amtlichen Statistiken. Wenn aufgrund dieser Tragödie am Königsplatz Leute sagen, sie trauen sich nicht mehr auf die Straße, dann ist das eine paradoxe Situation. Man muss das ernst nehmen. Aber man muss auch sehen, dass die Stimmung von interessierten Kreisen wie zum Beispiel der AFD ganz bewusst geschürt wird. Das ist eine Politik, die eine Spaltung in der Gesellschaft bewirkt. Es wird nicht aufgrund von Fakten argumentiert und es wird auch nicht versucht, Emotionen rauszunehmen. Das fällt in Zeiten der sozialen Medien auf fruchtbaren Boden. Und das ist eine Gefahr für den sozialen Frieden in unserer Stadt.
Schmid: Sie haben jetzt mehrfach das Wort Tragödie verwendet. Es ist aber eine Gewalttat, was sich am Kö abgespielt hat. Was die Tatsachen angeht: Die Zahlen, die mir vorliegen, belegen, dass Ausländer ungefähr doppelt so häufig gewalttätig werden. Was man dabei noch gar nicht betrachtet, sind Täter mit Migrationshintergrund, die als Deutsche in der Statistik auftauchen. In Bayern wird der Migrationshintergrund bei Straftätern nicht erfasst. Dabei gibt es das sogar in Bundesländern, die rot-grün regiert sind. In Berlin etwa stellte sich heraus, dass 77 Prozent der jugendlichen Intensivtäter Ausländer sind oder Migrationshintergrund haben. Das ist Tatsache. Da können Sie nicht einfach sagen, das sei alles nur Stimmungsmache. Stimmung machen doch diejenigen, die Menschen in diesem Land als besonders schlimm darstellen – nur weil sie die Zustände kritisieren. Garte: Im Grund ist es für unsere Diskussion nur bedingt aussagekräftig, wie hoch genau der Anteil der Ausländer bei den jugendlichen Intensivtätern ist. Sie müssen doch auch die Zahl der Intensivtäter ins Verhältnis setzen zur Gesamtzahl der jungen Männer, die einen solchen Hintergrund haben. Dann sehen sie, dass sie sich hier im Promillebereich bewegen. Man muss jungen Menschen mit Migrationshintergrund doch zugutehalten, dass sich der größte Teil ganz normal verhält, friedlich ist und sein Leben lebt. Was Pauschalisierungen angeht: Es ging durch die Presse, ein Afd-politiker in Niedersachsen habe 98 Kilo Kokain geschmuggelt. Ich würde deshalb nie auf die Idee kommen, zu argumentieren, dass alle Afd-politiker Drogen schmuggeln. Anderes Beispiel: Trotz der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche verdächtige ich nicht jeden Pfarrer.
Aber hat nicht die Kirche doch auch ein Problem, das angesprochen werden muss?
Garte: Natürlich hat die Kirche ein Problem, aber ich darf trotzdem niemanden unter einen Generalverdacht stellen.
Schmid: Das macht doch auch keiner.
Garte: Bei der Kirche nicht, aber bei den Migranten schon. Wir haben über 50 Prozent Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Stadt und der überwältigende Teil lebt ein ganz normales Leben. Es gibt viele erfolgreiche Bildungskarrieren. Es gibt natürlich kulturelle Unterschiede. Aber es sind zuerst ganz normale Augsburger. Und sie haben ein Recht darauf, in Ruhe gelassen zu werden.
Der mutmaßliche Haupttäter vom Kö hat einen deutschen, einen türkischen und einen libanesischen Pass. Sorgt das dafür, dass sich ein Jugendlicher nirgends richtig zugehörig fühlt? Garte: Nein. Ich bin selbst viel umgezogen. Ich habe als Kind in Italien gelebt, bin dann nach Deutschland zurückgekommen. Ich hatte in Mailand Freunde, die einen italienischen und einen amerikanischen Pass hatten. Da gab es alle möglichen Kombinationen. Nur wegen eines Passes gibt es kein Problem. Ich staune immer, was da alles hineininterpretiert wird.
Schmid: Ich sehe das schon als Problem. Es ist auch ein großer Unterschied, ob jemand aus dem islamischen oder schwarzafrikanischen Bereich drei Pässe hat oder ob ein Deutscher auch einen österreichischen Pass hat. Das
Problem ist ja, dass gerade die dritte Generation der Zuwanderer, teils auch schon die zweite Generation, sich eher wieder abwendet von unserer Gesellschaft. Die erste Generation war dankbar, als sie nach Deutschland kam. Aber jetzt sehen Sie, dass in Südbayern zwei Drittel der türkischen Wähler Erdogan und sein autoritäres Regime gewählt haben. Da gibt es eine gefährliche Entwicklung in der zweiten und dritten Generation. Wenn Sie mit Schulleitern reden, wird deutlich, dass viele Kinder aus Einwandererfamilien noch immer mit großen Sprachdefiziten in die Schule kommen. Das hat Ursachen. Das sind Fragen, die diskutiert werden müssen. Da möchte ich nicht, dass Sie mir was von einem Afdler aus Niedersachsen erzählen. Garte: Ich habe den Afd-politiker als Beispiel für eine unzulässige Pauschalisierung genannt, nur um das klarzustellen. Man muss auch dazu sagen, dass die Wahlbeteiligung bei der Türkeiwahl in Deutschland nur bei 50 Prozent lag. Drei Viertel der wahlberechtigten Türkeistämmigen bei uns haben Erdogan also nicht gewählt. Was aber die AKP anbelangt und wie sie sich hier bei uns präsentiert: Mit diesen Leuten habe ich mich auch immer sehr kritisch auseinandergesetzt. Wir müssen sauber formulieren: Nicht die dritte Einwanderergeneration wendet sich ab, sondern Teile dieser Generation.
Schmid: Interessant ist ja, dass in Südbayern zwei Drittel Erdogan gewählt haben, in Berlin aber nur rund 50 Prozent. Wenn man in Bayern von gelingender Integration spricht,
„Die Unsicherheit sucht sich ein Ventil.“
dann muss ich angesichts dieser Wahlergebnisse sagen, dass gelungene Integration wohl eher in Berlin zu finden ist. Und was macht die Stadtverwaltung in Augsburg? Sie setzt sich mit den Moscheevereinen zusammen, viele gehören ja zum Ditib-verband und werden damit teils auch von der Türkei aus gesteuert. In Berlin war es anders, da gab es Organisationen von säkularen Türken, mit denen man zusammengearbeitet hat.
Was müsste sich beim Thema Integration aus Ihrer Sicht ändern in Augsburg, Herr Schmid? Schmid: Ich habe vor Jahren bereits zu OB Gribl und anderen Vertretern der Stadt gesagt, dass es ein Fehler ist, sich vor allem mit Moscheevereinen zusammenzusetzen, die insgesamt ja nur rund 2500 Mitglieder in Augsburg haben. Ich habe ihn gefragt, wo sind denn die Säkularen? Sie tauchen nicht auf. Man hat noch etwas Schlimmeres gemacht: Man hat den Integrationsbeirat, der ja demokratisch gewählt wurde, in einen Ausschuss umgewandelt. Das sind nur noch Repräsentanten von Organisationen oder Einzelpersonen, die sich direkt gemeldet haben. Es fehlt also die demokratische Grundlage. Garte: In Augsburg haben wir nun wirklich genügend Projekte auf die Füße gestellt, wo für alle die Möglichkeit bestand, sich zu engagieren. Eine einseitige Konzentration auf Moscheevereine hat es nicht gegeben. Man muss mit den Vereinen aber in Kontakt bleiben. Das heißt ja nicht, dass man alles befürwortet, was da passiert. Aber man sollte den
Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Im Augsburger Islamforum haben wir vor allem praktische Fragen des Zusammenlebens besprochen wie Spracherwerb, Beerdigungskultur oder Klinikseelsorge.
Schmid: Ich begrüße Initiativen, die sich dafür engagieren, dass Migranten unsere Sprache lernen und Werte von uns übernehmen. Wir hatten in Berlin etwa Kinder-mütterkurse, weil die Mütter beim Thema Bildung eine entscheidende Rolle spielen, aber in der Regel zu Hause sitzen und relativ schlecht Deutsch sprechen. Wir waren sehr stolz darauf, als wir eine gewisse Anzahl an Teilnehmern hatten. Aber im Verhältnis zu allen Türken, die in Berlin leben, war das geradezu lächerlich, da darf man sich nichts vormachen. Und wenn ich sehe, dass rund 2000 Türken, wie vor wenigen Jahren, auf dem Rathausplatz in Augsburg eine nationalistische Demonstration abhalten und dabei eine türkische Fahne aus dem Perlachturm hängen, da fällt es mir schwer, von gelingender Integration zu sprechen.
