Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Was dämmert uns da?
Ein 16-jähriges Mädchen sitzt in einem Zug und schaut aufs Meer. Mehr zeigt dieses Foto eigentlich nicht – wenn auch in einem besonders schönen Licht.
Und doch steckt dieses vermeintlich einfache Bild am Ende dieses Jahres voller Verweise. Denn praktisch jeder weiß nun, dass dieses Mädchen Greta Thunberg heißt, 2019 nicht von ungefähr mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet und vom Time Magazine zur „Person of the Year“gewählt. Denn sie gilt als Kopf einer Bewegung, die die Jugend auch in Deutschland wöchentlich in Massen auf die Straßen gebracht hat: „Fridays for Future“. Und damit steckt in diesem Foto das ganze Ringen ums Klima, das Greta ja auch zu Gipfeltreffen reisen ließ – übers Meer dort draußen, per Boot. Dabei immer wieder auf jene Weise in Licht und Bild gesetzt, die ihr eine ikonische Anmutung verlieh.
Wer und was steckt wirklich dahinter? Fragten nicht selten Menschen, die das Mädchen, seine Rolle und die Klimabefunde kritisch sehen. Wenn sie denn fragten. Denn wie so oft in diesen Zeiten: Im Internet hagelte es eher Ausrufe, zwischen Hass und Häme. Und dass sich da auch der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten von
Amerika hervortat, einer, der von Klimaproblemen nichts wissen will und lieber Deals macht, ist ebenfalls ein Zeichen dieser Zeit. Viel mehr als um die Sache, geht es oft um Emotionen und Personen. Das zeigte sich auch, als jenes Mädchen ein halbes Jahr nach der Fahrt im Bild wieder in einem Zug saß und – statt über einen wieder mal jämmerlich gescheiterten Gipfel – über Greta und die überfüllte Deutsche Bahn „debattiert“wurde. Was dämmert uns da heran, im Welt- und im politischen Klima, während im Meer da draußen immer mehr Plastik treibt?
Aber die See und eine junge Frau: Das führt ja noch zu einem anderen
Namen. Denn 2019 stand mit Carola Rackete auch eine Kapitänin im Fokus, die mit der „Sea Watch“Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa vor dem Ertrinken bewahrte. Und die Debatten über diese „private Seenotrettung“waren Jahre nach der Flüchtlingskrise in Deutschland und Jahre vor der einer absehbaren neuen Migration durch Klimafolgen ebenso wenig von Sachlichkeit geprägt. Aber wie nüchtern ist es, wenn jene Rackete, 31, wieder an Land, ein Buch veröffentlicht, das sie gleich einen „Aufruf an die letzte Generation“nennt?
Ein Menschheitsuntergangsszenario hier – das eines Untergangs von Abend- und Deutschland dort, gut für 23 Prozent Zuspruch für einen Björn Höcke bei Landtagswahlen 2019. Ist Politik bald nur noch die Frage, welche Angst sich als breitenwirksamer herausstellt? Welche Bilder bedrohlicher wirken? Welche Wahrheit gefühlt wird? Wer im erlöschenden Licht dieses Jahres den Horizont nach Anzeichen für positive Entwicklungen absucht: Was findet der? Ein 16-jähriges Mädchen sitzt in einem Zug und schaut aufs Meer. Dämmert draußen eine neue Zeit heran?
Wir wünschen Ihnen jedenfalls einen schönen, freud- und hoffnungsvollen Jahreswechsel.