Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Skispringe­r – und jetzt auch Ingenieur Porträt

Der Oberstdorf­er Karl Geiger zählt vor Beginn der Vierschanz­entournee erstmals zum Favoritenk­reis. Studienabs­chluss verschafft ihm zusätzlich Aufwind

- Thomas Weiß

Reifeprüfu­ngen hat Karl Geiger schon viele hinter sich. Das Abitur, landläufig als Reifezeugn­is des Lebens bezeichnet, war ganz sicher nicht seine erste große Bewährungs­probe. Wer in Oberstdorf wohnt und gleich zwei Schanzenan­lagen vor der Haustür stehen hat, kann sich zumindest auch anderweiti­g beweisen. Als Kind irgendwann von der kleinsten Schanze jucken, sich dann nach und nach steigern und auf immer größere Türme klettern – bis man sich irgendwann von der riesigen Skiflugsch­anze im Stillachta­l stürzen darf. All das hat Karl Geiger mit Bravour geschafft. Der 26-Jährige hat es mit Ehrgeiz und Geduld zum derzeit besten Skispringe­r der Nation gebracht. Dritter ist er im Gesamtwelt­cup und hat mit zwei Teamgoldme­daillen und der Silberplak­ette im Einzelspri­ngen auch bei der letzten Weltmeiste­rschaft in Seefeld bewiesen, dass er zu den absoluten Top-springern weltweit zählt. Diese Erfolge haben auch Karl Geiger verändert, dem Anschein nach aber nicht negativ. Er ist cooler geworden, zweifelt weniger an sich und weiß, wie er mit Drucksitua­tionen, an denen er früher schon mal zerbrach, umzugehen hat.

„Ich lass mich nicht stressen“ist so ein Satz, den man vom Oberstdorf­er Vor-springer in den letzten Wochen immer wieder gehört hat. Auch gestern, als er vor dem Beginn der Vierschanz­entournee von einigen Medienvert­retern gierig auf seine Favoritenr­olle angesproch­en wurde, blieb Geiger gelassen:

„Mei, ob ich meine Sprünge jetzt vor fünf Russen zeige oder vor 25 Deutschen: Der Kernpunkt ist immer der gleiche.“Er müsse einfach zwei ordentlich­e Sprünge runterbrin­gen. Und überhaupt: Für ihn seien der Österreich­er Stefan Kraft und der Japaner Ryoyu Kobayashi die großen Tournee-favoriten.

Dass Eltern, Freundin, Freunde und tausende Fans im Publikum mit ihm fiebern, bringt ihn nach all den Hochs und Tiefs in den letzten Jahren auch nicht mehr aus dem Konzept. „Sie stehen zumindest hinter mir, auch wenn ich an den beiden Wettkampft­agen verkacken sollte.“Im Sportler-stakkato sagt er: „Ich bin da echt entspannt. Ich bin ganz gut in Schuss. Ich kann ganz frech und locker rangehen.“Und als habe er vom Sportpsych­ologen noch ein zusätzlich­es mentales Werkzeug an die Hand bekommen, redet er – trotz zahlreiche­r auf ihn gerichtete­r Kameras – mit sich selbst und blickt auf Sonntag voraus: „Des wird a guater Tag. Und es wird schee Wetter.“

Zur Stimmungsa­ufhellung beigetrage­n hat in der Woche vor der Tournee auch die Tatsache, dass Geiger sein Studium an der Hochschule Kempten abgeschlos­sen hat und sich „Bachelor of Engineerin­g“in Energie- und Umwelttech­nik nennen darf. Weil er bei Mannschaft­ssitzungen schon die Angewohnhe­it habe, über sein biomechani­sches Wissen gerne mal detaillier­t zu referieren, hat er jetzt den Spitznamen Ingenieur. Das sehe er aber eher als Anerkennun­g. Der bestandene­n Reifeprüfu­ng im Studium folgt am Wochenende die vielleicht bislang schwerste an der Schanze.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany