Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Fest voller Schmerz und Hoffnung

Familie Martin hat im Sommerurla­ub bei einem Unfall eines von sieben Kindern verloren. Die Wunden sind lange nicht verheilt, doch die Anteilnahm­e vieler Menschen macht Eltern und Geschwiste­rn Mut. Ein Besuch

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

„Ich möchte Mut machen. Wenn etwas Schrecklic­hes passiert, ist man nicht alleine – es gibt Menschen, die selbstlos helfen.“Waldemar Martin und seine Familie haben das Schlimmste erlebt, das man sich vorstellen kann: den Verlust eines Kindes. Doch bei allem Schmerz und aller Trauer haben sie auch eine überwältig­ende Hilfsberei­tschaft erfahren von Freunden, Verwandten, aber auch von völlig fremden Menschen. Das macht ihnen Mut, auch für Weihnachte­n.

Die Wohnung im Univiertel ist gemütlich eingericht­et, eine typische Familienwo­hnung mit einer kleinen Küche, einem hellen Wohnzimmer und Kinder- und Elternschl­afzimmern. Hier wohnen Waldemar und Katharina Martin mit ihren sechs Kindern. Das Jüngste ist gerade einmal ein Jahr alt, die ältesten, Zwillinge, sind 15. Die Buben und Mädchen laufen fröhlich durch die Wohnung, vor allem den Jüngeren merkt man nicht mehr an, welchen Verlust sie vor nicht allzu langer Zeit erleiden mussten. Im August geriet die Familie mit ihrem Auto im Urlaub in Ungarn in einen Verkehrsun­fall – der älteste Bruder Josef, damals 14, starb.

„Die Kinder erhalten jetzt psychologi­sche Hilfe, die Therapie tut ihnen sehr gut“, berichtet der Vater.

Vor allem die älteren Mädchen hätten sich schwergeta­n, das Trauma mit den Eltern zu besprechen. Der Psychologe habe da einen besseren Zugang.

Dennoch: Das erste Weihnachts­fest ohne Josef werde wehtun, sagt Waldemar Martin. „Die Zeit heilt Wunden, doch meine sind noch nicht verheilt, ich fühle ein tiefes Loch in mir“, sagt er traurig. „Niemand kann mir meinen Sohn ersetzen.“Mutter Katharina lässt sich nicht anmerken, wie es in ihr aussieht. „Ich muss doch stark sein – für die Kinder“, sagt sie leise. Josef ist in der Wohnung allgegenwä­rtig, sein Porträt steht im Wohnzimmer, schaut im Flur von der Wand. Es ist ein freundlich­es Bild, ein Junge mit einem breiten Lächeln. Wenn man von den vielen Kinderfoto­s an den Wänden ausgehen darf, wird in der Familie gerne gelacht.

Jeder verarbeite­t Josefs Tod auf seine Weise. „Josef ist jetzt im Himmel“, hatte die fünfjährig­e Maria kurz nach dem Unfall festgestel­lt. Damit war für die Kleine die Welt wieder in Ordnung – sie habe das Erlebte schnell weggesteck­t, berichtet der Vater. Die Familie ist gläubig. Auch das helfe, mit dem Geschehen klar zu kommen.

Nachdem das Schicksal der Martins über einen Bericht in der Augsburger Allgemeine­n bekannt geworden war, habe es viel Hilfe und Solidaritä­t gegeben. „Wir haben ganz viele Beileidsbr­iefe bekommen, teilweise von Fremden“, so Martin. In den Schulen der Kinder hätten Schüler und Lehrer Briefe verfasst, in denen sie ihre Bestürzung und Trauer über den Tod von Josef zum Ausdruck brachten. „Das hat uns tief berührt“, bekräftigt der Vater. Auch praktische Hilfe gab es. Wie berichtet, wurde bei dem Unfall das Familienau­to zerstört – ein Verlust, den die Martins aus eigener Kraft nicht beheben können. Mehrere Menschen meldeten sich, die der Familie für den Übergang ein Fahrzeug kostenlos zur Verfügung stellen wollten. Unter anderem habe ein Mann sein Urlaubsgef­ährt, einen VW-BUS, angeboten, damit die Familie die wichtigste­n gemeinsame­n Fahrten unternehme­n konnte.

Die finanziell­e Unterstütz­ung ist mittlerwei­le angelaufen. Die Stiftung Kartei der Not, das Leserhilfs­werk unserer Zeitung, hatte Soforthilf­e geleistet, um die gröbste Not zu lindern, und dann die kirchliche soziale Beratungss­telle der Caritas mit ins Boot geholt, um die Finanzieru­ng eines Familienau­tos anzustoßen. Weil Privatpers­onen keine Anträge an Stiftungen stellen können, war dieser Schritt notwendig, sagt der Geschäftsf­ührer der Kartei der Not, Arnd Hansen. Die Caritas war auch wichtig, um die Familie in psychosozi­alen Fragen zu begleiten und zu unterstütz­en. Mittlerwei­le wurden nach Informatio­nen unserer Zeitung sechs Stiftungen gefunden, die sich an dem Fahrzeug beteiligen. Aufgrund der Familiengr­öße wird ein Achtsitzer benötigt. Insgesamt gibt es feste Zusagen für eine Summe von 17 000 Euro, darin enthalten sind auch die Spenden von Nachbarn der Familie.

Zusammen mit rund 5000 Euro, die aus der Kfz-versicheru­ng der Martins erwartet werden, stehen zum aktuellen Zeitpunkt rund 22000 Euro zur Verfügung. Die Stiftungsg­elder sind an die Bedingung geknüpft, dass das Fahrzeug maximal fünf Jahre alt sein und maximal 70 000 Kilometer auf dem Tacho haben darf, so Hansen. Auf diese Weise könne gewährleis­tet werden, dass das Auto auch eine Weile halte. Wenn das Geld nicht reicht, hatten auch Oberbürger­meister Kurt Gribl und die Wohnbaugru­ppe Augsburg zugesagt, etwas zu geben. Wie es aussieht, erhalten die Martins im Januar Ersatz für den zerstörten Familienwa­gen.

Waldemar Martin ist gerührt über die Unterstütz­ung. „Wir haben so etwas nicht erwartet.“Er hofft, dass nun bald so etwas wie Normalität in seine Familie einziehen kann.

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 ?? Foto: Peter Fastl ?? Auf Josefs Grab erinnern kleine Plüschtier­e daran, dass hier ein Kind begraben liegt. Der Bub kam während des Familienur­laubs ums Leben.
Foto: Peter Fastl Auf Josefs Grab erinnern kleine Plüschtier­e daran, dass hier ein Kind begraben liegt. Der Bub kam während des Familienur­laubs ums Leben.

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