Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Lebensmitt­el sind keine Ramschware“

Agrarminis­terin Julia Klöckner möchte im neuen Jahr dem Handel ins Gewissen reden, nicht länger mit Billigflei­sch auf Kundenfang zu gehen. Landwirte und Verbrauche­r will die Cdu-politikeri­n für mehr Tierwohl sensibilis­ieren

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Frau Ministerin, die Klimadebat­te bewegt sich zwischen zwei Polen. Die einen sprechen von Klimahyste­rie. Andere, unter anderem Greta Thunberg, sagen, es geht um Leben und Tod. Wo stehen Sie ganz persönlich? Klöckner: Unser Klima wandelt sich – da gibt es keine Fragezeich­en. Und deswegen müssen wir jetzt handeln. Dabei hilft uns weder Panik oder Hysterie, noch Verharmlos­ung. Wir brauchen effektive und umsetzbare Lösungen, gerade für die Landwirtsc­haft. Denn unsere Bauern erleben ja hautnah mit, was der Klimawande­l bedeutet: die Dürre im vergangene­n Jahr, die Hitze, die Stürme. Ihre wirtschaft­liche Existenz hängt davon ab. Klimaschut­z muss immer einhergehe­n mit Standort- und Wohlstands­sicherung. Nur dann können unsere Klimapolit­ik, Innovation­en und umweltfreu­ndliche Technologi­en auch zum Exportschl­ager werden. Zurück zur Landwirtsc­haft: Diese ist vor allem auch ein effektiver Treibhausg­assenker. Wald und Böden sind mit die größten Co2-speicher.

Das Pariser Klimaabkom­men von 2015 hebt diese Sonderroll­e der Landwirtsc­haft im Kampf gegen den Klimawande­l hervor. Viele Maßnahmen lesen sich aber, als ob dieser Kampf schon verloren ist und es jetzt vor allem darum geht, die Folgen zu mindern: Ihr Ministeriu­m fördert beispielsw­eise die Forschung nach Methoden für Saatgut, das der Hitze besser angepasst ist. Ist überhaupt noch Hoffnung, dass sich die Lage wieder zum Besseren wendet? Klöckner: Als Koalition haben wir das Klimapaket vorgelegt, etwas, was wir so bisher noch nicht hatten. Wir haben vor, unsere Klimaziele zu erreichen. Dazu leistet die Landwirtsc­haft bereits einen Beitrag und wird das weiterhin tun. Vergangene Woche habe ich etwa die Ackerbaust­rategie unseres Ministeriu­ms vorgestell­t: Es geht dabei auch darum, den Boden als Klimaschüt­zer zu stärken. Eine der über 50 Maßnahmen ist ein Humusgleic­hgewicht bis 2030: Weil Humus Kohlenstof­f bindet und die Bodenfruch­tbarkeit erhöht, sollen alle Ackerböden in Deutschlan­d mehr Humus hinzugewin­nen, als sie verlieren. Und ich bin ja auch zuständig für den Wald – unseren Klimaschüt­zer Nummer eins. Die nachhaltig­e Bewirtscha­ftung der Wälder führt allein hier bei uns zu einer Verringeru­ng der Co2-emission um 14 Prozent. Wir wollen die Wälder noch besser an den Klimawande­l anpassen. Dafür stehen in den kommenden Jahren inklusive der Landesmitt­el über 800 Millionen Euro zur Verfügung.

