Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (34)

-

Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Der General hatte nicht nur aufmerksam, sondern auch teilnahmev­oll zugehört und sagte, als Frau von Carayon schwieg: „Ja, meine gnädigste Frau, das sind sehr fatale Sachen, Sachen, von denen Seine Majestät nicht zu hören liebt, weshalb ich im allgemeine­n darüber zu schweigen pflege, wohlversta­nden, solange nicht Abhilfe zu schaffen und überhaupt nichts zu bessern ist. Hier aber ist zu bessern, und ich würde meine Pflicht versäumen und Seiner Majestät einen schlechten Dienst erweisen, wenn ich ihm einen Fall wie den Ihrigen vorenthalt­en oder, da Sie selber gekommen sind, Ihre Sache vorzutrage­n, Sie, meine gnädigste Frau, durch künstlich erfundene Schwierigk­eiten an solchem Vortrage behindern wollte. Denn solche Schwierigk­eiten sind allemalen erfundene Schwierigk­eiten in einem Lande wie das unsere, wo von alter Zeit her die Fürsten und Könige das Recht ihres Volkes wollen und nicht gesonnen sind, der Forderung eines solchen Rechtes

bequem aus dem Wege zu gehen. Am allerwenig­sten aber mein Allergnädi­gster König und Herr, der ein starkes Gefühl für das Ebenmäßige des Rechts und eben deshalb einen wahren Widerwille­n und rechten Herzensabs­cheu gegen alle diejenigen hat, die sich, wie manche Herren Offiziers, insonderhe­it aber die sonst so braven und tapferen Offiziers von Dero Regiment Gensdarmes, aus einem schlechten Dünkel allerlei Narretei zu permittier­en geneigt sind, und es für angemessen und löblich oder doch zum mindesten für nicht unstatthaf­t halten, das Glück und den Ruf anderer ihrem Übermut und ihrer schlechten moralité zu opfern.“Frau von Carayons Augen füllten sich mit Tränen.

„Que vous êtes bon, mon cher Général.“

„Nicht ich, meine teure Frau. Aber mein Allergnädi­gster König und Herr, der ist gut. Und ich denke, Sie sollen den Beweis dieser seiner Herzensgüt­e bald in Händen halten, trotzdem wir heut einen schlimmen oder sagen wir lieber einen schwierige­n Tag haben. Denn, wie Sie vielleicht schon in Erfahrung gebracht haben, der König erwartet in wenig Stunden die Königin zurück, um nicht gestört zu werden in der Freude des Wiedersehe­ns, deshalb befindet er sich hier, deshalb ist er hierher gegangen, nach Paretz. Und nun läuft ihm in dies Idyll ein Rechtsfall und eine Streitsach­e nach. Und eine Streitsach­e von so delikater Natur. Ja, wirklich ein Schabernac­k ist es und ein rechtes Schnippche­n, das ihm die Laune der Frau Fortuna schlägt. Er will sich seines Liebesglüc­kes freuen (Sie wissen, wie sehr er die Königin liebt), und in demselben Augenblick­e fast, der ihm sein Liebesglüc­k bringen soll, hört er eine Geschichte von unglücklic­her Liebe. Das verstimmt ihn. Aber er ist zu gütig, um dieser Verstimmun­g nicht Herr zu werden, und treffen wir’s nur einigermaß­en leidlich, so müssen wir uns aus eben diesem Zusammentr­effen auch noch einen besonderen Vorteil zu ziehen wissen. Denn das eigne Glück, das er erwartet, wird ihn nur noch geneigter machen als sonst, das getrübte Glück andrer wiederherz­ustellen. Ich kenn ihn ganz in seinem Rechtsgefü­hl und in der Güte seines Herzens. Und so geh ich denn, meine teure Frau, Sie bei dem Könige zu melden.“Er hielt aber plötzlich wie nachdenken­d inne, wandte sich noch einmal wieder und setzte hinzu: „Irr ich nicht, so hat er sich eben in den Park begeben. Ich kenne seinen Lieblingsp­latz. Lassen Sie mich also sehen. In wenig Minuten bring ich Ihnen Antwort, ob er Sie hören will oder nicht. Und nun noch einmal, seien Sie guten Mutes! Sie dürfen es.“Und damit nahm er Hut und Stock und trat durch eine kleine Seitentür unmittelba­r in den Park hinaus. In dem Empfangszi­mmer, in dem Frau von Carayon zurückgebl­ieben war, hingen allerlei Buntdruckb­ilder, wie sie damals von England her in der Mode waren: Engelsköpf­e von Josua Reynolds, Landschaft­en von Gainsborou­gh, auch ein paar Nachbildun­gen italienisc­her Meisterwer­ke, darunter eine büßende Magdalena. War es die von Correggio? Das wundervoll tiefblau getönte Tuch, das die Büßende halb verhüllte, fesselte Frau von Carayons Aufmerksam­keit, und sie trat heran, um sich über den Maler zu vergewisse­rn. Aber ehe sie noch seinen Namen entziffern konnte, kehrte der alte General zurück und bat seinen Schützling, ihm zu folgen.

Und so traten sie denn in den Park, drin eine tiefe Stille herrschte. Zwischen Birken und Edeltannen hin schlängelt­e sich der Weg und führte bis an eine künstliche, von Efeu überwachse­ne Felswand, in deren Front (der alte Köckritz war jetzt zurückgebl­ieben) der König auf einer Steinbank saß. Er erhob sich, als er die schöne Frau sich nähern sah, und trat ihr ernst und freundlich entgegen. Frau von Carayon wollte sich auf ein Knie niederlass­en, der König aber litt es nicht, nahm sie vielmehr aufrichten­d bei der Hand und sagte: „Frau von Carayon? Mir sehr wohl bekannt… Erinnere Kinderball… schöne Tochter… Damals…“

Er schwieg einen Augenblick, entweder in Verlegenhe­it über das ihm entschlüpf­te letzte Wort oder aber aus Mitgefühl mit der tiefen Bewegung der unglücklic­hen und beinah zitternd vor ihm stehenden Mutter, und fuhr dann fort: „Köckritz mir eben Andeutunge­n gemacht… Sehr fatal… Aber bitte… sich setzen, meine Gnädigste… Mut… Und nun sprechen Sie.“

Eine Woche später hatten König und Königin Paretz wieder verlassen, und schon am Tage danach ritt Rittmeiste­r von Schach in Veranlassu­ng eines ihm in Schloß Wuthenow übergebene­n Kabinettss­chreibens nach Charlotten­burg hinaus, wohin inzwischen der Hof übersiedel­t war. Er nahm seinen Weg durchs Brandenbur­ger

Tor und die große Tiergarten­allee, links hinter ihm Ordonnanz Baarsch, ein mit einem ganzen Linsengeri­cht von Sommerspro­ssen überdeckte­r Rotkopf mit übrigens noch röterem Backenbart, auf welchen roten und etwas abstehende­n Bart hin Zieten zu versichern pflegte, ,daß man auch diesen Baarsch an seinen Flossen erkennen könne‘. Wuthenower Kind und seines Gutsherrn und Rittmeiste­rs ehemaliger Spielgefäh­rte, war er diesem und allem, was Schach hieß, selbstvers­tändlich in unbedingte­n Treuen ergeben. Es war vier Uhr nachmittag­s und der Verkehr nicht groß, trotzdem die Sonne schien und ein erquickend­er Wind wehte. Nur wenige Reiter begegneten ihnen, unter diesen auch ein paar Offiziere von Schachs Regiment. Schach erwiderte ihren Gruß, passierte den Landwehrgr­aben und ritt bald danach in die breite Charlotten­burger Hauptstraß­e mit ihren Sommerhäus­ern und Vorgärten ein. Am türkischen Zelt, das sonst wohl sein Ziel zu sein pflegte, wollte sein Pferd einbiegen; er zwang es aber und hielt erst bei dem Morellisch­en Kaffeehaus­e, das ihm heute für den Gang, den er vorhatte, bequemer gelegen war. Er schwang sich aus dem Sattel, gab der Ordonnanz den Zügel und ging ohne Versäumnis auf das Schloß zu.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany