Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Das heilige Theater von Bethlehem
Museen Krippen sind mehr als eine putzige Bastelei. Sie machen geglaubte Mysterien sichtbar
Advent – das ist der Duft von Bratäpfeln und Vanillekipferln, das sind die alten Lieder und Volksweisen, das sind Strohsterne und Schmuckkugeln, das ist das Staunen über die kleine Welt der Krippen. Die Weihnachtszeit ist ein Fest der Sinne. Eine Serie spürt ihnen nach. Heute das Sehen.
Franz von Assisi wollte sich das Mysterium von der Menschwerdung handgreiflich anschauen. Also ließ er vor knapp 800 Jahren die erste Weihnachtskrippe in einer Höhle bei Greccio bauen und von den Leuten nachstellen, was Maria und Josef bei der Geburt des Jesuskindes erlebten. So putzig der Säugling in Windeln gewickelt und in eine Futterkrippe gelegt wirken mag, es ging Franziskus um die religiöse Durchdringung. Und so folkloristisch die alpenländischen Krippen für die Bauernstuben wirken, geht es auch ihnen um bildhafte Theologie.
Deshalb ist das traditionelle Krippenschauen in Schwaben mehr als das handwerkliche Geschick zu bewundern oder den erzählerischen Einfallsreichtum ihrer Schöpfer. Es schwingt beim Ansehen immer auch religiöse Andacht mit. Was da gezeigt wird, ist nicht irgendwann in der Vergangenheit geschehen, sondern die Erzählung setzt sich bis in die Gegenwart fort.
„Krippen berühren die Herzen“, haben die Krippenfreunde Augsburg ihre Jubiläumsausstellung zum hundertjährigen Bestehen im Museum Oberschönenfeld betitelt. Manche Episode von dem, was sich damals in Bethlehem zugetragen hat, wirkt beklemmend aktuell. Wenig habe sich geändert an der Geschichte der Herbergssuche mit verschlossenen Türen und der Abweisung der werdenden Eltern, meint der Vorsitzende Werner Kramer. „Wie würden wir uns heute verhalten, wenn Fremde in der gleichen Situation vor unser Tür ständen?“
Im Mittelschwäbischen Heimatmuseum Krumbach geht es bei der neuen Ausstellung um „Mitanand im Duranand“. Damit sind Krippen gemeint, die über viele Jahre immer weiter ergänzt wurden. Denn nur in den Wintermonaten, wenn die Arbeit in der Landwirtschaft ruhte, wurden Figuren geschnitzt. Zusammen ergaben sie eine bunte Vielfalt – gerade so, wie das pralle Leben ist.
Ob um 1770 in Tirol hergestellt oder vor wenigen Jahren in Ruanda oder Bangladesch – die Ausstellung
„Szenen einer Geburt“im Museum Kulturland Ries in Maihingen präsentiert eine Vielfalt an Krippen aus 250 Jahren. Der Fantasie ihrer Erbauer sind keine Grenzen gesetzt. Von der spätbarocken Krippe geht der Weg bis zum funktionalen Geburtsort im Bauhaus-stil. Beim Material kommt so ziemlich alles vor: von der Nussschale und Zündholzschachtel über die Schneekugel bis zur Schublade und einem Butterfass. Sogar eine Bierkrippe darf in Bayern nicht fehlen. Die Betrachter staunen, aber mehr noch lächeln sie und freuen sich an dieser Mixtur. Im Diözesanmuseum St. Afra in
Augsburg wirken die Krippenberge aus geleimtem Sackrupfen, Wurzeln und Moos auf den ersten Blick sehr schlicht. Simpel auch die Architektur: Im Zickzack führen Wege von der untersten Ebene, wo der Stall das Zentrum bildet, hinauf zur Stadt und zum Hirtenfeld. Auf platzsparende Weise wird es damit möglich, simultan Szenen darzustellen. Mitunter gleicht ein solcher Krippenberg einem regelrechten Wimmelbild, so vieles wird gleichzeitig dargestellt. Dabei ist die Krippe für die Stube meistens mit billigen Materialien bestückt. Figuren aus Holz geschnitzt oder aus Lehm gedrückt, angezogen mit Stoffresten oder bunt bemalt. Die Stadtsilhouette als flache Kulisse bildet den Gegensatz zur ärmlichen Grotte. Mancher Krippenbauer stellte einen Zusammenhang zwischen der Geburt Christi und dem Sündenfall der Stammeltern her, wird doch Christus als der neue Adam gefeiert. Ein Exemplar aus Oberammergau platziert Krippe und Paradies in zwei Ebenen übereinander, andere hängen rote Paradiesäpfel in grüne Tannenzweige.
Im Vöhlinschloss Illertissen hat Anton Bidell vom Heimatpflegeverein einige Kostbarkeiten der Krippenkunst präsentiert. Im Mittelpunkt stehen die großformatig geschnitzten Figuren von Sebastian Osterrieder (1864–1932) aus Abensberg, die auch im Linzer Dom aufgestellt werden. Eine Lieblingsfigur fällt auf: der Hirte mit einem Schaf auf den Schultern. Man sagt, er habe im Heiligen Land einen Hirten stundenlang Modell stehen lassen. Bidell sorgt auch für Internationalität: eine neapolitanische Krippe, eine Krippe aus edlem Porzellan aus Spanien, eine Scopka-krippe aus Polen.
Doppelt Grund zum Feiern hat die Stadt Mindelheim im Herzen des sogenannten schwäbischen Krippenparadieses: 30 Jahre besteht das
Schwäbische Krippenmuseum und 50 Jahre die Krippenfreunde. Vor allem die Neugestaltung des Museums bescherte einen starken Zulauf. Schon Anfang 2019 sind 10000 Besucher gezählt worden. Kulturamtsleiter Christian Schedler kann erklären, warum die Faszination anhält: Seit die Jesuiten vor 500 Jahren die Krippe als „statisches Figurentheater“in Bayern heimisch machten, sei es darum gegangen, das Unsichtbare, das im Glauben erfasst wird, sichtbar zu machen „in einem Bühnenbild von langer Haltbarkeit“. Das neu gestaltete Krippenmuseum stellt in seinen reichen Beständen so manche überraschende Querverbindung zwischen den Zeiten her.
Eigentlich wollte der Hotelier Bartholomäus Ernst in Bad Wörishofen
keine Krippenausstellung mehr ausrichten. Doch ihn packte erneut der Ehrgeiz, und er entschied sich für „klein, aber fein“. Zur Geltung kommen heuer die sogenannten Faulenzerkrippen, die in einen Kasten eingebaut sind und zur Weihnachtszeit ohne Aufwand herausgeholt werden. Es blieb freilich nicht dabei. Ernst präsentiert weit mehr Objekte, sodass der Kunsthistoriker Christian Schedler sagt: „Dies ist ein Haus voller Wunder.“