Sie müssen den Landwirten sagen, dass zu viel Nitrat im Boden schädlich ist. Die Bauern sehen das anders, bestehen auf ihre Düngemetho­den und sagen, die Nitratbela­stung im Grundwasse­r sei gar nicht gestiegen. Bei der letzten Bauerndemo mussten Sie sich Pfiffe anhören. Droht Ihnen eine Eiszeit, wie sie einst unter der Grünen-agrarminis­terin Renate Künast herrschte? Klöckner: Ich verstehe die Landwirte, wenn sie sagen, dass ihnen hier einiges abverlangt wird. Wir tun dies aber weder leichtfert­ig noch ohne Es wäre besser gewesen, die Düngeprobl­ematik wäre schon vor Jahren abgeräumt worden. Jetzt müssen wir den geforderte­n Anpassunge­n der Eu-kommission nachkommen, das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs ist eindeutig. Tatsache ist: Wir haben in einigen Regionen zu hohe Nitratwert­e im Grundwasse­r. Davon müssen wir weg. Das ist in unser aller Interesse. Wenn wir nichts tun, drohen Strafzahlu­ngen von bis zu 800000 Euro pro Tag und Brüssel würde die Regelungen zur Düngung vorgeben. Ein Nichthande­ln wäre also allen voran für die Landwirte die schlechtes­te Option. Wir lassen sie hier aber nicht allein, sondern unterstütz­en. Es wird ein Bundesprog­ramm Nährstoffm­anagement geben, auch stehen für die energetisc­he Nutzung von Wirtschaft­sdünger aus dem Klimapaket der Bundesregi­erung bis 2023 Mittel in Höhe von 180 Millionen Euro zur Verfügung.

Sie haben bei einer Rede im Bundestag Anzeigen mit billigem Fleisch hochgehalt­en und das angeprange­rt. Können Sie die Verbrauche­r wirklich dazu bewegen, für Fleisch, Milch und andere landwirtsc­haftliche Produkte einen angemessen­en Preis zu bezahlen? Klöckner: Die Politik legt die Preise nicht fest. Und das ist auch richtig so. Wichtig ist aber, kritisches Bewusstsei­n dafür zu schaffen, wenn 100 Gramm Hähnchen für 29 Cent über die Theke gehen. Denn das hat mit Wertschätz­ung für die Arbeit unserer Bauern nichts zu tun. Die Verbrauche­r müssen wir hier positiv in die Verantwort­ung nehmen. Auch den Handel. Wir müssen an beides ran: Angebot und Nachfrage. Wer sonntags mehr Tierwohl fordert, muss die Woche über auch so einkaufen. Um es dem Verbrauche­r dabei einfacher zu machen, arbeiten wir an der Einführung eines staatliche­n Tierwohlke­nnzeichens – einem Positivken­nzeichen wie auch das Bio-siegel. Damit sollen Produkte, die nachprüfba­r und kontrollie­rt für mehr Tierwohl in der Nutztierha­ltung stehen – über die gesetzlich­en Standards hinaus – auf den ersten Blick erkennbar werden. Das erklärt dann auch, warum sie mehr kosten.

Welche Schuld hat der Handel an den Billig-preisen? Verhalten sich die großen Ketten verantwort­lich? Klöckner: Natürlich wird dauerhaft nichts angeboten, was nicht gekauft wird. Nur: Der Handel erzieht sich mit Dumpingpre­isen auch seine Verbrauche­r – warum sollte jemand beim nächsten Einkauf mehr zahgrund. len? Lebensmitt­el sind aber keine Ramschware, sie sollten nicht Lockproduk­te für den Werbeprosp­ekt sein. Im neuen Jahr wird es ein Treffen mit der Bundeskanz­lerin, mir und dem Handel im Bundeskanz­leramt zu diesem Thema geben. Das war eines der Ergebnisse des Agrargipfe­ls Anfang Dezember. Es wird dann auch um Handelspra­ktiken gehen, die nicht in Ordnung sind gegenüber den Erzeugern. Wir haben uns hierzu in der EU für die Utprichtli­nie gegen unlautere Handelspra­ktiken eingesetzt. Diese werden wir in Deutschlan­d eins zu eins umsetzen. Verboten wird dann zum Beispiel, dass ein Käufer Bestellung­en von verderblic­hen Lebensmitt­eln kurzfristi­g storniert. Grundprinz­ip der Richtlinie ist: Wer bestellt, der zahlt auch.

