Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie viel Strom das Internet braucht
Eu-digitalkommissarin Margrethe Vestager warnt vor dem steigenden Energiebedarf des Netzes. Inzwischen entfallen rund acht Prozent des deutschen Strombedarfs auf die IT. Besonders energieintensiv: das Streamen von Filmen
Augsburg Wer nutzt Feiertage nicht gerne, um sich auf der Couch zurückzulehnen und zum Beispiel einen Film anzusehen? Auf dem Tablet zum Beispiel, per Stream. Dazu noch Glückwunsch-mails an Freunde versehen und kurz im Onlinestadtplan raussuchen, wo das Restaurant liegt, in dem man für den Abend reserviert hat. Das Internet macht unser Leben bequemer, es ist tief im Alltag verankert. Die wenigsten Menschen machen sich aber Gedanken, wie viel Energie dabei verbraucht wird. Es ist auf jeden Fall so viel, dass die neue Digitalkommissarin der EU, Margrethe Vestager, kürzlich vor dem steigenden Stromverbrauch des Netzes warnte. „Wenn man zum Beispiel Filme im Internet-streaming ansieht, ist das sehr energieintensiv“, sagte sie. Mit der weiteren Digitalisierung könnte der Energieverbrauch sogar noch zunehmen, meinte Vestager. Wie groß aber ist der Verbrauch des Netzes wirklich? Wie groß ist sein Beitrag zur Emission von Treibhausgasen?
Einer, der den Energieverbrauch des Netzes gut abschätzen kann, ist Ralph Hintemann. Der Forscher befasst sich am Borderstep-institut seit Jahren mit dem Thema. Das Institut in Berlin forscht zum Beispiel im Auftrag der Bundesregierung. Hintemann und seine Kollegen haben sich besonders intensiv mit einem Bereich beschäftigt, der für den Stromverbrauch des Internets ausschlaggebend ist: mit den Rechenzentren.
Rechenzentren liegen meist als große Hallen am Rande der Städte und verarbeiten die Informationen, welche wir aus dem Internet abrufen. Für das Verarbeiten und Speichern von Daten brauchen sie den größten Teil des Stroms. Dazu muss Energie für die Kühlung aufgewendet werden, berichtet Hintemann. Und auch das Sicherstellen einer Energieversorgung im Notfall frisst Strom. Hintemann und sein Team haben berechnet, dass die rund 50000 Rechenzentren in Deutschland im Jahr 2018 geschätzte 14 Terawattstunden an Energie verbraucht haben. Das sind 14 Milliarden Kilowattstunden und entspricht mehr als dem Jahresstromverbrauch der Stadt Berlin, berichtet Hintemann. Vergleichbar ist die Menge auch mit der Energie, die vier mittlere Kohlekraftwerke in einem Jahr erzeugen oder mit der deutschen Stromerzeugung der Offshorewindräder in Nord- und Ostsee.
Und ein Ende der Entwicklung ist vorerst nicht in Sicht: „Trotz deutlicher Effizienzgewinne wird der Energie- und Ressourcenbedarf der Rechenzentren in Deutschland bis 2030 voraussichtlich um mehr als 50 Prozent steigen“, meint Hintemann.
Doch die Rechenzentren sind längst nicht der einzige Faktor, der für den Energieverbrauch des Internets verantwortlich ist.
Neben den Rechenzentren fressen auch die Netze Energie. „Die Telekommunikationsnetze verbinden die Rechenzentren untereinander und mit den Nutzern – jeder Mobilfunkanschluss muss zum Beispiel über ein Netz erreicht werden“, sagt Hintemann. Das Borderstep-institut schätzt, dass die Netze in Deutschland rund die Hälfte der Energiemenge benötigen, die für die Rechenzentren anfällt. Aktuell kommen damit für die deutschen Telekommunikationsnetze weitere sieben Terawattstunden hinzu. Und schließlich benötigen noch die Geräte, mit denen die Nutzer ins Internet gehen, jede Menge Energie.
Smartphones müssen geladen werden, Computer hängen am Stromnetz. „Der Verbrauch der Endgeräte liegt nochmals deutlich über dem der Rechenzentren“, sagt Hintemann. Sein Institut war im Jahr 2015 zusammen mit dem Fraunhofer IZM aus Berlin an einer umfangreichen Studie für das Bundeswirtschaftsministerium beteiligt, in der dieser Stromverbrauch bestimmt wurde. Bezogen auf das Jahr 2020 berechneten die Forscher einen Verbrauch von rund 21,8 Terawattstunden für den Betrieb von Laptop & Co. in Deutschland.
Zählt man alles zusammen – Rechenzentren, Netze und Endgeräte –, liegt der Strombedarf des Internets in Deutschland damit in einer Größenordnung von rund 43 Terawattstunden. „Wir gehen davon aus, dass rund acht Prozent des deutschen Stromverbrauchs für Informationsund Kommunikationstechnologie aufgewendet werden“, sagt der Experte.
