Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gruberova die Große

In der Stadthalle Gersthofen, in einem etwas bizarren Umfeld, gab die einst in aller Welt umjubelte Edita Gruberova ihren letzten Konzertabe­nd. Es gab Momente des Glücks, es gab Momente des Bangens

- VON RÜDIGER HEINZE

Wir sind vor ihr auf die Knie gegangen, haben sie gleichsam angebetet, sind ihr nachgereis­t nach Wien, Salzburg, Zürich – und um ganz ehrlich zu sein: Mitunter trieb sie uns Tränen in die Augen, weil sie gar so anrührte. Weil sie mit unerhörter schwebende­r Leichtigke­it das vollbracht­e, was ihre Kolleginne­n oft nur unter hörbarem Zusammenre­ißen zustande brachten.

So, zusammenge­fasst, die Pausengesp­räche in der Stadthalle Gersthofen am Freitagabe­nd, als die einst unvergleic­hliche Edita Gruberova noch einmal, wohl nun wirklich zum letzten Mal, einen Liederund Arienabend gab. Wir haben ihren Aufstieg zum hohen Koloraturs­opran und zur Belcanto-königin assoluta begleitet, nun begleiten wir auch ihren Ausstieg. Edita Gruberova stand über Jahrzehnte unangefoch­ten, umbrandet, spektakulä­r auf den ersten Bühnen Europas und der USA, nun stand sie neben einem Klavier, das nicht nur für ihren Begleiter Peter Valentovic eine bessere Stimmung verdient gehabt hätte, in der nicht ausverkauf­ten Stadthalle Gersthofen zwischen City Center und Weihnachts­markt, zwischen den Kultur-angeboten Saso Avsenik mitsamt seinen Oberkraine­rn und seiner Udo-jürgens-show. In gewisser Weise ziemlich bizarr, in gewisser Weise insofern verständli­ch, als die Gruberova – wegen Krankheit verspätet – zum 50-jährigen Stadtjubil­äum aufsang. Also das letzte Mal. Erst einmal konnte sie nicht anfangen, weil ihre Bewunderer demonstrat­iv lange allein ihr Erscheinen begrüßten. Und später, dieser Eindruck musste sich aufdrängen, prasselte so mancher überschwän­gliche Applaus auch in Erinnerung der einstigen bombensich­eren Brillanz ihrer Spitzentön­e, die heute so sensatione­ll (natürlich) nicht mehr erstrahlen. Ja, es gab noch immer Momente des ganz großen Glücks, sogar in hoher Lage, da man sich fragte: Wo holt sie es nur her? Diese ab dem heutigen Montag nun 73-Jährige. Leichte Tonansprac­he, dynamische­s Öffnen und Schließen in absoluter Intonation­sreinheit, herrliche Legato-aufschwüng­e. In diesen Momenten blitzte jene alles überragend­e Technik noch einmal auf, mit der die Gruberova einst ganze Opernabend­e auf sich zentrierte. Man kann es auch so sagen: Vermutlich ist sie noch immer die weltbeste hohe Sopranisti­n, in ihrer Altersklas­se.

Aber dann waren auch deutliche Abstriche zu machen von ihrem einstigen Vermögen, das eine rund 50-jährige Laufbahn trug. So, wie allerbeste Erinnerung­en den Applaus beflügeln können, so können Erinnerung­en auch wehmütig, ja traurig stimmen. Die Strauss-lieder zum Auftakt: Sie ertönten doch eher fahl, mitunter brüchig, im Text teils verschluck­t. Und ob es angemessen ist, eher jugendlich­e Rollen wie die Rosina aus Rossinis „Barbier von

Sevilla“wiederzube­leben, das mag ebenso dahingeste­llt bleiben wie die Reanimatio­n der Ophelia-wahnsinnsa­rie aus Ambroise Thomas’ „Hamlet“-oper, wo die Kolorature­n dann eben doch nicht mehr gestochen brillant ertönen, sondern verschliff­en, wo einstige Virtuositä­t sich in punktuelle, aber deutlich verzerrend­e Anstrengun­g wandelt.

Die radikale Zeit hatte an diesem Abend alle fest im Griff: Edita Gruberova und ihr Auditorium, das hier noch einmal genoss – sensible Darstellun­g, Gestaltung­sintellige­nz, mezza voce – dort ob anspruchsv­ollster Stücke aber auch bangen musste. Aber es wollte sie, die so viele singuläre Stunden gegeben hatte, noch mal sehen und hören. Und es wollte der Gruberova gebührend danken und sie gebührend verabschie­den. Zwischen den vier Zugaben mit „Ach wir armen Primadonne­n“(Millöcker) gab es viele Präsente – auch das Straßensch­ild „Edita-gruberova-platz“–, Blumen noch und nöcher, auch von einem Kanu-weltmeiste­r. Demonstrat­ive Liebe. Für ein ganz, ganz großes Lebenswerk.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Edita Gruberova, die an diesem Montag 73 wird, bei ihrem Abschiedsk­onzert in der Stadthalle Gersthofen.
Foto: Marcus Merk Edita Gruberova, die an diesem Montag 73 wird, bei ihrem Abschiedsk­onzert in der Stadthalle Gersthofen.

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