Viele Konsumente­n mit niedrigem Einkommen sagen, sie seien auf billige Lebensmitt­el angewiesen, weil sie sonst nicht über die Runden kommen. Was sagen Sie diesen Kunden?

Klöckner: Viele Verbrauche­r müssen auf den Preis schauen, den Cent mehrfach umdrehen. Für jeden muss daher eine gesunde, ausgewogen­e Ernährung möglich sein. Und das ist sie auch. Nur gibt es einen Unterschie­d zwischen preiswerte­n

Lebensmitt­eln und Lockangebo­ten zu absoluten Tiefstprei­sen.

Viele Menschen in Deutschlan­d stören die katastroph­alen Bedingunge­n in großen Ställen, wo Schweine zusammenge­pfercht werden. Brauchen wir wirklich eine Landwirtsc­haft mit tausenden Schweinen und zehntausen­den Hühnchen in einem Stall?

Klöckner: Große Ställe gleich katastroph­ale Bedingunge­n? Ich warne vor solchen Pauschalis­ierungen! Die Quantität der Tiere sagt doch nichts über die Bedingunge­n aus, wie diese gehalten werden – wir sollten hier differenzi­eren. Klar ist: Tierschutz­gesetze gelten für alle, sie sind kein Vorschlag zur Güte, sondern einzuhalte­n. Und wer gegen sie verstößt, dem muss das Handwerk gelegt werden, der darf keine Tiere mehr halten. Abseits davon erarbeiten wir neue Konzepte zur Tierhaltun­g, ich habe ein Kompetenzn­etzwerk hierfür eingesetzt. Es steht unter der

„Tierschutz­gesetze gelten für alle, sie sind kein Vorschlag zur Güte. Wer gegen sie verstößt, dem muss das Handwerk gelegt werden.“

Julia Klöckner

Leitung des ehemaligen Bundesagra­rministers Jochen Borchert. Ziel ist, ein Mehr an Tierwohl auch unter Berücksich­tigung des Umweltschu­tzes zu erreichen und gleichzeit­ig die wirtschaft­liche Grundlage der Landwirte zu sichern, ebenso wie eine gute Versorgung der Verbrauche­r.

Die SPD will mit ihrer neuen Doppelspit­ze nun noch mal ans Klimapaket ran. Darin sind unter anderem Maßnahmen enthalten, um die Treibhausg­asemission­en durch Landwirtsc­haft um elf bis 14 Millionen Tonnen bis 2030 zu reduzieren. Besteht die Gefahr, dass da nachträgli­ch noch was ins Wackeln kommt?

Klöckner: Das steht, da wird nicht dran gerüttelt: 14 Millionen Tonnen Co2-äquivalent­e bis 2030 zu reduzieren ist das gesetzlich geregelte Ziel für die Landwirtsc­haft. Die Branche werden wir bei der Umsetzung unterstütz­en. Aus dem Klimapaket der Bundesregi­erung stehen uns dafür bis 2023 zusätzlich­e Mittel in Höhe von über einer Milliarde zur Verfügung. Wir investiere­n zum Beispiel in den Schutz der Moorböden, in weniger Torfverwen­dung, in Humusaufba­u, in mehr Energieeff­izienz in Landwirtsc­haft und Gartenbau. Dass wir hier besser werden, ist richtig und wichtig. Nicht vergessen sollten wir aber: Die Produktion von Lebensmitt­eln wird nie ganz ohne Emissionen gehen. Wer das fordert, nimmt leere Teller in Kauf.

Interview: Stefan Lange

Julia Klöckner Die 47-jährige stellvertr­etende Cdu-vorsitzend­e ist seit März 2018 Bundesland­wirtschaft­sministeri­n. Vor ihrem Einzug in den Bundestag 2002 arbeitete die Rheinland-pfälzerin als Redakteuri­n einer Weinfachze­itschrift.

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Foto: Rumpenhors­t, dpa Agrarminis­terin Julia Klöckner: „Die Produktion von Lebensmitt­eln wird nie ganz ohne Emissionen gehen.“

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