Wie stark belastet aber nun ein gestreamter Film, ja ein einzelner Klick im Netz die Umwelt wirklich? Der Energieversorger Eon hat dazu einige Daten gesammelt. Demnach benötigt das Streamen einer Stunde Netflix in Full-hd-auflösung rund drei Gigabyte Daten. Gehe man davon aus, dass pro Gigabyte Datenverkehr 0,006 Kilowattstunden verbraucht würden, könnte man mit der Energie des Streamens zum Beispiel eine 30-Watt-lampe 36 Minuten brennen lassen.
Aufmerksamkeit erregt auch immer wieder die Zahl, dass eine Google-suchanfrage 0,003 Kilowattstunden benötigt, wie die Sunday
Times im Jahr 2009 schrieb. Google korrigierte die Zahl später auf 0,0003 Kilowattstunden, berichtet Eon. „Ich rate aber dazu, diese Zahlen mit äußerster Vorsicht zu genießen, da sie mittlerweile sehr alt sind“, sagt Hintemann. Denn zehn Jahre sind für die IT praktisch eine Ewigkeit.
Auch über den Stromverbrauch des Internets weltweit gehen die Daten auseinander. „In internationalen Studien schwanken die Zahlen sehr stark“, sagt Forscher Hintemann. Die Internationale Energieagentur IEA schreibt zum Beispiel, dass die Rechenzentren weltweit im Jahr 2018 auf einen Energieverbrauch von geschätzten 198 Terawattstunden kommen – was einem Prozent des weltweiten Strombedarfs entspreche. Andere Studien liegen deutlich über diesen Zahlen.
Am Borderstep-institut hält man einen Energieverbrauch der weltweiten Rechenzentren zwischen 350 und 400 Terawattstunden im Jahr 2018 für realistisch. Zu den Netzen divergieren die Zahlen ebenfalls. Das Borderstep-institut geht international von 400 bis 800 Terawattstunden für den Netzbetrieb aus. „Und die Endgeräte liegen mit ihrem Verbrauch in Summe nochmals darüber“, sagt der Experte.
Unter dem Strich kommen große Energiemengen zusammen: „Die IT ist Schätzungen zufolge für rund sechs bis sieben Prozent des Strombedarfs weltweit verantwortlich“, sagt Hintemann. In einer großen Studie mit Namen „The Shift Project“haben sich französische Forscher mit der Klimabelastung des Internets beschäftigt. Das Ergebnis: Das Netz trage 3,7 Prozent zu den weltweiten Co2-emissionen bei. Bleibt die Frage, wie der Verbrauch verringert werden kann.
„Wir wollen CO2 vermeiden, deshalb muss man sich um den Energieverbrauch des Netzes als Thema kümmern“, sagt Hintemann. „Es hat sicher keinen Sinn, die It-nutzung einzuschränken, weil sie viele Vorteile bietet und smarte Technologie auch sehr dazu beitragen kann, Energie einzusparen“, argumentiert er. Eine Videokonferenz braucht am Ende zum Beispiel weniger Energie, als wenn fünf Teilnehmer zu einem Treffen nach Berlin fliegen. „Man muss das Internet aber insgesamt effizienter machen“, betont Hintemann.
Ein Ansatzpunkt: die Rechenzentren. Im Prinzip wird bei dem Rechenprozess Strom in großen Mengen in Wärme umgewandelt. Statt hierfür extra Kühlungen zu bauen, könnte die Wärme besser genutzt werden. In Stockholm beispielsweise nutzt man die Abwärme der Rechenzentren für das Nahwärmenetz. Auch in Deutschland gibt es allererste Projekte. VW Financial Services in Braunschweig speist die Abwärme des Rechenzentrums in das Nahwärmenetz eines Gewerbe- und Wohngebiets ein.
Und rentiert es sich für den Endnutzer, das Videostreaming aus Umweltschutzgründen einzuschränken? „Streaming verbraucht sicher mehr Strom, als wenn man klassisch fernsieht“, sagt Hintemann. Sein Institut hat zur Verdeutlichung einige Durchschnittswerte berechnet: Eine Stunde Videostreaming entspricht in etwa der Co2-emission von einem Kilometer Autofahren – rund 150 bis 300 Gramm. „Wer sich eine Tasse Kaffee brüht, kommt aber ebenfalls auf Co2-emissionen von 60 bis 100 Gramm“, vergleicht Hintemann.
Tatsache aber sei, dass die Verbraucher heute viel mehr Streaming-dienste und kurze Videos zum Beispiel auf Facebook sehen als früher. „70 Prozent des Internetverkehrs entfallen heute auf Videos“, berichtet der Forscher.
Jedes Video hinterlässt also einen kleinen Co2-fußabdruck. Auch wenn man diesen zu Hause, auf dem Sofa, nicht sieht.