Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Eine Razzia erschüttert die Pflegebranche der Stadt
Im Oktober durchkämmen Hunderte Polizisten in Augsburg rund 170 Büros und Privatadressen. Es geht um den Verdacht, dass acht Pflegedienste für einen Millionenbetrug verantwortlich sein sollen
Der 23. Oktober 2019 dürfte für die Pflegebranche der Stadt Augsburg einen Wendepunkt markieren. Gut 60 ambulante Pflegedienste gibt es in der Stadt; Unternehmen also, deren Mitarbeiter Patienten zu Hause besuchen und ihnen dort helfen. Beim Anziehen und Duschen etwa. Bei acht dieser Pflegedienste steht an jenem Morgen ein Großaufgebot der Polizei vor der Tür, die Beamten durchsuchen auch Privaträume von Geschäftsführern, Mitarbeitern und Patienten.
Es ist eine der größten Razzien, die es in Augsburg je gegeben haben dürfte. Schwer vorstellbar, dass alle acht dieser Firmen existieren.
Denn es geht bei der Razzia um den Verdacht, dass die betroffenen Pflegedienste in großem Stil Pflegeund Krankenkassen betrogen haben sollen, indem sie dort etwa Leistungen abgerechnet haben, die nie erbracht worden sind. Die Pflegedienste sollen aber auch bereits die Begutachtung der Patienten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) manipuliert haben, in der es um die Einstufung in einen Pflegegrad geht. Hierbei gilt tendenziell: Je höher der Pflegegrad, desto mehr Geld gibt es.
langfristig weiterhin
Teils waren Patienten nach Erkenntnissen der Ermittler Komplizen des mutmaßlich kriminellen Systems, teils allerdings auch nicht. In einem Fall soll beispielsweise einer über 90-jährigen Seniorin gegen ihren Willen ein starkes Beruhigungsmittel verabreicht worden sein, als die Prüfer des Medizinischen Diensts der Krankenkasse die Pflegebedürftigkeit der Frau kontrollieren wollten. Das Medikament sorgte offenbar dafür, dass die Seniorin apathisch wirkte.
Alleine in Augsburg richten sich die Ermittlungen gegen 68 Beschuldigte – konkret gegen einen Arzt aus der Stadt, 40 Betreiber oder Mitarbeiter von Pflegediensten und 27 Patienten. Es ist vor allem ein spezielles Milieu betroffen: Pflegedienste, die sich an eine russischsprachige Klientel richten. Verantwortliche der Unternehmen sollen überwiegend einen Bezug zu Osteuropa haben, größtenteils stammen sie wohl aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Sie warben teils auch gezielt mit russischen Sprachkenntnissen um Kundschaft.
Um wie viel Geld es geht, zeigen ein paar Zahlen: Der durch die betroffenen Pflegedienste angerichtete Schaden soll mindestens im hohen einstelligen Millionenbereich liegen. Als die Polizisten zuschlugen, stießen sie in Wohnungen und Schließfächern in Augsburg auf Bargeld in Höhe von 6,7 Millionen Euro. Dazu kamen teure Luxusuhren, Goldbarren und Schmuck. Alleine an der Augsburger Wohnadresse eines Pflegedienstchefs fanden die Beamten rund drei Millionen Euro. Größtenteils in 500-Euro-scheinen, verpackt in zwei Geldkoffern. Pikantes Detail: Der 37-Jährige hatte bereits 2017 vor dem Amtsgericht gestanden. Damals ging es schon um den Vorwurf, dass sein früherer ambulanter Pflegedienst die Kassen und die Stadt um 160000 Euro gebracht haben soll. Der Mann erhielt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten, rechtskräftig wurde das Urteil aber nicht. 2020 soll das Berufungsverfahren laufen. Derzeit sitzen der Mann sowie weitere Beschuldigte in Untersuchungshaft, die Ermittlungen im aktuellen Komplex dauern an.
Die Augsburger Polizei hat Anfang 2019 eigens eine 25-köpfige Sonderkommission namens „Eule“eingerichtet, um Machenschaften in Teilen der Augsburger Pflegebranche auf die Spur zu kommen. Sie ermittelt weiter.