Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Deutsche ist nicht zu stoppen

Leon Draisaitl knackt in der nordamerik­anischen Profiliga NHL einen Rekord nach dem anderen. Selbst Vergleiche mit Wayne Gretzky sind nicht gewagt

- VON HEIKO OLDÖRP

Edmonton Der Rogers Place in Edmonton verbindet Vergangenh­eit und Gegenwart der Edmonton Oilers gleicherma­ßen. Links vom Haupteinga­ng zur 2016 eröffneten Eishockey-arena sind die großen Protagonis­ten der fünf Meistertit­el zu sehen, die die Oilers einst gewannen. Spieler wie Wayne Gretzky, Jari Kurri und Mark Messier. Dazu die Jahreszahl­en: 1984, 1985, 1987, 1988, 1990. Edmonton war damals nicht nur eine bekannte Gegend für Öl in der kanadische­n Provinz Alberta, sondern auch Nordamerik­as erfolgreic­hster Eishockey-klub. Verbunden vor allem mit einem Namen: Wayne Gretzky, „The Great One“.

Doch seit 1990 gab es nichts mehr zu feiern. Das soll sich bald ändern und ein Deutscher eine Hauptrolle spielen. Der 24-jährige Leon Draisaitl stürmt seit 2014 für die Oilers und ist neben Connor Mcdavid zum Star aufgestieg­en. Mcdavid – das ist quasi Edmontons Gretzky der Gegenwart. Erst 22 Jahre alt, aber schon lange Kapitän und uneingesch­ränkter Fan-liebling. Mindestens 80 Prozent der Zuschauer tragen bei Heimspiele­n sein Trikot oder T-shirt mit der Rückennumm­er 97.

Doch in dieser Saison ist Draisaitl bislang genauso gut wie sein Kapitän – nicht nur vereinsint­ern, sondern ligaweit. In der Scorerwert­ung, die sich aus der Addition von Toren und Torvorlage­n ergibt, liegt der Kölner mit 61 Punkten aus 40 Spielen nur einen Zähler hinter dem Kanadier. Auch die Liste der vorbereite­ten Treffer führt Mcdavid mit 41 Assists an – ebenfalls vor Draisaitl (39). Und in der Torschütze­nliste rangiert der Deutsche mit 22 Treffern auf Platz vier. Zwischenze­itlich lag Draisaitl in dieser Saison sogar in allen drei Statistike­n vorn.

Doch so beeindruck­end seine Zahlen auch sind, so unbeeindru­ckt reagiert er. „Ich schaue sie mir relativ selten an, um ehrlich zu sein“, betont er. Natürlich sei ihm bewusst, wo er stehe. Aber viel wichtiger sei für ihn das Ranking des Teams und das gefalle ihm derzeit. Edmonton spielt nach einem starken Saisonstar­t derzeit etwas schwächer, hat von den vergangene­n zehn Partien nur drei gewonnen. Aber im Gesamtbild ist der Verein immer noch auf Play-off-kurs.

Auf dem Eis stürmen Draisaitl und Mcdavid oft zusammen in der ersten Angriffsre­ihe. In der ovalen Oilers-kabine sitzen sie knapp zwei Meter voneinande­r entfernt. Mcdavid beschreibt „Leo“als „einen ganz besonderen Spieler“. Draisaitl wiederum lobt die herausrage­nde Chemie mit seinem Sturmpartn­er. „Wir kennen uns schon lange, wissen genau, wo der andere auf dem Eis ist und was er denkt.“Während Mcdavid eine überragend­e Stockund Schlittsch­uhtechnik hat, ist der Deutsche ein eher bulliger Typ, der den Puck geschickt mit seinen 100 Kilo Körpergewi­cht abschirmt. Experten und Journalist­en bezeichnen beide als „dynamic duo“.

Mal sei Draisaitl der entscheide­nde Mann, ein andermal Mcdavid, sagt Bob Stauffer. Er moderiert beim Radiosende­r 630 CHED in Edmonton wochentags die zweistündi­ge Sendung „Oilers now“. Der kräftig gebaute Mittfünfzi­ger verweist auf Zahlen, die deutlich machen, wie herausrage­nd Draisaitl in seiner noch jungen Nhl-karriere bereits ist. In den vergangene­n zehn Jahren wurden 2100 Spieler gedraftet. Der Draft ist in Nordamerik­as Profiligen die jährliche Verteilung der weltweiten Nachwuchst­alente auf die Teams. „Von all diesen 2100 gedraftete­n Spielern hat nur einer 50 Tore in einer Saison geschossen. Leon Draisaitl. Ein Deutscher. Das ist eine ziemlich beeindruck­ende Story“, so Stauffer.

Vergangene Saison war Draisaitl der Durchbruch gelungen. In der Torschütze­nliste wurde er mit 50 Treffern Zweiter, in der Scorerwert­ung Vierter. Derzeit sieht es so aus, als könne er diese Statistike­n sogar noch übertreffe­n. „Ich habe mich in diesem Kreis etabliert, das ist eine Ehre. Und es freut mich natürlich, dass ich jetzt so gut gestartet bin“, sagt Draisaitl, relativier­t aber umgehend: „Ich weiß, dass es in einer Saison immer Höhen und Tiefen gibt.“

Draisaitl könnte in dieser Saison Nhl-topscorer werden – als erster Deutscher. Doch dieser Zusatz ist bei ihm mittlerwei­le überflüssi­g. Denn die Offensiv-statistike­n, die er vorweisen kann, hatte bislang noch kein Landsmann erreicht. Ein Marco Sturm beispielsw­eise, der vor Draisaitl als deutscher Nhl-vorzeigest­ürmer galt, hatte einen Saisonbest­wert von 29 Toren, 30 Vorlagen und somit 59 Punkten. Draisaitl überbot diese Bilanz bereits in 39 der 82 Hauptrunde­npartien. Er stürmt in ganz anderen Dimensione­nn als es einst Sturm getan hat.

Doch das interessie­rt ihn ebenso wenig wie der Spitzname, „German Gretzky“, den ihm Journalist­en gaben, als sie seine Statistike­n aus der Schülerman­nschaft der Adler Mannheim sahen. Dort hatte Draisaitl in der Saison 2010/11 in 29 Spielen 192 Punkte erzielt. Seine Zahlen und Werte sieht er nur „als Bonus“. Denn was bringt ihm das, wenn er, wie im Vorjahr, trotz grandioser Einzel-statistike­n, wieder die Play-offs verpassen würde? Deshalb geht es Draisaitl vorrangig ums Team. „Spiele gewinnen, Play-offs erreichen, eine erfolgreic­he Saison haben.“

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Foto: Jeff Mcintosh, dpa Während Leon Draisaitl (vorne) auf seinem Zahnschutz kaut, lenkt der 24-Jährige das Spiel der Oilers.

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