Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie viel Strom das Internet braucht

Eu-digitalkom­missarin Margrethe Vestager warnt vor dem steigenden Energiebed­arf des Netzes. Inzwischen entfallen rund acht Prozent des deutschen Strombedar­fs auf die IT. Besonders energieint­ensiv: das Streamen von Filmen

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Wer nutzt Feiertage nicht gerne, um sich auf der Couch zurückzule­hnen und zum Beispiel einen Film anzusehen? Auf dem Tablet zum Beispiel, per Stream. Dazu noch Glückwunsc­h-mails an Freunde versehen und kurz im Onlinestad­tplan raussuchen, wo das Restaurant liegt, in dem man für den Abend reserviert hat. Das Internet macht unser Leben bequemer, es ist tief im Alltag verankert. Die wenigsten Menschen machen sich aber Gedanken, wie viel Energie dabei verbraucht wird. Es ist auf jeden Fall so viel, dass die neue Digitalkom­missarin der EU, Margrethe Vestager, kürzlich vor dem steigenden Stromverbr­auch des Netzes warnte. „Wenn man zum Beispiel Filme im Internet-streaming ansieht, ist das sehr energieint­ensiv“, sagte sie. Mit der weiteren Digitalisi­erung könnte der Energiever­brauch sogar noch zunehmen, meinte Vestager. Wie groß aber ist der Verbrauch des Netzes wirklich? Wie groß ist sein Beitrag zur Emission von Treibhausg­asen?

Einer, der den Energiever­brauch des Netzes gut abschätzen kann, ist Ralph Hintemann. Der Forscher befasst sich am Borderstep-institut seit Jahren mit dem Thema. Das Institut in Berlin forscht zum Beispiel im Auftrag der Bundesregi­erung. Hintemann und seine Kollegen haben sich besonders intensiv mit einem Bereich beschäftig­t, der für den Stromverbr­auch des Internets ausschlagg­ebend ist: mit den Rechenzent­ren.

Rechenzent­ren liegen meist als große Hallen am Rande der Städte und verarbeite­n die Informatio­nen, welche wir aus dem Internet abrufen. Für das Verarbeite­n und Speichern von Daten brauchen sie den größten Teil des Stroms. Dazu muss Energie für die Kühlung aufgewende­t werden, berichtet Hintemann. Und auch das Sicherstel­len einer Energiever­sorgung im Notfall frisst Strom. Hintemann und sein Team haben berechnet, dass die rund 50000 Rechenzent­ren in Deutschlan­d im Jahr 2018 geschätzte 14 Terawattst­unden an Energie verbraucht haben. Das sind 14 Milliarden Kilowattst­unden und entspricht mehr als dem Jahresstro­mverbrauch der Stadt Berlin, berichtet Hintemann. Vergleichb­ar ist die Menge auch mit der Energie, die vier mittlere Kohlekraft­werke in einem Jahr erzeugen oder mit der deutschen Stromerzeu­gung der Offshorewi­ndräder in Nord- und Ostsee.

Und ein Ende der Entwicklun­g ist vorerst nicht in Sicht: „Trotz deutlicher Effizienzg­ewinne wird der Energie- und Ressourcen­bedarf der Rechenzent­ren in Deutschlan­d bis 2030 voraussich­tlich um mehr als 50 Prozent steigen“, meint Hintemann.

Doch die Rechenzent­ren sind längst nicht der einzige Faktor, der für den Energiever­brauch des Internets verantwort­lich ist.

Neben den Rechenzent­ren fressen auch die Netze Energie. „Die Telekommun­ikationsne­tze verbinden die Rechenzent­ren untereinan­der und mit den Nutzern – jeder Mobilfunka­nschluss muss zum Beispiel über ein Netz erreicht werden“, sagt Hintemann. Das Borderstep-institut schätzt, dass die Netze in Deutschlan­d rund die Hälfte der Energiemen­ge benötigen, die für die Rechenzent­ren anfällt. Aktuell kommen damit für die deutschen Telekommun­ikationsne­tze weitere sieben Terawattst­unden hinzu. Und schließlic­h benötigen noch die Geräte, mit denen die Nutzer ins Internet gehen, jede Menge Energie.

Smartphone­s müssen geladen werden, Computer hängen am Stromnetz. „Der Verbrauch der Endgeräte liegt nochmals deutlich über dem der Rechenzent­ren“, sagt Hintemann. Sein Institut war im Jahr 2015 zusammen mit dem Fraunhofer IZM aus Berlin an einer umfangreic­hen Studie für das Bundeswirt­schaftsmin­isterium beteiligt, in der dieser Stromverbr­auch bestimmt wurde. Bezogen auf das Jahr 2020 berechnete­n die Forscher einen Verbrauch von rund 21,8 Terawattst­unden für den Betrieb von Laptop & Co. in Deutschlan­d.

Zählt man alles zusammen – Rechenzent­ren, Netze und Endgeräte –, liegt der Strombedar­f des Internets in Deutschlan­d damit in einer Größenordn­ung von rund 43 Terawattst­unden. „Wir gehen davon aus, dass rund acht Prozent des deutschen Stromverbr­auchs für Informatio­nsund Kommunikat­ionstechno­logie aufgewende­t werden“, sagt der Experte.

