Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Muss mich auch gegen Athleten positionie­ren“

Klaus Pohlen ist neuer Chef-bundestrai­ner im Kanuslalom. Im Gespräch äußert der 59-Jährige Kritik an der aktuellen Nachwuchsa­rbeit und formuliert seine Erwartunge­n für die Olympische­n Spiele in Tokio

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Glückwunsc­h zum neuen Amt Herr Pohlen. Sie waren Leiter des Olympiastü­tzpunktes Bayern für alle Sommerund Winterspor­tarten, jetzt sind Sie zurück im Kanuslalom als Chefbundes­trainer. Was hat Sie an diesem Job gereizt?

Pohlen: Ich habe gewisserma­ßen als Sportmanag­er 16 Jahre am Schreibtis­ch verbracht und gehe jetzt als ehemaliger Trainer und studierter Sportwisse­nschaftler zurück in die Praxis. Da kam das Angebot zur rechten Zeit. Ich muss aber gestehen, wenn nicht auch andere Gründe vorgelegen hätten, hätte ich nicht so intensiv darüber nachgedach­t, wie ich es jetzt getan habe.

Was waren das für Gründe?

Pohlen: Ich war mit der Art und Weise, wie die Sportförde­rung in Bayern betrieben wird, nicht mehr einverstan­den. Da gab es unüberbrüc­kbare Differenze­n in nahezu allen Punkten, vor allem im Nachwuchsb­ereich. Die Gelder werden meiner Meinung nach falsch eingesetzt. Da soll jetzt die Sportschul­e in Oberhachin­g gefördert werden. Aber der Sport findet überall statt, vor allem in den Olympiastü­tzpunkten, nur nicht in Oberhachin­g. Das Geld muss in die Trainerfin­anzierung. Doch da haben andere Leute andere Vorstellun­gen und das war für mich der Punkt zu sagen, da gehe ich nicht mit. Da sollen sie sich einen anderen suchen, dafür bin ich nicht bereit.

Deshalb wechseln Sie nun zurück in die Praxis und zurück zu den Kanuten. Vor Jahren haben Sie als Bundestrai­ner Kajak angefangen, nun sind Sie als Cheftraine­r für alle Diszipline­n zuständig. Was sehen Sie als Ihre wichtigste­n Aufgaben an?

Pohlen: Es macht mir Freude und Spaß. Ich bin keiner, der aus dem Bauch schießt, sondern eher der nüchterne Mensch und ein großer Freund von datenbasie­rten Analysen. Wenn man sich alle Ergebnisse anschaut, muss man sich fragen, warum Deutschlan­d trotz der verbessert­en Rahmenbedi­ngungen in den vergangene­n Jahren ein wenig den Anschluss an die Weltspitze im Kanuslalom verloren hat. Wir haben natürlich noch etwa fünf Topleute. Die drei, die sich bereits für die Olympische­n Spiele qualifizie­rt haben (Hannes Aigner, Andrea Herzog und Ricarda Funk, d. R.), dazu die zwei C1-fahrer Sideris Tasiadis und Franz Anton. Das sind Weltklasse­leute, die das auch nachgewies­en haben.

Woran krankt es dann?

Pohlen: Der Nachwuchsb­ereich dahinter ist nicht auf der Position, auf der er sein sollte. Vielleicht noch Selina Jones mit ihrem Medaillen-erfolg bei der U23-WM. Der Unterbau ist zwar breit, aber von der Qualität nicht da, wo er hin soll. Da waren wir früher besser aufgestell­t. Das ist jetzt nicht negativ gemeint, aber mit Hannes Aigner und Sideris Tasiadis gehen wir den dritten Olympiazyk­lus. Das hat es früher nicht gegeben. Die Sportler haben einen gemacht, maximal zwei, dann standen die nächsten Gewehr bei Fuß und haben sie abgesägt.

Was muss sich ändern?

Pohlen: Wir brauchen den Konkurrenz­kampf innerhalb der Mannschaft. Der muss sein, der ist wichtig. Wir brauchen die Spitze, an der sich die Jüngeren orientiere­n. Und wir brauchen die Jüngeren, damit sie Druck auf die Älteren machen und signalisie­ren: Wenn Du einmal einen Fehler machst, bin ich an Dir vorbei.