Garte: Ich habe diese Demonstration auch sehr kritisch gesehen. Die Teilnehmer waren aber nicht nur aus Augsburg. Nationalismus und Rassismus müssen bekämpft werden, nicht nur, wenn er von uns ausgeht, sondern auch, wenn er von Türken ausgeht oder von anderen Gruppen. Aber man kann doch deshalb nicht sagen, dass die Integration insgesamt gescheitert ist. Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: Als mein Enkel in Augsburg in die Grundschule kam, war ich neugierig, weil viele Mitschüler ausländisch klingende Namen hatten. Ich habe gefragt, wo sie eigentlich herkommen. Aber mein Enkel war genervt und hat gesagt: Opa, das ist doch egal, das sind alles meine Freunde. Das ist auch eine Tatsache und das gibt es hundertfach. Wir erleben bei uns eine große Welle gelungener Integration: Ich gehe zum Arzt, und drei oder vier Frauen, die in der Praxis arbeiten, sind türkeistämmig. Mitarbeiter der Sparkasse bei uns in der Firnhaberau: türkeistämmig. In der Apotheke in der Hammerschmiede: türkeistämmig. Sie können Dinge positiv sehen oder schlechtreden. Man kann in Augsburg bei der Integration viel Positives sehen, wenn man genau hinschaut.
Wie sehr hat sich die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 auf die Integration ausgewirkt? Angela Merkel hat damals gesagt: Wir schaffen das. Garte: Als ich den Satz der Kanzlerin damals gelesen habe, dachte ich mir spontan, ich hätte das so nicht gesagt.
Warum?
Garte: Ich habe gedacht, dass es Teile der Bevölkerung überfordern kann. Ich habe Verständnis dafür, dass es Menschen schwerfällt, wenn sich ihr Umfeld und das Erscheinungsbild der Stadt verändert. Es ist klar, dass da nicht jeder Hurra schreit. Es darf aber nicht so umschlagen, dass man den Augsburgern mit Zuwanderungsgeschichte, den Leuten guten Willens, und das ist die Mehrzahl, das Leben schwermacht. Es hat jahrzehntelang keinen interessiert, was die Zuwanderer machen. Sie haben Moscheen in Hinterhöfen und Garagen gegründet. Man hat ihnen nichts gegeben, aber, noch schlimmer, auch nichts verlangt. Es ging erst mit den Terroranschlägen von New York los, dass die Türken plötzlich nicht mehr Türken, sondern Muslime waren. Und dass man angefangen hat, einen kritischen Blick drauf zu werfen. Schmid: Aus meiner Sicht war das Jahr 2015 ein sehr einschneidendes Jahr mit gravierenden Folgen. Es kamen mehr als eine Million Menschen zu uns. Und nach wie vor kommen ja pro Jahr 200000. Das bedeutet, man müsste jedes Jahr die Infrastruktur von zwei Großstädten neu schaffen. Das überfordert uns, wenn wir in Deutschland noch etwas Wohlstand erhalten wollen.
Hat das Jahr 2015 zu der Verunsicherung beigetragen, die wir auch jetzt spüren?
Schmid: Da ist eine totale Verunsicherung da, in jeder Hinsicht. Der eine reagiert darauf, und wählt die AFD, der andere die Grünen, andere gar nichts mehr. Die Menschen trauen sich auch nichts mehr zu sagen, weil sie
Angst haben, dass man ihnen sofort Rassismus unterstellt.
Garte: Ich kann aber nicht nachvollziehen, weshalb diese Gewalttat, diese Tragödie, solche Debatten auslöst. Ich verstehe das nach Ereignissen wie dem islamistischen Terroranschlag vom Breitscheidplatz in Berlin oder der rechtsextremen Tat in München. Ich will die Tat vom Kö nicht runterspielen, aber hier haben sich Emotionen entzündet, die in ihren Dimensionen nicht passen. Es spielt sicher einer Rolle, dass ein Feuerwehrmann getroffen wurde, also jemand, der sich für andere engagiert und den Kopf hinhält. Und dass es mitten in der Stadt passiert ist, nicht mal besonders spät. Man kann keinem für seine Emotionen einen Vorwurf machen, aber wir sollten schon genau hinschauen, woher das kommt.
Spielt es für Ihre Einschätzung des Falles eine Rolle, dass viele der Tatverdächtigen aus dem Stadtteil Oberhausen kommen? Garte: Sie kommen in der Regel natürlich nicht aus der Firnhaberau, dem Spickel oder Bergheim. Bürgerliche
Milieus haben genauso ihre Parallelgesellschaften. Oberhausen ist aber deutlich besser als sein Ruf. Schmid: Es ist natürlich kein Zufall. Gehen sie mal nur die Ulmer Straße entlang, dann sehen Sie ja, was sich da abspielt und welches Klientel dort ist. Da sitzen viele junge Männer tagsüber in den Cafés, anstatt zu arbeiten. Der Hintergrund ist ja auch, dass die islamische Welt sich stark radikalisiert hat, auch gegenüber Andersgläubigen. Dieses Denken ist stark geworden, und das wirkt sich auch hier bei uns aus. Das ist auch der Grund, warum so viele Probleme entstanden sind.
Die jungen Verdächtigen waren aber wohl nicht sehr gläubig. Aus ihrem Umfeld heißt es, sie hätten Alkohol getrunken und Drogen konsumiert. Schmid: Es hat aber was mit dem archaischen Weltbild zu tun und welche Wertehaltung da existiert. Diese Wertehaltung wird mit zu uns gebracht. Das ist das Gefährliche an Parallelgesellschaften, und in Oberhausen gibt es eine Parallelgesellschaft. Diese Parallelgesellschaften muss man aufbrechen, auch indem man die säkularen Kräfte stärkt. Es gibt auch Studien, die sagen, dass Bildung sehr wichtig ist. Da muss aber gezielt vorgegangen werden. Wenn in einer Klasse 20 oder 25 Migrantenkinder auch mit entsprechenden Sprachproblemen sind, ist das schwierig.
Dann sinkt das Niveau, das ist Tatsache. In Ländern, in denen es eine relativ homogene Bevölkerung gibt, etwa Südkorea und China, da ist das Niveau höher.
Garte: Man kann doch nicht die Probleme der gesamten islamischen Welt 1:1 auf Augsburg übertragen. Und eines ist klar: Eine homogene Gesellschaft werden wir nie wieder haben. Wer macht denn die ganze Arbeit in dieser Stadt, wenn wir 50 Prozent der Menschen wegschicken? Die Stadt hat, spätestens seit Sozialreferent Konrad Hummel und dann unter OB Gribl, viel dafür getan, um das Zusammenleben zu verbessern und Integration zu fördern. Wir haben Leute in Freiwilligenprojekten zusammengebracht, die sonst nie miteinander geredet hätten. Eine Stadt hat auf die großen politischen Entscheidungen kaum Einfluss. Sie muss mit deren Ergebnissen leben und mit den Folgen klarkommen. Aber wir müssen auch sehen: Augsburg ist kein Brennpunkt, im Wesentlichen erlebt man hier viel gelungene Integration. Wenn ich einen Vergleich wagen darf: Unser Integrationsglas ist nicht halb leer sondern schon sehr gut gefüllt. Am Rest müssen wir arbeiten.
Was muss sich ändern, damit die Verunsicherung der Menschen zurückgeht?
Schmid: Wir kommen mit einfachen Parolen nicht weiter, auf keiner Seite. Ich glaube, es wird schwierig werden, weil die Probleme auf der Welt sich verschärfen. Die Menschen haben das Gefühl, die Politik kümmert sich nicht genug darum. Man muss Probleme benennen, konstruktiv streiten und dann anpacken. Es geht um die Glaubwürdigkeit. Die Menschen glauben nichts mehr – nicht den Medien und noch weniger Politikern.
Garte: Wir müssen genauer hinschauen, wo von Interessen geleitet Meinung gemacht wird. Da muss man auch dagegenhalten. Es hilft ja nichts, wenn jeder in seiner Blase sitzt. Ich habe leider keine Patentlösung, wie man wieder besser ins Gespräch kommt in der Gesellschaft. Es vermischt sich da sehr viel, auch die Nullzins-politik und vieles andere sorgt für Unsicherheit, weil die Leute Angst um ihr Geld haben. Diese Unsicherheit sucht sich ein Ventil, wie jetzt bei dem Augsburger Fall. Ich denke, wir können Vertrauen in den Rechtsstaat haben, dass dieser Fall ordentlich aufgearbeitet wird – und dieses Vertrauen dürfen wir uns nicht kaputtmachen lassen.