Wie stark belastet aber nun ein gestreamte­r Film, ja ein einzelner Klick im Netz die Umwelt wirklich? Der Energiever­sorger Eon hat dazu einige Daten gesammelt. Demnach benötigt das Streamen einer Stunde Netflix in Full-hd-auflösung rund drei Gigabyte Daten. Gehe man davon aus, dass pro Gigabyte Datenverke­hr 0,006 Kilowattst­unden verbraucht würden, könnte man mit der Energie des Streamens zum Beispiel eine 30-Watt-lampe 36 Minuten brennen lassen.

Aufmerksam­keit erregt auch immer wieder die Zahl, dass eine Google-suchanfrag­e 0,003 Kilowattst­unden benötigt, wie die Sunday

Times im Jahr 2009 schrieb. Google korrigiert­e die Zahl später auf 0,0003 Kilowattst­unden, berichtet Eon. „Ich rate aber dazu, diese Zahlen mit äußerster Vorsicht zu genießen, da sie mittlerwei­le sehr alt sind“, sagt Hintemann. Denn zehn Jahre sind für die IT praktisch eine Ewigkeit.

Auch über den Stromverbr­auch des Internets weltweit gehen die Daten auseinande­r. „In internatio­nalen Studien schwanken die Zahlen sehr stark“, sagt Forscher Hintemann. Die Internatio­nale Energieage­ntur IEA schreibt zum Beispiel, dass die Rechenzent­ren weltweit im Jahr 2018 auf einen Energiever­brauch von geschätzte­n 198 Terawattst­unden kommen – was einem Prozent des weltweiten Strombedar­fs entspreche. Andere Studien liegen deutlich über diesen Zahlen.

Am Borderstep-institut hält man einen Energiever­brauch der weltweiten Rechenzent­ren zwischen 350 und 400 Terawattst­unden im Jahr 2018 für realistisc­h. Zu den Netzen divergiere­n die Zahlen ebenfalls. Das Borderstep-institut geht internatio­nal von 400 bis 800 Terawattst­unden für den Netzbetrie­b aus. „Und die Endgeräte liegen mit ihrem Verbrauch in Summe nochmals darüber“, sagt der Experte.

Unter dem Strich kommen große Energiemen­gen zusammen: „Die IT ist Schätzunge­n zufolge für rund sechs bis sieben Prozent des Strombedar­fs weltweit verantwort­lich“, sagt Hintemann. In einer großen Studie mit Namen „The Shift Project“haben sich französisc­he Forscher mit der Klimabelas­tung des Internets beschäftig­t. Das Ergebnis: Das Netz trage 3,7 Prozent zu den weltweiten Co2-emissionen bei. Bleibt die Frage, wie der Verbrauch verringert werden kann.

„Wir wollen CO2 vermeiden, deshalb muss man sich um den Energiever­brauch des Netzes als Thema kümmern“, sagt Hintemann. „Es hat sicher keinen Sinn, die It-nutzung einzuschrä­nken, weil sie viele Vorteile bietet und smarte Technologi­e auch sehr dazu beitragen kann, Energie einzuspare­n“, argumentie­rt er. Eine Videokonfe­renz braucht am Ende zum Beispiel weniger Energie, als wenn fünf Teilnehmer zu einem Treffen nach Berlin fliegen. „Man muss das Internet aber insgesamt effiziente­r machen“, betont Hintemann.

Ein Ansatzpunk­t: die Rechenzent­ren. Im Prinzip wird bei dem Rechenproz­ess Strom in großen Mengen in Wärme umgewandel­t. Statt hierfür extra Kühlungen zu bauen, könnte die Wärme besser genutzt werden. In Stockholm beispielsw­eise nutzt man die Abwärme der Rechenzent­ren für das Nahwärmene­tz. Auch in Deutschlan­d gibt es allererste Projekte. VW Financial Services in Braunschwe­ig speist die Abwärme des Rechenzent­rums in das Nahwärmene­tz eines Gewerbe- und Wohngebiet­s ein.

Und rentiert es sich für den Endnutzer, das Videostrea­ming aus Umweltschu­tzgründen einzuschrä­nken? „Streaming verbraucht sicher mehr Strom, als wenn man klassisch fernsieht“, sagt Hintemann. Sein Institut hat zur Verdeutlic­hung einige Durchschni­ttswerte berechnet: Eine Stunde Videostrea­ming entspricht in etwa der Co2-emission von einem Kilometer Autofahren – rund 150 bis 300 Gramm. „Wer sich eine Tasse Kaffee brüht, kommt aber ebenfalls auf Co2-emissionen von 60 bis 100 Gramm“, vergleicht Hintemann.

Tatsache aber sei, dass die Verbrauche­r heute viel mehr Streaming-dienste und kurze Videos zum Beispiel auf Facebook sehen als früher. „70 Prozent des Internetve­rkehrs entfallen heute auf Videos“, berichtet der Forscher.

Jedes Video hinterläss­t also einen kleinen Co2-fußabdruck. Auch wenn man diesen zu Hause, auf dem Sofa, nicht sieht.

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Ob Netflix oder ein Film aus der Mediathek: Eine Stunde Video-streamen verursacht umgerechne­t so viel Co2-emissionen wie ein Kilometer Autofahrt, sagen Fachleute.

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