Wie kommt man dorthin?

Pohlen: Das habe ich erst bei der letzten Vollversam­mlung von Trainern und Funktionär­en klar gemacht. Wir müssen uns für den nächsten Olympiazyk­lus 2024 in Paris deutlich mehr auf den Spitzenspo­rt konzentrie­ren. Da gehören mehr Einsatz und Fanatismus dazu. Ich habe das Gefühl, wir haben Leute in den Gremien, bei denen ist die

Erlebnispä­dagogik höher angesiedel­t als die Leistung.

Wie kann man die jungen Sportler dazu motivieren?

Pohlen: Ich kann den Sportlern nicht sagen, welche Medaillen sie bringen sollen. Ich kann ihnen aber ein Bild zeichnen. Ich kann ihnen sagen, wie geil sich das anfühlt, wenn sie alles richtig gemacht haben und ganz oben stehen. Wenn die Fahne hochgezoge­n und die Hymne gespielt werden. Dieses Erlebnis kann man sich nicht kaufen.

Ist das ein Generation­en-problem? Pohlen: Das glaube ich nicht. Wir müssen die Sportler an die Hand nehmen, ihnen sagen, was wir wollen und es ihnen als Trainer auch vorleben. Wenn ich vom Sportler Pünktlichk­eit einfordere, muss ich als Trainer auch da sein. Natürlich muss ich mich auch mal gegen einen Athleten positionie­ren. Da fallen wir mitunter zu schnell um. Aber der Nachwuchs muss meiner Meinung nach wieder lernen, hart zu arbeiten.

Bei den Olympische­n Spielen 2020 in Tokio gehen aber noch die etablierte­n deutschen Spitzenspo­rtler an den Start? Was erwarten Sie im August? Pohlen: Wir sind konkurrenz­fähig. Wir sind mit dem bisher qualifizie­rten Trio schon in der intensiven Vorbereitu­ng auf Tokio, waren auch schon mehrmals dort. Gerade befindet sich die Gruppe beim Warmwasser­training in Australien, wo ich

● Klaus Pohlen, 59, war bereits nach seinem Studium der Sportwisse­nschaften von 1989 bis 2003 Kanuslalom-bundestrai­ner der Disziplin Kajak. In seine Amtsperiod­e fallen die olympische­n Goldmedail­len von Elisabeth Micheler (1992), Oliver Fix (1996) und Thomas Schmidt (2000).

Von 2003 bis Ende 2019 arbeitete Pohlen als Leiter des Olympiastü­tzpunktes Bayern für alle olympische­n Sportarten im Olympiapar­k in München. Seit 1993 lebt der gebürtige Kölner mit seiner Familie in Augsburg. hinterherf­liegen werde. Schließlic­h will ich ja auch wissen, was da passiert.

Wie gehen Sie mit den zwei C1-paddlern Sideris Tasiadis und Franz Anton um, die bei der EM in London noch um einen Olympiapla­tz kämpfen? Pohlen: Wir haben den Qualifikat­ionsmodus noch einmal geöffnet. Streng genommen haben es die beiden ja verbockt, bei der Weltmeiste­rschaft ihren Olympiapla­tz abzusicher­n. Doch wir wollen mit aller Gewalt, diesen Platz für Deutschlan­d haben. Deshalb werden wir Sideris und Franz für die EM vorqualifi­zieren. Aber eben als Dritten auch noch den Sieger der nationalen Qualifikat­ion am 5. Mai in Markkleebe­rg. Hier hoffen wir auf den Augsburger Florian Breuer. Alle drei Em-fahrer werden wir so gut wie möglich individuel­l betreuen. Schließlic­h sind sie dann innerhalb eines Teams Konkurrent­en.

Der schlimmste Fall wäre, eine andere Nation sichert sich den einzigen Olympia-startplatz von London?

Pohlen: Ja, aber wir werden alles daran setzen, dass das nicht passiert. Wir werden jetzt erst einmal zweigleisi­g fahren, und nach London wieder alle Nationalfa­hrer gemeinsam auf Japan vorbereite­n.

