Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Ich wollte nie nach Hollywood“
Die Regisseurin und Oscar-preisträgerin Caroline Link spricht über ihren neuen Film „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“und über ihre Drehort-arbeit mit Kindern
Es könnte doch eine schöne Tradition werden, das Jahr mit einem herausragenden Film von Ihnen ausklingen zu lassen – wie jetzt mit „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. Das Tempo kann aber keine Regisseurin, kein Regisseur durchhalten, oder? Caroline Link: Es wäre viel zu anstrengend, jedes Jahr einen Kinofilm zu drehen. Nach Abschluss eines Films brauche ich Zeit, um genau zu überlegen, welchen Stoff ich als Nächstes angehen möchte.
Der Roman von Judith Kerr erschien 1971 und gewann 1974 den Deutschen Jugendliteraturpreis. Wann haben Sie ihn das erste Mal gelesen?
Caroline Link: In der fünften oder sechsten Klasse in Bad Nauheim. Ich war Judith Kerr damals sehr dankbar, dass sie die jugendlichen Leser nicht schockieren wollte. Sie hat mir am Telefon erzählt, dass sie die Jahre der Flucht als die schönste Zeit ihres Lebens in Erinnerung hatte, weil die in Berlin viel beschäftigten Eltern nun Zeit für die Kinder hatten und sich die Familie sehr nahe war. Offensichtlich haben die Eltern die Sorgen und Nöte gut vor den Kindern verborgen. Außerdem hatten die Kerrs Deutschland so früh verlassen, dass sie die extremen Formen der Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens nicht durchleiden mussten.
Hatte Judith Kerr, die im Mai dieses Jahres in London verstarb, noch ein inhaltliches Mitspracherecht? Caroline Link: Wir sollten dem Geist ihrer Erinnerungen treu bleiben. Vor allem war ihr das Andenken an ihren Vater wichtig. Alfred Kerr war ein gefürchteter, durchaus umstrittener Geist, der scharfzüngig Theater-karrieren vernichten konnte. Für sie war er nicht der Kritiker, sondern der Papa, den sie sehr liebte.
Ganz haben Sie seine berufliche Passion aber nicht ausgelassen? Caroline Link: Nein. Ich finde Alfred Kerr eine sehr interessante Figur, und das meine ich nicht negativ. Ich wollte, dass man im Film spürt, dass er ein brillanter Geist war und auch ein wenig eitel. Ihm hat die Sprachlosigkeit im Exil sehr zugesetzt.
Ist es Zufall, dass die Anna im Film stark dem Mädchen aus „Pünktchen & Anton“ähnelt?
Caroline Link: Sicher nicht. Beides sind quirlige, warmherzige Mädchen, kraftvolle, optimistische Wesen, kleine Pippi Langstrumpfs und sehr tough. Ich mag sie sehr.
Schon für Ihr Debüt „Jenseits der Stille“arbeiteten Sie mit Kindern und Jugendlichen. Wann haben Sie diese besondere Begabung entdeckt? Caroline Link: Für mich stand früh fest, dass ich beruflich was mit Kindern machen will. Ursprünglich wollte ich Kinderpsychotherapeutin werden. Heute sind Kinder am Drehort für mich kein Problem. Ich erkläre ihnen genau, was ich mir von ihnen wünsche. Wenn wir über Körperhaltung oder Betonungen sprechen, rutschen sie in die Gefühle ihrer Figuren tatsächlich hinein. Durch die äußerliche Ansprache stellt sich eine innere Haltung ein. Bei ihnen erfolgt die Arbeit mit Gefühlen von außen nach innen, während man mit Erwachsenen eher von innen nach außen arbeitet.
Haben Sie je daran gedacht, mit Ihrer Tochter zu drehen?
Caroline Link: Die Schauspielerei interessiert Pauline null. Sie verfolgt, was ihre Eltern machen, verspürte aber niemals das Bedürfnis, selbst vor der Kamera zu stehen. Wir haben sie auch nie unter Druck gesetzt. Ich sage auch allen Eltern, dass der Dreh mit mir ein Abenteuer für einen Sommer ist. Keiner sollte damit zu große Erwartungen verbinden.
Warum haben Sie sich nach „Nirgendwo in Afrika“erneut für eine Fluchtgeschichte entschieden? Caroline Link: Ich hätte nie die Initiative selbst ergriffen, nochmals den Blick auf den Nationalsozialismus aus dem Exil zu erzählen. Beides sind starke Familiengeschichten, in denen außergewöhnliche Mädchen an die Flucht erinnern. Die Filme setzen aber unterschiedliche Schwerpunkte. „Nirgendwo in Afrika“beschrieb eine Ehekrise, im „Rosa Kaninchen“stehen die Eltern eher am Rande.
Sind Sie erschrocken, wie aktuell der Film nach den antisemitischen Übergriffen in diesem Jahr ist?
Caroline Link: Wenn sich Juden in Berlin nicht mehr mit einer Kippa auf die Straße trauen, erfüllt mich dies ebenso wie die hasserfüllten Kommentare unter unserem Trailer mit großer Sorge. Die Kerrs waren nie religiös, sie waren so deutsch, wie man nur deutsch sein kann. Antisemitismus ist für mich absolut irrational. Man muss sich fragen, woher der Hass in der Gesellschaft kommt.
Ist der Antisemitismus wieder salonfähig?
Caroline Link: Anfällig für solch fremdenfeindliche Parolen sind frustrierte und wütende Menschen, die sich zu kurz gekommen fühlen. Sie suchen nach einfachen Antworten und einem Schuldigen. Im Osten fühlen sich sehr viele Menschen entwertet und betrogen. Wir müssen genau hingucken, warum sich diese Menschen auf der Verliererseite einordnen. Es reicht nicht, ihnen zu sagen: ,Was du fühlst, ist falsch.‘ Wenn jemand Frust und Wut empfindet, bewirken Moralpredigten eher das Gegenteil.
Werden Sie sich jetzt wieder der Gegenwart zuwenden?
Caroline Link: Die Zeit ist für mich kein Kriterium. Ich suche nach guten Geschichten und vor allem interessanten Figuren, die sich mit wesentlichen Herausforderungen konfrontiert sehen.
Ist es für Sie noch ein Wermutstropfen, dass es nichts mit einer Karriere in Hollywood wurde?
Caroline Link: Ich habe das nie bedauert. Die Filme, die ich machen kann und die ich machen will, kann ich auch hier drehen. Tief in meinem Herzen wollte ich nie nach Hollywood. Ich wollte nicht umziehen, meine Tochter war damals noch ein Säugling. Ich verspürte nur die allgemeine Erwartung, die mich unter Druck setzte, nach dem Oscar dort Karriere zu machen.
Interview: K. Dockhorn/ricore
Caroline Link, 1964 in Bad Nauheim geboren, hat 2003 mit „Nirgendwo in Afrika“den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewonnen. Sie ist mit Regisseur Dominik Graf verheiratet.