Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Der Mensch kann sich für das Gute entscheiden“
IGASTKOMMENTAR VON STADTDEKAN HELMUT HAUG nzwischen ertappe ich mich immer mal wieder bei dem Gedanken, dass früher manches besser gewesen wäre. Als Pfarrer ist man in diesen Zeiten versucht zu klagen, dass viele nicht mehr wissen, was Weihnachten bedeutet. Aber so einfach ist es wohl nicht. Im Grunde ist die Botschaft von Weihnachten theologisch ja sehr schnell auf den Punkt gebracht: Der christliche Gott wird Mensch – mit Fleisch und Knochen, Haut und Haar.
Konkret bedeutet die Weihnachtsbotschaft, dass in der christlichen Vorstellung in jedem Menschen Gott zu entdecken ist. In jedem Menschen! Nicht nur in den Religiösen, den Frommen und den Gläubigen. Da bekommt man eine Ahnung, wie anspruchsvoll Weihnachten ist, wenn man es christlich leben möchte. Deswegen – und das müssen sich die Christen eingestehen – hat sich die Weihnachtsbotschaft in den letzten zweitausend Jahren noch so wenig durchgesetzt. Ein Blick auf die Welt oder auf unsere Gesellschaft reicht aus, um dies mit einer gewissen Ernüchterung feststellen zu müssen.
Gott ist Mensch geworden für den unscheinbaren Zimmermann Josef und die noch ledige Maria. Er ist Mensch geworden für die Hirten, die draußen leben, für die Weisen, die aus dem hintersten Orient kommen, für die alles besser wissenden Schriftgelehrten, für den grausamen Herodes, für die Soldaten, die in Bethlehem Kinder ermorden, weil es ihnen befohlen wird. Wer all diese Menschen heute sein könnten, kann man sich selbst ausmalen.
Der menschgewordene Gott hat gezeigt, was es heißt, den Menschen in seiner Würde wahrzunehmen und ihm so Ansehen zu geben. Deshalb ist er vorurteilsfrei auf alle zugegangen, hat sie durch seine Berührung geheilt, hat ihnen geholfen, ihre Schuld zu sehen, hat ihnen vergeben, einen Neuanfang geschenkt. Am Ende hat er seinen Peinigern und Mördern vergeben.
Dass in unserer Stadt in den vergangenen Wochen durch Anteilnahme so vieler zum Ausdruck gebracht wurde, wie unendlich wertvoll ein Menschenleben ist und dass jegliche Form von Gewalt im Zusammenleben nicht toleriert werden darf, zeigt etwas von den Werten der weihnachtlichen Botschaft. Dass in digitalen Netzwerken Personen aus Politik, Medien und Polizei mit Wut und Hass angegriffen werden, zeigt, wie weit entfernt wir davon sind. Ob das früher besser war, ist zu bezweifeln. Es ist der Zwiespalt, in dem sich Menschsein ereignet. Dass Anstand, Respekt vor dem anderen und die Fähigkeit, in einen konstruktiven Dialog zu treten, scheinbar immer mehr verloren gehen, ist kein Problem der jungen Generation und auch keines von kulturellen, religiösen oder sprachlichen Unterschieden. In jedem Menschen ist der Abgrund zwischen Vertrauen und Angst, zwischen Hass und Liebe. Als Christ sage ich: Weil Gott im Menschen zu finden ist, kann er sich für das Gute entscheiden. Es gilt die Botschaft des Engels – früher wie heute: Fürchtet euch nicht!