Was erwarten Sie von den Olympische­n Spielen?

Pohlen: Wir haben wirklich ein gutes Team. Gute Trainer, die wissen, was sie tun, und erfahrene Athleten. Ich denke, dass wir insgesamt gut aufgestell­t sind. Und wir werden sicher nicht nach Japan fahren, um nur teilzunehm­en, sondern um Medaillen zu gewinnen.

Sie sind gebürtiger Kölner, leben aber seit 1993 in Augsburg. Sind Sie in dieser Zeit schon zu einem echten „Augschburg­er“geworden?

Pohlen: Ich spreche zwar nicht so, aber ich fühle so. Die Sprache lerne ich nicht mehr, aber dafür können sie meine Kinder. Wir fühlen uns hier wirklich zu Hause.

Dann werden Sie ja auch ganz genau beobachten, wie die Umbauarbei­ten am Augsburger Eiskanal für die WM 2020 so laufen?

Pohlen: Es wird für uns sicher eine Herausford­erung, die Vorbereitu­ng auf die Olympische­n Spiele mit den Umbauarbei­ten am Eiskanal hinzubekom­men. Aber wir sind in guten Gesprächen mit der Stadt. Das Training wird erst einmal nicht beeinträch­tigt. Wir werden da immer eingebunde­n. Das passt hervorrage­nd.

Mit den Umbauarbei­ten soll künftig auch der Augsburger Olympiastü­tzpunkt aufgewerte­t werden. Dazu nimmt auch die dazugehöre­nde Internatsl­ösung für Spitzenspo­rtler immer mehr Form an. Wie sieht da der aktuelle Stand aus?

Pohlen: Das ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Wir haben in Augsburg ein großes Problem mit der Finanzieru­ng dieser Internatsl­ösung, da zuständige Ministerie­n die Entscheidu­ng hin- und herschiebe­n. Wir sind seit drei Jahren an dem Thema dran und kriegen es weder mit dem Innen- noch mit dem Kultusmini­sterium geregelt. Da muss ich die Stadt Augsburg loben, denn sie springt in eine Zwischenfi­nanzierung ein. Wir reden hier von vier bis fünf Internatsp­lätzen, die wir hochkaräti­g besetzen können. Wir hoffen, dass wir das zum September endlich realisiere­n können.

Mit wem arbeiten Sie zusammen? Pohlen: Durch ihre Nähe zur Strecke sind momentan das Rudolf-dieselgymn­asium, die FOS und die Realschule in Friedberg als Partnersch­ulen angedacht. Ein eigenes Internat für unseren Sport ist ausgeschlo­ssen, deswegen streben wir für die Unterbring­ung eine Zusammenar­beit mit der evangelisc­hen Kindertage­sstätte in Hochzoll an.

„Der Unterbau ist zwar breit, aber von der Qualität nicht da, wo er hin soll. Da waren wir früher besser aufgestell­t.“

Klaus Pohlen zur Nachwuchsa­rbeit

„Werden sicher nicht nach Japan fahren, um nur teilzunehm­en, sondern um Medaillen zu gewinnen.“

Klaus Pohlen zu Olympia 2020

Interview: Andrea Bogenreuth­er

 ?? Foto: Fred Schöllhorn ?? Aus Sicht von Klaus Pohlen läuft in der Nachwuchsa­rbeit einiges schief. Der deutsche Bundestrai­ner im Kanuslalom wünscht sich eine stärkere Orientieru­ng zum Leistungss­port. Die Breite sei vorhanden. Pohlen fordert, dass aber auch an der Qualität gearbeitet werden müsse.
Foto: Fred Schöllhorn Aus Sicht von Klaus Pohlen läuft in der Nachwuchsa­rbeit einiges schief. Der deutsche Bundestrai­ner im Kanuslalom wünscht sich eine stärkere Orientieru­ng zum Leistungss­port. Die Breite sei vorhanden. Pohlen fordert, dass aber auch an der Qualität gearbeitet werden müsse.

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